# taz.de -- Wie Kreative im Internet Geld verdienen: Genug gejammert. Und jetzt?!
       
       > Spenden, Merchandising, Flattr: Künstler und Journalisten können im
       > Internet durchaus Geld verdienen. Kreative Selbstvermarktung ist der
       > Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Reichtum.
       
 (IMG) Bild: "Sita sings the Blues": kostenlos im Netz downloadbar und trotzdem erfolgreich.
       
       Wir erleben eine Phase des Chaos, eine Revolution, meint der Netzvordenker
       Clay Shirky. Weil Gedanken und Geschriebenes sich im Internet anders,
       besser und schneller verbreiten, funktionieren Verlagssystem und
       Unterhaltungsindustrie nicht mehr so wie vorher. Doch was wird stattdessen
       funktionieren? "Nichts wird funktionieren, aber alles könnte", schrieb
       Shirky im September 2009. "Jedes Experiment, das versucht, neue Modelle für
       Journalismus zu entwickeln, ist eine Verbesserung gegenüber dem Verstecken
       vor der Realität."
       
       Tatsächlich gibt es einzelne Künstler, Journalisten und Kreative, die keine
       Lust mehr auf ständiges Herumjammern haben. Die die neuen Möglichkeiten
       ausnutzen, die ihnen das Netz bietet, Kreatives teils unentgeltlich zur
       Verfügung stellen und trotzdem nicht verhungern.
       
       Nina Paley zum Beispiel. Die amerikanische Künstlerin hat ihren
       Animationsfilm [1]["Sita sings the Blues"] unter einer
       Creative-Commons-Lizenz ins Netz gestellt, damit jeder Privatmensch das
       Werk kostenfrei anschauen konnte. Sie hat 55.000 Dollar eingenommen – aus
       Spenden, mit Merchandise-Artikeln, DVD-Verkäufen und Vorführhonoraren von
       TV-Sendern und Kinos.
       
       Stillklammheimlich etabliert sich, dass User für Inhalte, die sie besonders
       schätzen und an deren Erhalt sie interessiert sind, zahlen. Per
       Online-Bezahldienst Paypal zum Beispiel oder mit dem Kleinspendentool
       [2][Flattr].
       
       ## Die Marke Ich
       
       Paley hat für ihre digitale Verschenkaktion zusätzlich etwas bekommen, was
       für Kreative im digitalen Zeitalter sogar noch viel wertvoller ist:
       Aufmerksamkeit. Bekanntheit. Paley? Das ist die, die mit ihrem Film 55.000
       Dollar verdient hat, oder? Eine Assoziation, die mehr wert ist als ein paar
       tausend Dollar vom Filmverleih.
       
       Ähnlich – wenn auch finanziell nicht ganz so einträglich – ist es beim
       Münchner Journalisten [3][Richard Gutjahr]. Der Blogger und
       Fernsehjournalist reiste Ende Januar nach Kairo, weil er von dort berichten
       wollte. Bloggen, twittern, Eindrücke vom Tahrirplatz, Tag und Nacht. Mit
       Spenden und Honoraren nahm er 5.300 Euro ein. Wertvoll war für Gutjahr aber
       auch der Zuwachs an Reputation. Sein Name ist jetzt unter Bloggern und in
       Redaktionen mit dieser Geschichte verbunden. Gutjahr. Dieser Blogger, der
       hinfährt, wo es abgeht. Nicht aufs Geld schaut. Ein leidenschaftlicher
       Journalist. Ein Ruf, der sich für ihn längerfristig durchaus auszahlen
       könnte.
       
       Cory Doctorow lebt schon lange von seiner digitalen Reputation. Jedes Buch,
       das der kanadischstämmige Science-Fiction-Autor schreibt, gibt es nicht nur
       gedruckt, sondern auch zum kostenlosen Download auf seiner [4][Homepage].
       Trotzdem verkaufen sich seine Bücher so gut, dass sein Name regelmäßig auf
       der Bestsellerliste auftaucht. Eine einfache Rechnung: Mehr Aufmerksamkeit,
       mehr Käufer. "Für mich funktioniert das", sagt Doctorow. Er hat seinen Ruf
       weg – als international bekannter Netz- und Urheberrechtsaktivist. Als
       Mitautor eines [5][der erfolgreichsten Blogs in den USA]. Als feuriger
       Redner. Als Marke.
       
       Die meisten Künstler werden aber nicht davon leben können, sagt Doctorow in
       einem Spex-Interview: "Wer sich als Autor zu fein ist, Lesungen zu geben,
       Vorträge zu halten und für Magazine zu schreiben, der hat in der heutigen
       Zeit nichts verloren." Jede technologische Entwicklung, meint Doctorow,
       produziere Gewinner und Verlierer. Heißt: Der Künstler und Autor im
       digitalen Zeitalter ist seines eigenen Glückes Schmied.
       
       In der Angebotsflut des weltweiten Netzes geht unter, wer sich nicht
       bewegt. Wer sich selbst vermarktet, ohne etablierte Medienmarken, Labels
       und Verlage, muss etwas Originelles anbieten. Bands, die Aktien von sich
       verkaufen, um die nächste Platte zu finanzieren? Lustige Aktion. Aber
       inzwischen schon so häufig gelaufen, dass es künftig kaum noch
       Aufmerksamkeit dafür geben wird. Ähnlich wird es bald mit mutig auf eigene
       Faust reisenden Bloggern sein. Dann müssen neue kreative
       Selbstmarketingideen her.
       
       Das hört sich sauanstrengend an. So als würde die eigentliche schöpferische
       Kreativität erstickt von dem Drang, sein eigener, aufgedrehter PR-Berater
       zu sein. Als würde dem Einzelnen jede Stabilität wegbrechen, würde er
       künftig ständig am Tropf seiner ewigen Innovationsfähigkeit, seines
       dauernden Auf-Zack-Seins hängen.
       
       ## Im Long Tail ist für alle Platz
       
       Aber auch das stimmt nur so halb. Denn es vergisst den großen Segen des
       Netzes: Dort ist Platz. Platz für Skurriles, für Minderheitenprogramme, für
       Special-Interest-Themen. Alles findet dort seine Nische. Und der Künstler
       oder Journalist, der seine Nische entdeckt, besetzt und ein Publikum
       findet, muss sich nicht ständig neue Drehs und Kniffe einfallen lassen.
       
       Wie Tim Pritlove, lange Jahre Organisator des Jahrestreffens des Chaos
       Computer Clubs, macht [6][Podcasts], die so ausführlich sind, dass sie
       unmöglich bei einem Radiosender laufen können. Wundervolle Gespräche mit
       Spezialisten über Themen, die er gerade spannend findet – von
       Technikgefrickel über Hackerbrausen bis zum Überwachungsstaat. Bis zu vier
       Stunden lang. Liebhaberprojekte – aber solche, die seine Hörer so lieb
       haben, dass sie spenden. So viel, dass Pritlove davon nicht nur sein Studio
       eingerichtet hat, sondern auch einen Teil seines Lebensunterhaltes davon
       bestreiten kann.
       
       "Die Zukunft des Radios liegt im Netz", sagt Pritlove. Jenseits der
       Gatekeeper-Konstruktionen der Sender, dort, wo Kreativität noch Platz hat,
       in der Formate noch frei gestaltet werden können, Zielgruppen jenseits des
       Mainstreams gefunden werden können und echte Hörerinteraktion möglich ist.
       Freiheit, wie sie eben nur das Netz gewährt.
       
       8 Apr 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.sitasingstheblues.com/
 (DIR) [2] http://flattr.com/
 (DIR) [3] http://www.gutjahr.biz/Gutjahr/Home.html
 (DIR) [4] http://craphound.com/
 (DIR) [5] http://boingboing.net/
 (DIR) [6] http://chaosradio.ccc.de/chaosradio_express.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) DLR entscheidet sich für Open Data: Steuerzahler hat schon bezahlt
       
       Das Deutsche Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) unterstützt die
       Open-Data-Bewegung. DLR-Fotos mit eigenem Urheberrecht werden für die
       allgemeine Nutzung freigegeben.
       
 (DIR) Ankündigung eines Twitter-Streiks: Alle Timelines stehen still
       
       Der Druck auf Medien wächst, Online-Netzwerke zu nutzen. Gewerkschafter der
       Nachrichtenagentur AP empfehlen nun einen Twitter-Streik.
       
 (DIR) Flattr-Mitgründer über Bezahlmodelle: "Wir sind eine vegetarische Firma"
       
       Peter Sunde ist Mitgründer des Micro-Bezahlsystems Flattr. Mit der "taz"
       spricht er über unabhäniggen Journalismus, das Ende der Demokratie und
       Katzenvideos.
       
 (DIR) Freiwilliges Zahlen auf taz-Medienkongress: "Zahlen bitte!"
       
       Bezahlen User freiwillig für journalistischen Content – oder muss man sie
       dazu zwingen? Veranstaltung mit Peter Sunde, Gründer von Flattr, Géraldine
       Delacroix von Mediapart und Georg Konjovic, Premium Content Director von
       Axel Springer.
       
 (DIR) Pay-Wall bei der New York Times: Das Limit der 20 Texte
       
       Die New York Times hat in eine Pay-Wall investiert, um ihre Online-Inhalte
       zu verkaufen. 20 Texte sind kostenlos, dann muss bezahlt werden. Doch die
       Konkurrenz ist günstiger.
       
 (DIR) Die Online-Welt im Buch: Die Copy-Kultur ist schon älter
       
       Die Brüder Tim und Kai-Hinrich Renner haben in ihrem Buch "Digital ist
       besser" die US-Debatten zum Internetzeitalter der vergangenen Jahre
       zusammengefasst .
       
 (DIR) Bezahlmodell von Google: Konkurrenz für den weißen Riesen
       
       Google-Chef Eric Schmidt stellt in Berlin "One Pass" vor - einen
       Bezahldienst für Netzinhalte. Es richtet sich gegen den Marktführer von
       mobilen Diensten.
       
 (DIR) Fortschritt bei Bezahl-Plattform: Flattr offen für alle
       
       Die geschlossene Beta-Phase ist vorbei: Nun kann jeder beim
       Mikro-Bezahldienst Flattr mitmachen. Vielleicht die beste Möglichkeit, im
       Internet Geld zu verdienen.