# taz.de -- Deutscher Filmpreis 2011: Immer schön dem Routenplaner folgen
       
       > Die neuesten Mittelklassemodelle des deutschen Kinofuhrparks: Am
       > Wochenende wurden sie im Berliner Friedrichstadtpalast mit Lolas in Gold,
       > Silber und Bronze ausgezeichnet.
       
 (IMG) Bild: Herr Tykwer, Herr Tykwer, was fehlt dem deutschen Film? Mal so ohne Helm und ohne Gurt? Einfach los?
       
       Seit einiger Zeit erinnert die Begegnung mit dem deutschen Kino an eine
       Fahrt im Mittelklassewagen. Komfort, Geräumigkeit und Sicherheit sind
       gewährleistet. Man muss sich nur die Filme anschauen, die bei der von
       Barbara Schöneberger moderierten Verleihung des Deutschen Filmpreises am
       Freitagabend im Berliner Friedrichsstadtpalast mit gießkannenhafter
       Gerechtigkeit prämiert wurden. Passenderweise wirkte Schöneberger mit ihrem
       marktschreierischen, in diverse Paillettenfummel gequetschtem Temperament
       und ihrer stets stilsicher kultivierten Vulgarität wie eine
       Gebrauchtwarenhändlerin in Partylaune.
       
       Im großen deutschen Kinofuhrpark fehlt es nicht an Modellen. Bemängelte man
       früher die Beschränkung auf einige wenige Genres, scheint im deutschen Kino
       inzwischen genügend Platz für jede Tonlage und Filmform: Tom Tykwer hat mit
       "Drei" (Regiepreis) eine moderne Großstadtbeziehungskomödie gedreht,
       Philipp Stölzl will mit "Goethe" das Kostümgenre entstauben und macht aus
       dem Dichter und Denker einen frühen Popstar, während Ralf Huettners großer
       Gewinner "Vincent will Meer" seine Helden mit einem Roadmovie aus der
       Psychiatrie holt.
       
       Die mit 500.000 Euro dotierte Goldene Lola hat damit ein Film erhalten, der
       von Beginn an sein Navigationssystem einstellt und strikt dem Routenplaner
       folgt: Wie es sich für ein Roadmovie nun mal gehört, geht die äußere
       Bewegung mit einer inneren der Helden einher. Dabei weiß man, dass
       Huettners sympathisches Trio, bestehend aus einem Zwangsneurotiker, einer
       Anorektikerin und dem am Tourette-Syndrom leidenden Titelhelden, sich
       seinen Macken und Neurosen stellen wird.
       
       Während sie mit einem gestohlenen Auto nach Italien brausen, mögen sie sich
       und den anderen erkennen, aber eben nach einem dekorativ ins Bild gesetzten
       Schema F. Ganz ähnlich verhält es sich mit Philipp Stölzls Goethe. Pop ist
       gut. Pop ist sexy. Der Werdegang des Dichters zum Star, der auf dem Dach
       einer Kutsche von Fans umlagert wird, ist hier allerdings ebenfalls eng
       gefasst. Wer Goethes Pop, seine Sprache, sein Lebensgefühl entdecken will,
       der kann ihn nicht einfach nur mit wehenden Haaren zwischen der
       juristischen Amtsstube und dem Haus von Charlotte Buff hin und her stürmen
       und drängen lassen.
       
       ## Mehr als zwei Millionen Euro
       
       Gar nicht zu reden von Sebastian Groblers Kostümfilm "Der ganz große
       Traum", in dem Deutschland über allerlei artig aufgestellte Hürden hinweg
       seiner unausweichlichen Zukunft als Fußballnation entgegenrollt. Will man
       im Kino wirklich in aller Sicherheit, ohne Rumpler und laute Fahrgeräusche
       mit den Helden ans Ziel gelangen? Gibt es hierzulande womöglich eine
       Tendenz, sich allzu komfortabel in einer immer noch verhältnismäßig gut
       subventionierten Filmwirtschaft einzurichten? Und hat dies nicht - wenn
       auch auf anderem Niveau - auch Tom Tykwer getan, wenn er in seiner mit
       unterhaltsamen Screwball-Dialogen aufwartenden Komödie "Drei" ein Berliner
       Kulturmilieu zeichnet, das mit seiner Homogenität wie ein gepanzerter Volvo
       daherkommt?
       
       Ausgerechnet "Almanya - Willkommen in Deutschland", Gewinner der Silbernen
       Lola und des Drehbuchpreises, jener Film also, der auf den ersten Blick am
       niedlichsten wirkt, hatte da noch die meisten Widerhaken und den stärksten
       Nachhall zu bieten. In ihrer Komödie erzählen die Schwestern Nasrin und
       Yasemin Samdereli aus der Perspektive einer anatolischen
       Einwandererfamilie, die ihr deutsches Gastland in den frühen siebziger
       Jahren als exotisch-befremdliches Terrain erlebt: Deutschland, ein
       unwirtliches Terrain, bevölkert von Menschen, die einen nackten Mann am
       Kreuz anbeten und eine seltsame Sprache sprechen.
       
       "Menschen mit komischen Frisuren haben viel Sex und werden Terroristen" -
       so fasste Barbara Schöneberger innerhalb eines kleinen Potpourris die
       Handlung von Andres Veiels Film "Wer wenn nicht wir" zusammen. Zwangsläufig
       kennt man bei Veiel das Ende. Aber sein Film, der die Bronzene Lola gewann,
       schaltet eben nicht den Autopiloten des deutschen RAF-Dramas ein. Er blickt
       rechts und links aus dem Fenster, hält an, fährt Umwege und traut sich im
       Rückwärtsgang in ein selten bis nie durchfahrenes Terrain, auf dem die
       sechziger Jahre und der deutsche Linksterrorismus plötzlich in neuem Licht
       erscheinen.
       
       Mehr als zwei Millionen Euro wurden am Freitagabend in Berlin vergeben. Das
       Problem des deutschen Kinos ist ohnehin nicht das Geld. Während der
       Verleihung versprach Kulturstaatsminister Bernd Neumann denn auch, den
       Goldregen seines Filmförderfonds (DFFF) nicht abreißen zu lassen.
       
       Was also wünscht man dem deutschen Kino? Was fehlt ihm? Mehr Modelle und
       Filmtypen braucht es sicher nicht. Aber doch die entscheidenden Vehikel,
       Gefährte, Kreationen, die sich trauen, ohne Navi und Airbag loszufahren.
       Oder vielleicht sogar mal einen Kotflügel zu verlieren.
       
       10 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Leweke
       
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