# taz.de -- Anthropologin über Anonymous-Aktivisten: "Es geht um das Bekenntnis zu LULZ"
       
       > Die Gruppe Anonymous attackiert aus Protest die Internetseiten großer
       > Firmen. Die Anthropologin Gabriella Coleman über die Menschen hinter den
       > Masken.
       
 (IMG) Bild: LULZ ist das, was Anonymous ausmacht. Ihre tägliche Interaktion basiert auf Kommunikation wie: Hey, look at this lulzy thing. z.B. "Kitlers"
       
       Anonymous wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als sie Firmen im
       Internet attackierten, die der Enthüllungsplattform Wikileaks die
       Zusammenarbeit aufgekündigt haben. Ist Anonymous so etwas wie der
       militärische Arm von Wikileaks? 
       
       Gabriella Coleman: Nein. Zwar sind Zensur und Informationsfreiheit Themen,
       um die sich sowohl Wikileaks als auch Anonymous kümmern. Aber sie haben
       verschiedene Taktiken. Anonymous nutzt spektakuläre Internetattacken, die
       in einigen Fällen zu einer Blockade von Webseiten führen oder andere
       direkte Aktionen.
       
       Der Name sagt es bereits: Anonymous-Aktivisten geben ihre Identität nicht
       preis, im Fernsehen sieht man sie nur mit Masken. Wer steckt dahinter? 
       
       Angefangen hat alles mit Leuten, die ihre Zeit anonym im Netz mit Trollen
       verbringen, also anarchischen Unsinn online stellen und das gegenseitig
       kommentieren. Aber innerhalb der vergangenen zwei Jahre haben sich zwei
       unterschiedliche Arme herausgebildet, die politischer sind. Einer
       protestiert gegen die Scientology-Kirche, ein anderer widmet sich allen
       möglichen Formen von Aktivismus - von der Unterstützung für Wikileaks bis
       zur Hilfe für Proteste im Nahen Osten.
       
       Sind das Hacker? 
       
       Die große Mehrheit ist zwar technisch fitter als der Durchschnittsbürger
       aber nicht so versiert wie echte Hacker. Sie können Blogs aufsetzen,
       photoshopen und Videos schneiden, aber viele können sicher nicht
       programmieren.
       
       Aber sie sind versiert genug, um Seiten mit Anfragen zu bombardieren bis
       sie abstürzen. 
       
       Als Paypal, Mastercard und Amazon ihre Arbeit für Wikileaks einstellten,
       war doch die Frage: Wie macht man eine größere Öffentlichkeit darauf
       aufmerksam? Leute, die das Thema Privatisierungspolitik im Netz nicht
       kennen? Die Frage haben sie mit den Attacken und den teilweise gelungenen
       Blockaden von Webseiten effektiv beantwortet.
       
       Anonymous macht also Öffentlichkeitsarbeit für andere? 
       
       Das ist jedenfalls ein Ziel. Anonymus ist keine Gewerkschaft oder Partei.
       Dort funktioniert alles etwas mehr auf einer Ad-Hoc-Ebene. Man trifft sich
       und beschließt, etwas miteinander zu machen. Andere Aktivisten haben zum
       Beispiel den Aufständischen in Tunesien geholfen, von der Staatsmacht
       unbeobachtet zu kommunizieren.
       
       Anonymous-Leute sagen, sie täten das alles für LULZ. Was ist das? 
       
       LULZ meint das Vergnügen, dass aus spielerischen Unsinnsakten erwächst, aus
       dem Trollen etwa oder wenn lustige Internet-Meme kursieren, diese irgendwie
       esoterischen Kulturschnipsel, die im Netz zirkulieren und die ständig
       abgewandelt werden.
       
       Meme sind beispielsweise Bilder von Katzen, die angeblich Hitler ähneln. 
       
       Genau sowas. Die Wurzeln von Anonymous liegen im Bekenntnis zu LULZ. Der
       politische Arm von Anonymous musste die Rolle der LULZ in ihrem Aktivismus
       allerdings schon herunterschrauben, weil Meme oft Insiderwitze sind,
       politische Botschaften aber von vielen verstanden werden müssen.
       
       Will Anonymous nun Witze machen oder ernst genommen werden? 
       
       Ihre Botschaften sollen gehört werden. Aber LULZ ist das, was Anonymous
       ausmacht. Ihre tägliche Interaktion basiert auf Kommunikation wie: Hey,
       look at this lulzy thing. In einem Umfeld, in dem so viel anonym bleibt und
       es nicht um Individuen geht, ist LULZ ein Anker für die Identität.
       
       Jeder kann behaupten, Anonymous zu sein, weil alle anonym sind. Wie können
       Sie als Anthropologin überhaupt Aussagen über die Gruppe machen? 
       
       Wenn Technik ins Spiel kommt, formt sie eine Gruppe mit. Anonymous nutzen
       beispielsweise für ihre Verständigung den Internet Relay Chat, kurz IRC.
       Darin haben sich seit 1989 sehr viele Regeln entwickelt, wie man mit
       anderen Menschen kommunizert. Und dann gibt es die bei Anonymous stark
       ausgeprägten Kräfte des Anti-Individualismus und des Anti-Celebritytums.
       Diese Linien scheiden Anonymous von anderen.
       
       Woher kommt eigentlich diese Anti-Celebrity-Idee, diese grundsätzliche
       Abneigung gegen das Aufkommen von Führungspersönlichkeiten in der eigenen
       Gruppe? 
       
       Das tauchte denke ich in der Kultur von 4chan auf, das ist ein Imgaeboard
       also eine Art Pinnwand im Netz. 4chan ist eines dieser Foren, das ich
       vorhin angesprochen habe. Dort gibt es wahre Anonymität gibt. Dort gibt es
       ja nur das, was gepostet wird. Nur darum geht es. Weil man wirklich absolut
       keine Ahnung hat, wer am anderen Ende sitzt. Daraus ist dieses Kommitment
       für die Idee erwachsen, dass das Individuum und das, was er oder sie
       produzieren, keine Rolle spielen.
       
       Und wie organisiert sich eine Gruppe, deren Mitglieder sich nicht kennen
       und die keinen Anführer hat? 
       
       Sie entscheiden auf der Basis von Konversation und Debatte. Dann ärgert
       sich einer darüber, dass Sony einen Prozess gegen jemanden anstrengt, der
       eine Playstation unter gehackt hat. Und dann sagen andere: Ja, das ist ein
       Ziel. Also los! Und dann gibt es zwei Arten von Attacken: Die einen sind
       supranational - die jüngste gegen Sony zum Beispiel. Und es gibt natonale.
       In Kolumbien, Italien oder Neuseeland. Die Frage ist aber immer: Kann man
       seine Anonymous-Mitstreiter überzeugen, aktiv zu werden, kann man genug
       Leute für die Sache mobilisieren. Manche Attacken schlagen fehl. Ziemlich
       viele sogar.
       
       Anonymus ist also gar nicht so gefährlich, wie so viele Medien schreiben? 
       
       Sie haben keine physischen Schaden angerichtet, sie haben Internetseiten
       zum Absturz gebracht. Aber sie kosten viel Geld, zum Beispiel das für
       Serviceadministratoren, die mit den Problem fertig werden müssen.
       Regierungen und Firmen fürchten, dass diese Taktik sich ausbreitet und
       finanzelle Einbußen mit sich bringt. Aber Anonymous als Hacker-Terroristen
       darzustellen - das ist Sensationalismus, der die Sache nicht trifft.
       
       Anonymous wurde nicht nur von Politikern und Wirtschaftsbossen kritisiert,
       sondern auch von Hackern. Die fanden die Attacken pubertär oder sie
       monierten, dass Systeme beschädigt wurden. 
       
       Ich habe keine klare Haltung zu den Netz-Attacken als politische Waffe.
       Klar ist doch aber, dass in unserem Leben sehr viel online läuft. Und viele
       Firmen operieren transnational. Niemand würde es schaffen, viele Menschen
       für eine Demonstration vor dem Firmensitz von Mastercard
       zusammenzutrommeln. Außerdem ist die entscheidende Frage, ob wir Räume im
       Bereich Internet schaffen, der das Leben von so vielen betrifft, in dem
       Formen von Protest möglich sind. Und welche Formen sind möglich, die nicht
       sofort als Terror oder Cyberkrieg bewertet werden. Die Anonymous-Attacken
       haben immerhin diese Frage auf den Tisch gebracht.
       
       In Deutschland gibt es diese Debatte um Anonymität im Netz. Viele haben den
       Eindruck, dass Meinungsäußerungen im Netz weniger wert sind, wenn jemand
       nicht den Mund hat, mit seinem Namen und seinem Gesicht zu etwas zu stehen. 
       
       In den USA haben wir die gleiche Debatte. Viele Webseiten lassen anonymes
       kommentieren nicht mehr zu, weil das angeblich einer heuchlerischen Kultur
       Vorschub leistet. Anonymität ist ambivalent. Sie schützt freie politische
       Meinungsäußerung ebenso wie schikanierende Äußerungen. Das ist nicht
       einfach aufzulösen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass es im Netz
       gibt es weniger und weniger Platz für Anonymität gibt. Die Orte, die dafür
       bleiben, können wertvoll sein.
       
       Wie haben Sie es eigentlich geschafft, mit Anonymous-Aktivisten in Kontakt
       zu treten? 
       
       Lange Geschichte. Eigentlich habe ich mich mit Protesten gegen die
       Scientology-Kirche beschäftigt. Als Anonymous 2008 ausgebrochen ist, dachte
       ich: Oh, ich sollte das, was sie tun, etwas verfolgen. Daraufhin habe ich
       jede Menge Zeit online verbracht, auch im IRC-Chat. Da war es für mich
       ziemlich einfach, sie zu finden und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Auf
       eine gewisse Art sind sie sehr öffentlich.
       
       Sie haben sogar einige Anonymous-Leute dazu bewegt, in eines ihrer
       Uni-Seminare zu kommen.
       
       Na, das waren die aus New York, die gegen die Church of Scientology
       protestiert haben. Die treffen sich jeden Monat und sind gute Freunde. Und
       als ich ein Seminar zu Scientology gemacht habe ich sie eingeladen.
       
       Viele Videos und Bilder von Anonymous sind sehr stylisch gemacht. Geschieht
       das aus PR-Gründen? 
       
       Absolut! Die haben einen eigenen IRC-Channel für Propaganda. Und sie sind
       sehr gerissen, wenn es um den Umgang mit Medien geht! Auch wenn sie als
       Indivuduen nicht auftauchen, wissen sie doch ganz genau, wie sie sich in
       die Medienlandschaft einmischen.
       
       INTERVIEW: MEIKE LAAFF
       
       15 Apr 2011
       
       ## TAGS
       
 (DIR) London
       
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