# taz.de -- Störfallszenario für Norddeutschland: Restrisiko Krümmel
       
       > Sollte das Atomkraftwerk bei Hamburg wieder ans Netz gehen, würde sich
       > das Risiko einer Verstrahlung verlängern. Bei einem Störfall wären die
       > Katastrophenschützer fast so hilflos wie ihre japanischen Kollegen.
       
 (IMG) Bild: Abschied für immer: Nach einem Störfall im AKW Krümmel könnten die Einwohner Hamburgs möglicherweise nie mehr zurück.
       
       Noch ist über seine Zukunft nicht entschieden. Ob der Atommeiler in
       Krümmel, der seit Juni 2007 pannenbedingt pausiert, je wieder Strom
       produziert, ist offen.
       
       Im Kieler Landtag sprachen sich Ende März zwar alle Parteien für die
       endgültige Stilllegung von Krümmel aus, doch Miteigentümer Vattenfall
       sinnierte fast zeitgleich öffentlich über die "Erarbeitung tragfähiger
       Lösungen für die Zukunft der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel" nach.
       
       Das Atom-Moratorium der Bundesregierung steht auf rechtlich wackligen
       Füßen, Konkretisierungen wurden auch vom Atomgipfel am gestrigen Freitag in
       Berlin zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der 16
       Bundesländer nicht erwartet.
       
       Auch ein Gesetzentwurf zur Stilllegung von Krümmel und sieben weiteren
       Alt-Meilern, den Hamburg, Bremen und andere SPD-Länder am Freitag im
       Bundesrat einbrachten, wird kaum die sofortige Abschaltung zur Folge haben.
       Und ohne staatliche Schadenersatz-Milliarden werden Vattenfall und Eon ihre
       in die Jahre gekommenen Gelddruckmaschinen kaum freiwillig einmotten.
       
       Bleiben die Altmeiler, so bleibt das "Restrisiko Krümmel", das nur gut 20
       Kilometer von Hamburger entfernt liegt, noch Jahre erhalten. Zwar drohen
       dem Siedewasserreaktor kaum Erdbeben und schon gar kein Tsunami - doch
       Sicherheitsstudien kommen seit Jahren immer wieder zu dem Schluss, dass das
       Risiko eines Unfalls mit katastrophalen Auswirkungen nicht vernachlässigbar
       ist.
       
       So sei etwa, prophezeit die Internationale Länderkommission Kerntechnik,
       bei einem gezielten Flugzeugabsturz auf den Reaktor mit einer
       "katastrophalen Freisetzung radioaktiver Stoffe zu rechnen". Doch auch
       andere Störfalle seien denkbar.
       
       Darauf ist die Tag und Nacht besetzte Leitstelle der Kreisverwaltung
       Herzogtum Lauenburg vorbereitet. Wenn eines Tages eine Störfall-Nachricht
       aus Krümmel eintrifft, beginnt die Katastrophenschutz-Maschinerie innerhalb
       von Minuten zu laufen. Nach Telefonaten mit Mitarbeitern der
       Landesregierung in Kiel löst Landrat Gerd Krämer Katastrophenalarm aus.
       
       Bleibt Zeit bis zur befürchteten Freisetzung der todbringenden Strahlung,
       werden die gefährdeten Personen über Radiodurchsagen aufgefordert, sich an
       vorbereiteten Depots mit schützenden Jodtabletten einzudecken und das
       Gebiet über bestimmte Straßen zu verlassen.
       
       Die aber werden dem Ansturm kaum gewachsen sein, wenn - wie in den
       Katastrophenplänen prognostiziert - 80 Prozent der gefährdeten Bevölkerung
       mit dem Auto die Flucht ergreift.
       
       Gleichzeitig müssen die vielen Helfer auf den verstopften Straßen in
       Gegenrichtung in das Gebiet hineinkommen. Ob die dringend benötigten Ärzte,
       überhaupt in ausreichender Zahl zur Verfügung ständen, ist unklar.
       
       So weiß der Marburger Nuklearmediziner Professor Horst Kuni von Kollegen zu
       berichten, "die in Katastrophenstäben nur mitarbeiten, um so rechtzeitig
       von einem drohenden Unfall zu erfahren, dass sie sich noch mit ihren
       Familien absetzen könnten, statt Hilfe zu leisten". Und die willigen Ärzte
       wissen nur selten, was zu tun ist. "Wir Strahlenmediziner werden kaum auf
       einen solchen Einsatz vorbereitet", sagt Kuni.
       
       Doch die Katastrophenschutzpläne mogeln sich nicht nur an solchen Problemen
       vorbei, sie fußen auch auf fragwürdigen Voraussetzungen. Christian Küppers,
       Experte für Nukleartechnik des Ökoinstituts in Darmstadt sagt: "Die Pläne
       gehen davon aus, dass zwischen Störfallbeginn und den ersten großen
       Freisetzungen mehrere Tage Zeit bleiben, um Maßnahmen zu ergreifen."
       
       Doch es seien auch Störfall-Szenarien möglich, bei denen es nur zwei bis
       vier Stunden dauert, bis die Kernschmelze in vollem Gange ist. Küppers
       sagt: "Übliche Katastrophenpläne reichen dann nicht aus."
       
       Zusammen mit einem früheren Institutskollegen hat Küppers schon vor Jahren
       in einer von Hamburgs Umweltbehörde in Auftrag gegebenen Studie ein
       umfassendes Bild der Auswirkungen eines solchen Reaktorunfalls auf Hamburg
       gezeichnet, das auch heute noch weitgehend den aktuellen Erkenntnissen
       entspricht. In ihrem jahrelang unter Verschluss gehaltenen Szenario gehen
       die Wissenschaftler von einem Ausfall der Wärmeabfuhr in Krümmel aus.
       
       Durch das Versagen der Steuerungsventile oder der Schnellabschaltung
       entsteht ein Überdruck im Reaktordruckbehälter und in der
       Sicherheitsummantelung. In der Außenhülle entstehen durch den Druck Lecks,
       durch die radioaktive Edelgase und Jod-Isotope in die Umgebung freigesetzt
       werden.
       
       Dabei gehen die Autoren der Studie davon aus, dass ein mittelstarker Wind
       die radioaktiven Stoffe 40 Minuten nach ihrer Freisetzung über das Zentrum
       Hamburgs treibt. Bei einem Regenguss von nur einem Millimeter pro
       Quadratmeter würde sich die Bodenverseuchung verfünfzehnfachen.
       
       Doch auch ohne radioaktive Schauer sind die Folgen verheerend: Die kurze
       Zeitspanne zwischen Unfall und dem sogenannten Fall-Out lässt eine
       Evakuierung der Bevölkerung nicht mehr zu.
       
       Dem von der Innenbehörde geleiteten zentralen Katastrophendienststab (ZKD)
       bleibt nur eins: Die Alarmsirenen in Gang zu setzen und rund 1,2 Millionen
       Menschen - zwei Drittel aller Hamburger - über Funk und Fernsehen
       aufzufordern, geschlossene Räume, am besten Kellergewölbe ohne Fenster,
       aufzusuchen, bis die Konzentration der strahlenden Partikel nach Stunden
       wieder zurückgegangen ist.
       
       Für viele der Betroffenen käme die Aufforderung, sich zu Hause zu
       verschanzen, einem Todesurteil gleich: Die radioaktive Wolken, die nach
       einem Kernschmelzunfall bei ungünstigen Windbedingungen über die Hansestadt
       hinwegziehen würden, reichen aus, um bei 40.000 bis 100.000 Hamburgern eine
       tödlich verlaufende Krebserkrankung auszulösen. Für alle diese Menschen
       gäbe es eine Gnadenfrist, aber keine Rettung.
       
       Menschen, die über ein Auto verfügen, könnten versuchen, den Strahlen zu
       entkommen oder ihre Familien zu erreichen und fahren schutzlos in die
       Strahlenwolke hinein. Eine Flucht ist - wenn überhaupt - nur nach Norden
       möglich.
       
       Würde man versuchen, die Stadt durch den Elbtunnel zu verlassen, säße man
       in einem Nadelöhr fest. Und mit jedem Meter in diese Richtung wird die
       Belastung bei einem Freisetzungsverlauf, wie ihn das Öko-Institut
       beschreibt, noch größer.
       
       Entscheidend für die Zahl der schweren Strahlenerkrankungen wird auch sein,
       ob die geordnete und fast vollständige Evakuierung der Hansestadt innerhalb
       von zwölf Stunden nach der Freisetzung gelingt.
       
       Es wird ein Abschied für immer sein, denn die Evakuierten werden niemals
       zurückkehren. Hamburg verkäme - wie die Regionen Tschernobyl und Fukushima
       - zur radioaktiv verstrahlten Einöde. Auch nach 50 Jahren, so die Studie,
       wären knapp zwei Drittel der Stadt noch immer unbewohnbar.
       
       Barbara Meyer-Bukow, Sprecherin der Krümmel-Betreiberin Vattenfall glaubt
       auch nach Fukushima ein solches Katastrophenszenario für Krümmel "nach den
       Maßstäben praktischer Vernunft ausschließen zu können".
       
       Für die neue Hamburger Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) gibt es hingegen
       nur einen sicheren Weg, die Bevölkerung vor solchen Katastrophen zu
       schützen: "Die Ereignisse in Japan zeigen endgültig, wir müssen so schnell
       wie möglich aus der Atomkraft aussteigen und massiv in erneuerbare Energien
       investieren. Wer das nicht verstehen will, folgt nur Lobbyinteressen und
       macht keine verantwortliche Politik mehr."
       
       15 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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