# taz.de -- Internationales Frauenfilmfestival: Gesichter der Ausbeutung
       
       > "Was tun", fragten sich viele Regisseurinnen, die beim Internationalen
       > Frauenfilmfestival in Dortmund und Köln neue Arbeiten vorstellten.
       
 (IMG) Bild: Franny Armstrongs apokalyptisch agitatorischer Brandbrief "The Age of Stupid" fand, obwohl bereits zwei Jahre alt, beim Festival noch einmal ein großes Publikum.
       
       Als Jimmy Carter 1977 Präsident der USA wurde, ließ er die pompöse
       Beleuchtung des Regierungsviertels in Washington herunterdimmen und große
       Solarpaneele auf dem Dach des Weißen Hauses installieren. Angetan mit einem
       Pullover, setzte er sich vor die Fernsehkameras und verkündete eine neue
       Energiepolitik. Der Demokrat Carter erklärte die Schonung der Ressourcen
       und die Einführung erneuerbarer Energie für unbedingt notwendig,
       andernfalls sei Amerikas Zukunft "a road not taken".
       
       Nur eine Wahlperiode später verlor Jimmy Carter gegen Ronald Reagan, der
       die Solaranlage sogleich zum Verschwinden brachte, als starkes Zeichen
       seines Machtantritts. Frustriert über rasant steigende Ölpreise und massive
       Benzinengpässe, Folgen des Umsturzes im Iran und steigender Rohölpreise,
       favorisierten die US-Bürger die kurzfristigen Boomziele des Republikaners
       Reagan.
       
       Die historischen Solarpaneele wurden von ökologisch aufgeklärteren
       Carter-Fans im Lagerhaus eines ländlichen Colleges gebunkert. Fast ein
       Vierteljahrhundert nach dem verpassten Weg zur Energiewende machten die
       Schweizer Regisseurin Christina Hemauer und ihr Kollege Roman Keller
       Carters Stichwort zum Titel ihres Dokumentarfilms.
       
       "A Road Not Taken" ist ein Roadmovie, das die Reise von zwei der berühmten
       Beweisstücken ins Smithsonian Museum beziehungsweise in die
       Jimmy-Carter-Bibliothek begleitet und dabei eine Spurensuche nach den
       historischen Bedingungen des Scheiterns einer sinnvollen Energiewende
       unternimmt. Beim Internationalen Frauenfilmfestival in Dortmund stand der
       freundlich-gnadenlose Blick auf solche Realitäten für die Haltung der
       meisten Filme zum Schwerpunktthema "Was tun".
       
       ## Vor Fukushima
       
       Das größte deutsche Frauenfilmfestival, das alternierend zum zweiten
       Standort Köln in diesem Jahr in Dortmund ausgetragen wurde, legte sich
       instinktsicher bereits lange vor dem Ausbruch der japanischen Erdbeben- und
       Atomkatastrophe auf die Suche nach Filmen von Regisseurinnen fest, die sich
       dem Dilemma der Lücke zwischen unbestechlicher Analyse, düsteren Prognosen
       und apokalyptischen Visionen einerseits und kleinen lokalen überschaubar
       individuellen Abwehraktionen andererseits stellen.
       
       Am Rande eines solchen Festivals wird im Übrigen unmissverständlich
       deutlich, dass Regisseurinnen eher in Dokumentarfilmen die Chance zur
       kreativen Arbeit wahrnehmen können. Im Spielfilmwettbewerb des Festivals
       tangierte Marion Hänsels poetisch minimalistische Studie über junge
       französische Marinesoldaten, die 1972 in der Südsee Zeugen eines
       Atombombenversuchs werden und unter der erzwungenen Sprachlosigkeit über
       das Erlebte leiden, indirekt einen nachhallenden historischen Aspekt der
       Atomdebatte.
       
       Das Spektrum des Filmprogramms machte die vielen Gesichter der Ausbeutung
       von Menschen und Tieren, Naturlandschaften und Rohstoffen deutlich und
       zeigte darüber hinaus die große Ratlosigkeit, wie denn die unbedingt
       notwendige Abkehr von energiefressenden Technologien und wachsender
       Umweltzerstörung zu verwirklichen ist, wie unsere auf Fortschritt
       programmierten Systeme und globalen Machtkomplexe zu Strategien der
       Einschränkung bewegt werden können.
       
       Franny Armstrongs apokalyptisch agitatorischer Brandbrief "The Age of
       Stupid" fand, obwohl bereits zwei Jahre alt, als Gruselschocker über den
       unumkehrbaren Untergang unter aktuellen Vorzeichen beim Festival noch
       einmal ein großes Publikum. Die Regisseurin vermeidet das energieintensive
       Reisen und war daher nur via Skype zum Gespräch bereit. Verzicht als
       kämpferische Haltung, das machten auch viele Filme deutlich, hat immer noch
       eine bizarre Außenseiterposition zur Folge.
       
       Was die meisten Regisseurinnen bewegt, sind die überschaubaren, lokal
       wirkungsvollen Unternehmungen einzelner Menschen, die Systeme, unter denen
       sie leiden, wehrhaft angehen - "von unten" verändern, wie es der weise
       Melancholiker Håkan Hydén, ein schwedischer Rechtssoziologe, in Helene
       Granqvists und Hampus Linders Dokumentaressay "The Art of Being Human" als
       große Zukunftschance umreißt. In "Koundi et le jeudi national" portraitiert
       Ariane Astrid Atodji beispielsweise ein Dorf in ihrem Heimatland Kamerun,
       in dem die lokale Mitbestimmung funktioniert und die ganze Dorfgemeinschaft
       von der Bewirtschaftung des umliegenden Waldes profitiert.
       
       ## Kampf in Rosa
       
       In "Pink Saris" begleitet die britische Filmerin Kim Longinotto die
       indische Aktivistin Rampal Saht, die eine "Gang" von Frauen aus der Kaste
       der Unberührbaren gegründet hat und offensiv für ihre Rechte eintritt,
       indem sie in rosa leuchtendem Kampfgewand in die Dörfer geht und
       Wortgefechte führt, die selbst die lokale Polizei zum Schweigen bringen.
       
       "Pink Saris" lässt sich in Augenhöhe und in fernsehuntypischem
       Montagerhythmus auf die Welt dieser Frauen ein und dokumentiert ihren
       Anspruch auf Gleichstellung und Einflussnahme. Mit Blick auf die westlichen
       Gesellschaften konnte das "Was tun"-Programm schon Bange machen. Warum tun
       wir nichts?
       
       18 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Lenssen
       
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