# taz.de -- Debatte Nato-Einsatz in Libyen: Hammer und Amboss
       
       > Die Führungstroika der Nato will den Regimewechsel. Dazu setzt sie
       > rigoros auf die militärische Karte. Der Situation wird sie damit nicht
       > gerecht.
       
 (IMG) Bild: Rebellen kämpfen in der Nähe von Adschdabiya.
       
       Die westlichen Militäroperationen im libyschen Luftraum, die Präsident
       Obama anfangs als Angelegenheit von Tagen, nicht von Wochen verstanden
       wissen wollte, gehen heute in ihren zweiten Monat. Ein durchschlagender
       Erfolg, gar das Ende des Unternehmens, sind nicht in Sicht.
       
       Frankreichs Präsident Sarkozy und der britische Premierminister Cameron
       verlangten vergangene Woche in Paris die Forcierung der Angriffe auf die
       Stellungen Gaddafis. Alle vorhandenen militärischen Mittel müssten jetzt
       zur Verfügung gestellt werden. Zunehmend lauter rufen die Militärs nach
       mehr Flugzeugen mit Präzisionswaffen gegen Bodenziele. Unübersehbar ist:
       Die Zeichen stehen auf Eskalation.
       
       ## Präzedenzfall Kosovo
       
       Nach der moralischen Rechtfertigung und der politischen Verantwortbarkeit
       der gewaltsamen Intervention gefragt, verweisen die Befürworter mit
       Vorliebe auf den zeitgeschichtlichen Präzedenzfall des Kosovokriegs. Da
       lohnt schon mal genaues Hinsehen. Damals war es die amerikanische
       Außenministerin Madeleine Albright, die mit der Prognose irrte, ein paar
       energische Luftschläge würden genügen, den Kontrahenten in die Knie zu
       zwingen.
       
       Die Nato zog die Schraube an, erhöhte die Angriffsfrequenz, erweiterte die
       Ziellisten. Trotzdem brauchte sie, ehe ihr Kriegszweck erreicht war, 78
       Tage Dauerfeuer in 37.000 Lufteinsätzen mit Bomben und Raketen auf Straßen,
       Eisenbahnlinien, Brücken, Fabriken, Raffinerien, Rundfunksender - 7 Tage
       die Woche, 24 Stunden am Tag.
       
       Dass schließlich in der elften Kriegswoche der serbische Potentat die weiße
       Fahne hisste, leiht ihm noch nachträglich die Gloriole eines
       verantwortungsbewussten Staatsmanns. Denn "sonst hätte die Nato
       weitergebombt", so der damalige Oberbefehlshaber General Wesley Clark,
       "seine Infrastruktur pulverisiert. Wir hätten die Nahrungsmittelindustrie
       zerstört, die Kraftwerke. Wir hätten alles getan, was nötig gewesen wäre."
       So sah es aus, das Kriegsbild, für das eigens ein neuer Name erfunden
       wurde: humanitäre Intervention. Kein gutes Omen für die Menschen in Libyen.
       
       Im Land mit den reichsten Ölvorkommen Afrikas herrscht je nach Blickwinkel
       ein exaltierter Autokrat oder ein skrupelloser Diktator. Es ist derselbe,
       den die Regierungen Europas in ihren Hauptstädten empfingen, mit dem sie
       Handel trieben und Geschäfte schlossen und dessen modernste Waffen
       europäischer Produktion entstammen. Anders als in Tunesien und Ägypten hat
       die Aufstandsbewegung den alten Machthaber bislang nicht aus dem Amt
       drängen können. Seine Anhänger kontrollieren den bedeutenderen, die
       Oppositionellen den übrigen Teil des Landes. Um Größe und Grenzen der
       jeweiligen Besitzstände wird gekämpft.
       
       ## Parteinahme im Bürgerkrieg
       
       Zum militärischen Eingreifen von außen haben Nachrichten den Anstoß
       gegeben, Gaddafis Armee gehe mit Luftangriffen gegen friedliche
       Demonstranten vor. Was daran stimmt, ist bis heute unklar. Das
       UNO-Generalsekretariat in New York, das Pentagon in Washington, sogar die
       westlichen Botschaften vor Ort in Tripolis sahen sich außerstande, die
       Schreckensmeldungen zu bestätigen. Gleichwohl erlaubt die einschlägige
       Libyen-Resolution des UNO-Sicherheitsrats "alle notwendigen Maßnahmen zu
       ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der
       Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen".
       
       Für weitergehende Absichten, zum Beispiel einen Regimewechsel zu erzwingen,
       bietet die Resolution keine Handhabe. Dabei bestand von Anfang an
       Gewissheit, dass der Schutz unschuldiger Zivilisten nicht das einzige Ziel
       westlicher Kampfjets darstellt. Zugleich, wenn nicht vor allem, leisten sie
       Umsturzhilfe für die genehmere der beiden Konfliktparteien im libyschen
       Stammes- und Bürgerkrieg.
       
       Nun ist die Katze aus dem Sack. Die alliierte Führungstroika ließ wissen,
       wie sie sich den Kriegsausgang vorstellt. Obama, Cameron und Sarkozy in
       einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag: Solange Gaddafi an der Macht sei, werde
       der Nato-Einsatz weitergehen. Damit brüskierten sie ihre Bündniskollegen,
       die erst am Vortag auf dem Berliner Ratstreffen als Voraussetzung, die
       militärischen Operationen zu beenden, ausschließlich solche Bedingungen
       genannt hatten, die mit dem UNO-Mandat im Einklang stehen.
       
       Jetzt wird die Sache also ausgeschossen. Zu den Opfern, die schon Gaddafis
       Aufbäumen gegen den doppelten Feind innerhalb und außerhalb seiner
       Landesgrenzen kostet, werden noch diejenigen kommen, die als
       "Kollateralschäden" der Luftattacken anfallen. Deshalb gehört komplexe
       politische Konfliktlösung nicht in die Hände von Militärallianzen. Wer nur
       einen Hammer im Werkzeugkasten hat, wird in jedem Problem den Amboss
       erkennen. Der erste Praxistest der UNO mit dem neuen Rechtsprinzip der
       Schutzverantwortung muss als gescheitert gelten.
       
       ## Gewalt beenden
       
       Und wie sonst kann die libysche Zivilbevölkerung ihrer Zwangslage entgehen,
       wie in den Genuss des bislang nur papiernen Schutzversprechens gelangen?
       Die Antwort ist so trivial wie plausibel: Die Waffen, und zwar alle, müssen
       zum Schweigen gebracht werden, besser heute als morgen, nach Kräften
       flankiert durch die zupackende Unterstützung der internationalen
       Gemeinschaft.
       
       Zwei solcher Initiativen existieren, unterbreitet zum einen vom
       Nato-Mitglied Türkei, zum anderen von einer hochrangigen Abordnung der
       Afrikanischen Union. Sie gleichen sich in der vorgeschlagenen Schrittfolge:
       ein sofortiger Waffenstillstand, Beendigung der Belagerung eingeschlossener
       Städte, ungehinderte Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Einleitung
       eines politischen Verhandlungsprozesses zwischen den libyschen
       Konfliktseiten.
       
       Zusätzlich fordert der afrikanische Plan von der Nato, die Luftangriffe
       unverzüglich einzustellen. Hinter diesen Vermittlungsversuch haben sich die
       sogenannten BRICS-Länder gestellt: Brasilien, Russland, Indien, China,
       Südafrika. Das ist vordergründig eine imposante Gruppierung, doch offenbar
       zu leichtgewichtig, solange die Interventionsmächte keine Bereitschaft
       zeigen, ein anderes als ihr schlichtes Rezept von Hammer und Amboss auch
       nur zu diskutieren.
       
       19 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Mutz
       
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