# taz.de -- Widerstand gegen den Zensus: Wedeln gegen den Apparat
       
       > Michael Ebeling vom Arbeitskreis Zensus arbeitet geduldig gegen die
       > Volkszählung. Die höchste Form der Erregung ist, wenn er mit den
       > Fragebögen fuchtelt.
       
 (IMG) Bild: Frage- und Antwort-Spiel: Zensus-Gegner Michael Ebeling (links) diskutiert mit Lothar Eichhorn vom Landesstatistikamt Niedersachsen (rechts).
       
       HANNOVER taz | Der Zensus kommt nicht, er ist in vollem Gange. Bereits seit
       Ende letzten Jahres werden in großem Stil Personendaten zentralisiert, von
       den Melderegistern, Katasterämtern, Arbeitsagenturen. Die ab dem 9. Mai
       anstehende Stichproben-Befragung ist lediglich die hunderte Millionen Euro
       teure Korrekturschleife.
       
       Doch anders als bei der ersten Volkszählung von 1987 hält sich die
       Aufregung 2011 in Grenzen, wo die privaten Daten vieler sowieso bei
       Facebook gespeichert sind. Außerdem ist die Informationspolitik fest in der
       Hand der Profi-PR-Abteilung der Statistikämter. Wer hier Protest üben will,
       braucht Geduld und Beharrlichkeit - beides hat Michael Ebeling.
       
       Der Ingenieur aus Hannover ist so etwas wie der Kopf der
       Anti-Volkszählungs-Gruppe "AK Zensus" - auch wenn er sich sträubt, als ihr
       Anführer gesehen zu werden, machen er und einige wenige Mitstreiter das
       Gros der Protest-Arbeit alleine. Manche Unterstützer sollen allerdings im
       Verborgenen agieren. "Da gibt es noch ganz andere Leute", sagt Ebeling, die
       seien "härter drauf. Nicht so kreuzbrav wie wir vom AK Zensus."
       
       Derzeit verbringt Ebeling ganze Abende in Serie auf Infoveranstaltungen,
       zuletzt allein zweimal im Hannoveraner Kulturzentrum "Faust". Dort klärt er
       über den Zensus auf und beantwortet die ewig gleichen Fragen. Dabei wirkt
       er wie einer, der selbst gern was erklärt bekommen würde, der nicht immer
       eine Antwort parat hat.
       
       Trotzdem sitzt er dort auf dem Erklärposten, mit grauem Haar und grauer
       Anzughose, nachdenklich, umsichtig, keiner, der auf den Tisch haut.
       Gestikulieren tut er überhaupt nur, um mit den Fragebögen zu wedeln, die
       all das zu verschulden haben. Er hat ein paar Ausdrucke in einem dünnen
       Aktenmäppchen mitgebracht. Das Gewedel ist offenbar Ebelings Form des
       Wutausbruchs.
       
       ## Entäußerung des Privaten
       
       Dass der Zensusgegner Ebeling außer Namen und Kontaktanschrift nicht viel
       über sich preisgeben mag, liegt in der Natur der Sache: Er ist ein privater
       Typ, zurückhaltend bis zur Selbstverleugnung. Darum widersetzt er sich der
       Entäußerung des Privaten durch den Zensus. Sein Haushaltsnettoeinkommen ist
       schwer zu schätzen und unmöglich abzufragen, dass er Ingenieur ist, sagen
       andere. "Lass dich nicht zur Nummer machen", ist einer der Slogans der
       Zensusgegner.
       
       Seit er vor einem Jahr aus Protest gegen die Verschärfung des
       niedersächsischen Versammlungsgesetzes drei Tage lang hungerstreikend vor
       dem Landtag in Hannover ausharrte, gilt Ebeling als höflichster Querulant
       der Stadt. Auch damals war seine Taktik die leise Verweigerung, auch damals
       kämpfte er vermeintlich allein: Ab zwei Personen wäre die "Versammlung"
       innerhalb der Bannmeile verboten gewesen.
       
       Jetzt, 2011, bemüht sich der Aktivist, den Verwaltungsakt Volkszählung mit
       seinen eigenen Waffen zu schlagen, indem er sich selbst zum
       Verwaltungsaufwand macht. Ebeling und die Behörden haben eine gut
       dokumentierte Historie des Aneinander-vorbei-Redens. Unermüdlich werden
       unbeantwortete Fragen in länger werdenden Listen notiert. Unzählige
       E-Mail-Anfragen, die an Statistikämter und kommunale Erhebungsstellen
       gingen, offenbaren auch eine große Überforderung und Kommunikationsschwäche
       der behördlichen Stellen.
       
       Vieles können die Zuständigen selbst nicht beantworten: Wie soll
       sichergestellt werden, dass keine NPD-Mitglieder als Volkszähler rekrutiert
       werden? Dass die Datensammelstellen informationstechnisch und logistisch
       abgeschottet sind? Dass die Interviewer die eingesammelten Fragebögen nicht
       länger als nötig zu Hause lagern?
       
       Zumindest was die Nazis angeht, will selbst die Bild-Zeitung schon mehr
       gewusst haben: Mitte April meldete sie, dass die Rechtsextremen auch in
       Niedersachsen ihre Anhängerschaft aufriefen, sich als Zensus-Interviewer zu
       betätigen - um politische Gegner auszuschnüffeln und "den Grundstein für
       eine nationaldemokratische Marktforschung" zu legen.
       
       Die Behörden sollen über den NPD-Aufruf umgehend informiert worden sein.
       Doch noch vier Tage später wissen die Mitarbeiter des Landesbetriebs für
       Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen (LSKN) nichts davon:
       Eckart Methner, Vorstand des Bereichs Statistik im LSKN, sagt bei der
       Pressekonferenz zum Zensus im Neuen Rathaus in Hannover, dass ihm von
       Unterwanderungsversuchen der NPD nichts bekannt sei. Ebeling protestiert:
       Ob keiner Bild lese? Seine Stimme ist leise, die Frage geht ein bisschen
       unter.
       
       Einen Infoabend nach dem anderen sucht Ebeling heim, mit bohrenden Fragen,
       leise, aber beharrlich. Auf fast jeder öffentlichen Zensus-Veranstaltung
       steigt er aufs Podium, nur um dort immer gleichen unbefriedigenden
       Antworten zu begegnen. Einer dieser Info-Marathon-Tage endet im
       Veranstaltungszentrum Pavillon in Hannover, neben Ebeling auf dem Podium
       sitzt der Vertreter des Landesstatistikamtes Niedersachsen, Lothar
       Eichhorn.
       
       Wären Ebeling und Eichhorn nicht Gegner in einer kontroversen Debatte,
       könnte man sie für Kollegen halten: Beide gehören derselben Generation an,
       sind groß, gelassen, eloquent, tragen ähnlich legere Anzüge. Beide sind die
       Vertreter vergangener Zeiten, als die Sammlung personenbezogener Daten noch
       ein Aufreger war. Als der Protest auf der Straße stattfand und nicht in der
       digitalen Komfortzone.
       
       ## Gute Argumente
       
       Statistiker Eichhorn hat gute Argumente für den Zensus, hört man ihn reden,
       scheint die Notwendigkeit exakter Bevölkerungszahlen unbestreitbar. Die
       Melderegister hätten zahllose "interessante Karteileichen", sagt Eichhorn:
       Ausgewanderte, Spätaussiedler, Studenten. Wissenslücken gäbe es in allen
       Bereichen, wo etwas "pro Kopf" berechnet wird - also fast überall. Jede
       statistische Zahl wird ins Verhältnis zur Grundgesamtheit gesetzt: der
       Bevölkerung Deutschlands. Das hat nur dann einen Sinn, wenn die vermutete
       Zahl der Köpfe auch stimmt.
       
       In seiner Darstellung setzt Eichhorn auf die Kumpel-Strategie: der Staat
       ist nicht dein Feind, alles halb so wild, die Daten sind sicher. So sicher
       wie die Rente? So sicher wie Atomkraftwerke? Für Zensusgegner Ebeling sind
       solche Aussagen blanke Rhetorik. "Da komme ich mir vor wie in der Debatte
       zur Laufzeitverlängerung. Restrisiko, Datensicherheit. Mit welchen
       Begriffskrücken da hantiert wird", sagt er. Allmählich regt er sich doch
       ein bisschen auf.
       
       Allerdings verlieren die amtlichen Stellen langsam die Geduld mit dem
       freundlichen Feind aus Hannover. Zurzeit starten die PR-Abteilungen der
       Statistikämter eine Charmeoffensive, vor gut einer Woche brachten sie eine
       deutschlandweite Plakatkampagne heraus, ersonnen von der Berliner
       Kreativagentur "Zum Goldenen Hirschen": Wimmelbilder in schwarz-rot-gold,
       deren kleinste Einheiten -ein Container im Stapel, ein Fenster im Hochhaus
       - vermutlich den Bürger in einem komplexen Gefüge symbolisieren sollen.
       
       Die Zensusgegner reagierten prompt mit einer eigenen satirischen Version
       der Plakat-Motive - bestenfalls sieht man überfüllte Hörsäle,
       schlimmstenfalls Bilder, die an "ethnische Säuberungen" erinnern oder an
       die Leichenberge in den KZs der Nazizeit.
       
       Nachdem Ebeling bei einer Pressekonferenz in Berlin bereits einen Rüffel
       von Thomas Riede, Leiter der Zensus-PR-Abteilung, erhalten hatte, weil er
       Protest-Flugblätter verteilt hatte, ist das Verhältnis nun vollends
       zerrüttet. Das Statistikamt sieht das gesamte bisherige Frage-Antwort-Spiel
       zwischen ihm und Ebeling als gescheitert an: "Vor diesem Hintergrund sehen
       wir keine Grundlage für eine weitere Kommunikation mit Ihnen", schreibt
       Thomas Riede in einer Mail an seinen fleißigsten Kritiker.
       
       Sieht so aus, als würde Ebeling auf seine offenen Fragen keine Antwort mehr
       erhalten.
       
       26 Apr 2011
       
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