# taz.de -- Ausstellung über Neues Bauen: Als Brandenburg revolutionär war
       
       > In der Mark bauen nicht nur Störche spektakuläre Nester. Neues Bauen hat
       > Tradition und ist Thema der Ausstellung "Aufbruch in die Moderne". Sie
       > zeigt viel Unbekanntes, ist aber leider unübersichtlich.
       
 (IMG) Bild: Modern und offen: der Musikpavillon von Reinhold Mohr in Potsdam (1932).
       
       "Meine Kollegen im Bauamt zeigten mir eines Tages einige gewagte
       Farbskizzen für eine Hutfabrik. Ich fand, sie sähen aus wie
       expressionistische Kunst, und es war immerhin seltsam, es zu wagen, sie
       einem städtischen Baudirektor in Luckenwalde zu unterbreiten", schrieb der
       Architekt Richard Neutra 1962 rückblickend über seine erste Begegnung mit
       den Entwürfen von Erich Mendelsohn. Mendelsohn hatte 1922 das "Wagnis"
       unternommen, für den Hutfabrikanten Gustav Herrmann eine Architektur voller
       Dynamik, Expressivität und Modernität zu entwerfen. Die Fabrik in
       Luckenwalde mit einem verglasten Erdgeschoss und einem trapezförmigen,
       steil aufragenden Dach - ähnlich einem markanten Hut - war eine der
       innovativsten Bauleistungen jener Jahre.
       
       Dass Mendelsohns Meisterwerk später umgebaut wurde, verfiel und erst jetzt
       wieder saniert wird, hat seine Bedeutung für die Architekturgeschichte
       nicht geschmälert. "Luckenwalde", wie der Berliner Architekturhistoriker
       Julius Posener einmal über den Mendelsohnbau im tiefen Brandenburgischen
       erzählte, "war wirklich etwas revolutionär Neues".
       
       Nicht nur die Hutfabrik gehört heute zu den Ikonen der modernistischen
       Baukultur, die zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der
       Naziherrschaft in Brandenburg entstand. Auch Mendelsohns Einsteinturm
       (1922) in Potsdam, Hannes Meyers Gewerkschaftsschule (1930) in Bernau, die
       AEG-Siedlung (1919) in Hennigsdorf von Peter Behrens und Bruno Tauts buntes
       schnittiges Dahlewitzer Wohnhaus (1926) sind architektonische Meisterwerke.
       
       Weniger bekannt ist, dass während der Weimarer Zeit diese neue
       Architektursprache fast flächendeckend im "Märkischen" Einzug hielt und
       wichtige Spuren hinterlassen hat. Die Ausstellung "Aufbruch in die Moderne.
       Architektur in Brandenburg 1919 bis 1933" spürt am Beispiel von 39
       Bauwerken diesen, zum Teil verschütteten Spuren nach. Sie gibt erstmals
       einen repräsentativen Überblick über den umfangreichen Bestand der Bauten
       und ihrer Architekten.
       
       Dass die Schau der Potsdamer Architektenkammer gemeinsam mit dem Haus der
       Brandenburgisch-Preußischen Geschichte sich nicht nur auf die Meister der
       Moderne - Gropius, Otto Bartning, Bruno Möhring, Mies van der Rohe und Max
       Taut - konzentriert, sondern gleichzeitig weniger bekannte Architekten
       vorstellt, ist ein weiterer guter Zug der Kuratoren. Gebäude und Siedlungen
       bisher kaum gewürdigter Bauherren und Architekten werden so präsentiert.
       Die Vielfalt der Stile vom Expressionismus bis zur radikalen Moderne - die
       man in Brandenburg nicht unbedingt erwartet hätte - rücken in den Blick.
       
       Brandenburg stand, ähnlich wie das Ruhrgebiet, nach dem Ende des Ersten
       Weltkriegs synonym für den "Aufbruch in eine neue Zeit", sagte Bernhard
       Schuster, Präsident der brandenburgischen Architektenkammer, bei der
       Eröffnung. Trotz des Zusammenbruchs des Kaiserreichs, eines "tiefen
       Wertewandels in der Gesellschaft und des Ringens politischer Gruppen um die
       Macht" verfiel das Land zwischen Oder und Elbe "nicht in Agonie".
       Brandenburg stellte sich vielfach dem sozialen und strukturellen Wandel.
       "Sein Gestaltungswille drückte sich zudem in neuen Konzepten und Utopien
       aus."
       
       ## Funktionale Gliederung
       
       Als "exemplarisches Beispiel" für diese Veränderung nennt Schuster
       Frankfurt (Oder). Hier wurde 1911 das Städtische Gymnasium noch im
       überladenen Stil der Neorenaissance errichtet. Zwei Jahrzehnte später
       entstand die vom Bauhaus initiierte wunderschöne Pädagogische Akademie von
       Hans Petersen in sachlichen, hellen Kuben und funktionaler Gliederung.
       
       Den Aufbruchsgeist der Weimarer Republik beflügelte, dass die alten
       Industrie- und Handelsstandorte Brandenburg/Havel, Cottbus, Neuruppin,
       Oranienburg, Luckenwalde, Frankfurt (Oder) und auch Potsdam erheblich an
       wirtschaftlicher Bedeutung gewannen - und prosperierten. Brandenburg
       lieferte immer mehr Waren und Güter nach Berlin. Die überwiegend
       sozialdemokratisch regierten Kommunen und Bauämter machten mittels
       Förderprogrammen den sozialen Siedlungs- und Wohnungsbau zum zentralen
       Thema. Zugleich entstanden Reformschulen, Schwimmbäder, Industriegebäude,
       neue große öffentliche Verwaltungen und Verkehrsbauwerke wie etwa das
       Schiffshebewerk in Niederfinow. Deren Realisierung und die Möglichkeit, mit
       den neuen Materialien Beton, Stahl, Glas sowie dem Einsatz von Farbe zu
       arbeiten, reizte die Nachwuchsarchitekten. Brandenburg war für die "jungen
       Wilden" in dieser Zeit "Experimentierfeld für Bauaufgaben und Ideen", so
       Schuster.
       
       Wegweisend für die Architektur der Moderne und nachfolgende Bautypen waren
       und sind die bis dato genutzten Filmstudios in Babelsberg. 1928 entwarf
       Otto Kohtz das schlichte backsteinrote "Tonkreuz". Es war das erste und
       bedeutendste Filmatelier Deutschlands mit vier - kreuzförmig gegliederten -
       schall- und schwingungsfreien Aufnahmehallen.
       
       Eine neue Idee verkörpert auch das "Wohlfahrtsforum" (1928) von Karl Erbs
       und anderen in Brandenburg/Havel. Der riesige, geschwungene Baukomplex
       bündelt eine Schwimmhalle, Turnhalle, die Büros der Krankenkasse AOK,
       Behandlungsräume, Liegeflächen und Vortragssäle. Als Zeichen der
       Reformpolitik des Landes und in einer schnittigen Architektursprache
       geplant sollte sich zudem eine Volkshochschule anschließen. Sie kam aus
       Kostengründen nicht zustande.
       
       Erbs, bis 1938 Baustadtrat, holte sich für die neue Stadtentwicklung eine
       ganze Reihe namhafter Architekten an die Havel. Wilhelm Rave baute 1926 das
       Verwaltungsgebäude des Stahlwerks, Otto Bartning 1928 die gestaffelten
       Kuben für die evangelische Christuskirche und Otto Haesler 1931 die
       luftig-lichte Siedlung am Friedrich-Ebert-Ring. "Die Stadt von morgen",
       lobte der Architekturkritiker der Weimarer Zeit, Adolf Behne, die Gebäude
       des Neuen Bauens. Während Frankfurt (Oder) mit modernen Schul- und
       Akademiearchitekturen an seine Zeit als Bildungsstandort anknüpfte, setzte
       Cottbus auf den zukünftigen Industriebau. Werner Issels Dieselkraftwerk,
       das 1927 die AEG in Auftrag gegeben hatte, und Helmuth Schröders
       sachlich-feingliedrige Feuerwache (1929) waren baulich und technisch
       innovative Funktionsbauten. Das buntscheckige Dieselkraftwerk wurde 1959
       geschlossen, 2008 wieder als Kunstmuseum eröffnet und ist heute für
       Besucher geöffnet.
       
       Die Potsdamer Ausstellung und ihre sechs Abteilungen - Gebaute Utopien,
       Wohnen, Gemeinschaftsbauten, Private Wohnhäuser à la Corbusier,
       Industriebauten, Verkehrsbauten - rufen zum Besuch der noch bestehenden
       Architekturen auf. Was dringend zu empfehlen ist, kommt doch die Schau in
       ihrer Konzeption äußerst problematisch daher. Zudem mangelt es an wichtigen
       Informationen über die Nutzung, den Umbau und den Denkmalschutz der 39
       Bauten zu DDR-Zeiten. Bis auf ein paar wenige große Möbel, Prospekte und
       Bild- beziehungsweise Filmsequenzen sind die ausgewählten Dokumente und
       Fotos, Pläne und Zeichnungen klein und eng nebeneinandergepresst. Die Schau
       ist unübersichtlich und undifferenziert aufgemacht. Man muss eine Brille
       aufsetzen, sonst sieht man nichts: Was schade ist, will man doch vielfach
       Unbekanntes vorstellen. Und was unverständlich bleibt, wurde an diesem
       Projekt doch einige Jahre gefeilt.
       
       ## Was kam nach 1933?
       
       Am Ende der Ausstellung im Potsdamer Kutschstall stellen die Kuratorinnen
       Nicola Bröcker und Simone Oelker-Czychowiski die Frage nach der Wirkung des
       Neuen Bauens in Brandenburg über das Jahr 1933 hinaus. Das ist ein
       wichtiger Aspekt, lebt doch etwa in der Reichsautobahntankstelle (1937) bei
       Fürstenwalde von Friedrich Tamms oder in der Heinkel-Fliegerhalle bei
       Oranienburg (1936) noch der Geist jener Aufbruchjahre weiter. Erst danach
       gewann auch bei brandenburgischen Industrie- und Verkehrsbauwerken der
       monumentale Stil der NS-Architektur die Oberhand. Aber das ist ein anderes
       Thema.
       
       28 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bücher über Architektur: Bevor Neutra nach Kalifornien ging
       
       In „Richard Neutra in Berlin“ geht es um den Bau von vier Zehlendorfer
       Häusern im Kontext moderner Stadtentwicklung der 20er-Jahre.