# taz.de -- Nach Neonazi-Angriff auf Migranten: Brandstifter im schwäbischen Idyll
       
       > Es sollte Steaks und Bier geben. Stattdessen setzte es Prügel und
       > plötzlich brannte die Gartenlaube. Jetzt fragen Bürger und Opfer, warum
       > die Tat nicht verhindert worden ist.
       
 (IMG) Bild: Nichts ist mehr übrig: die kleine Gartenhütte der Tecers.
       
       WINTERBACH taz | Was für ein schöner Flecken Erde. Die Abendsonne fällt
       durch die Zweige der Apfelbäume, weiße Blüten, wohin man schaut, drüben am
       Hang wächst der Riesling. Engelberg heißt der Flecken, auch für die Familie
       Tecer war er etwas Besonderes. Einen Maulbeerbaum haben sie hier gepflanzt,
       der im Sommer kleine süße Früchte abwirft. Ein paar Meter weiter, neben
       einem knorrigen Birnbaum, stand die Gartenlaube der Tecers. Jetzt liegt sie
       in Schutt und Asche, abgefackelt von Neonazis.
       
       Ali Tecer, mit 20 Jahren der jüngste von drei Brüdern, kam oft hier hoch,
       um vom Engelberg die Sonne über Winterbach untergehen zu sehen, einer
       7.700-Einwohner-Gemeinde im Stuttgarter Speckgürtel. Fachwerkhäuser,
       Mittelalterkirche, Arbeitslosenquote 4,5 Prozent.
       
       Am 9. April wollte Ali Tecer mit seinen beiden älteren Brüdern und ein paar
       Freunden grillen; manche von ihnen kicken mit ihm im Nachbarort beim TV
       Weiler. Sie hatten Rindersteaks gekauft, türkische Wurst, Brot, Bier. Was
       sie nicht ahnten: Ganz in der Nähe feierten auch an die 60 Rechtsextreme.
       
       Jetzt steht Ali Tecer zum ersten Mal nach dem Überfall wieder hier, in
       Jogginghose und Kapuzenpulli. Der schlaksige junge Mann humpelt noch
       leicht, die Rippe schmerzt, fünf Tage lag er im Krankenhaus. Er steigt in
       weißen Espandrillos über die Reste der Gartenhütte. Das schwarze Etwas auf
       dem Boden war die Tür, hier liegen Teile eines Generators, eine
       zusammengeschrumpelte Schüssel mit Salat. Es riecht immer noch verbrannt.
       
       ## Prügel und Tritte
       
       Die Angegriffenen schildern den Überfall so: Irgendwann nach Mitternacht
       habe einer der Rechten einen von ihnen auf einem Feldweg in der Nähe fast
       mit dem Auto über den Haufen gefahren. Es gab Zoff. Kurz darauf hätten die
       Neonazis die jungen Männer angegriffen, sie geprügelt und getreten, sogar
       Äxte glaubt einer in den Händen der Rechten gesehen zu haben.
       
       Ali Tecer, seine beiden Brüder und zwei weitere Freunde verschanzen sich
       aus Angst vor dem Mob in der Hütte. "Dann kam überall Rauch rein", sagt Ali
       Tecer. Er steht zwischen den Resten der Wände und schüttelt den Kopf. Um
       kurz vor zwei Uhr riefen sie aus der brennenden Hütte heraus in panischer
       Angst die Polizei an. Die riet ihnen: Sofort raus! Gerade noch konnten sie
       sich befreien und davonrennen.
       
       Anschlag auf "Ausländer", schrieben die Zeitungen. Das irritiert Ali Tecer.
       Zwar haben manche der Freunde einen türkischen oder italienischen Pass,
       aber er ist Deutscher, hier geboren, ging hier zur Schule, macht jetzt die
       Lehre zum Kfz-Mechatroniker beim BMW-Händler in Schorndorf, der
       nächstgrößeren Stadt. "Und dann sind wir immer noch die Ausländer." Neben
       ihm steht sein Vater, Duran Tecer, der vor 40 Jahren nach Deutschland kam,
       als Sohn eines Gastarbeiters bei Bauknecht. Er selbst ist Dreher. "Ich
       dachte immer, so etwas passiert nur im Osten", sagt er, seine Augenringe
       verraten die Sorgen der letzten Tage. "Für mich ist das Terror."
       
       Versuchter Mord lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Wer von den
       Verdächtigen die Hütte wie angezündet hat, wissen die Ermittler immer noch
       nicht, aber sie haben keinen Zweifel, dass er aus der Gruppe der
       Rechtsextremen kam. 34 Wohnungen hat die Polizei durchsucht und dabei
       Säbel, Messer, eine Axt und ein Beil mitgenommen. Gegen 18 Personen bestehe
       ein "engerer Tatverdacht", heißt es in einem Zwischenbericht von
       Donnerstag.
       
       Wer sich in Winterbach und Umgebung umhört, trifft viele schockierte
       Bürger. Sie sagen Sätze wie: "Das hätte ich bei uns nicht für möglich
       gehalten." Eine Woche nach dem Anschlag gingen mehr als 1.000 Menschen
       demonstrieren, am Tag darauf zündeten die Winterbacher am Marktplatz
       "Kerzen gegen Brandstifter" an. Man trifft im Rems-Murr-Kreis aber auch auf
       Bürger, die schon geahnt haben, dass es so weit kommen würde - weil es vor
       elf Jahren schon mal so weit kam. Und die nun Politik und Polizei
       vorwerfen, die rechtsextreme Gefahr heruntergespielt zu haben.
       
       ## "Drecksausländer" grölten die Neonazis
       
       "Rostock, Mölln, Solingen: Winterbach hätte in dieser Reihe stehen können",
       sagt Walter Burkhardt. Er sitzt in kurzem Hemd und Jeans vor dem Café
       Moser, einer griechischen Gaststätte am Schorndorfer Bahnhof, fünf
       Kilometer von Winterbach entfernt. Burkhardt arbeitet für die AWO und ist
       beim DGB, gerade kommt er vom hiesigen Treffen des Bündnisses gegen
       Fremdenfeindlichkeit. Er hat es vor elf Jahren gegründet. Damals hatten
       Neonazis einen Griechen, der auf dem Heimweg war, mit ihren
       Springerstiefeln zusammengetreten. "Gleich hier vorne war das", sagt
       Burkhardt und zeigt in die gepflasterte Altstadt.
       
       Der heute 55-Jährige Grieche wird ein paar Tage später am Telefon sagen,
       dass er den Überfall vom November 2000 endlich hatte vergessen wollen.
       Jahre traute er sich nicht mehr nachts allein durch die Stadt. Mit dem
       Überfall im Nachbarort kommt die Erinnerung wieder hoch. Gerade sei er mit
       einem Freund zu der Gasse gegangen. Er zeigte ihm, wo sie ihn damals
       niederstiefelten. "Drecksausländer" grölten sie dabei.
       
       Und nun wiederholt sich alles.
       
       Ausgerechnet einer der Schläger von vor elf Jahren war jetzt am 9. April
       Gastgeber der rechten Party in Winterbach: Christian W., 35, ehemaliger
       Sprecher der NPD im Landkreis. Für seine Beteiligung an dem Angriff im
       November 2000 wurde er damals nur zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
       Dann landete er in einem Neonazi-Aussteigerprogramm des Landeskriminalamts
       - ohne Erfolg. Jetzt führt ihn die Staatsanwaltschaft als einen der
       Beschuldigten des Winterbacher Brandanschlags.
       
       Die Polizei wusste schon vorher von der Party des Neonazis, zu der dann
       Rechte aus ganz Baden-Württemberg und dem Saarland kamen. Und es war nicht
       das erste Event dieser Art auf dem Gartengrundstück: Im September spielte
       dort bei einer Feier die Thüringer Neonaziband Kinderzimmerterroristen.
       
       In der Winterbacher Gemeindeverwaltung will man nichts von den braunen
       Umtrieben auf dem Engelberg gewusst haben - und auch die Tatsache, dass der
       NPD-Kreisverband als Adresse das Postfach 1221 in Winterbach angibt, war
       dort nicht bekannt.
       
       Jetzt kam auch noch heraus, dass die NPD im 15 Kilometer entfernten
       Schwäbischen Hof mehrfach ihre Parteitage abhalten konnte - heimlich: Der
       Landrat, die Polizei und der dortige Bürgermeister behielten es für sich.
       Die lokalen Medien sprechen nun von einem "Schweigekartell", das braune
       Umtriebe aus Angst ums Image nicht öffentlich mache. Einen
       Antirechtsaktivisten, der anonym bleiben möchte, erinnert das an die drei
       Affen: "Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen."
       
       Ganz so leicht ist es nicht.
       
       Ein U-förmiger Verwaltungsbau im 15 Kilometer entfernten Waiblingen. In
       einem Büro unterm Dach sitzt Andreas Lindauer, ein sportlicher Typ mit
       muskulösen Oberarmen unter dem Poloshirt. "Ich bin gewaltig angefressen",
       sagt er. Lindauer, 48, ist Chef der Korex. Das ist eine Sonderstelle gegen
       Rechtsextremismus bei der Polizeidirektion Waiblingen, gegründet in
       Reaktion auf den Angriff auf den Griechen im November 2000 und einen
       Anschlag auf ein Flüchtlingsheim kurz zuvor.
       
       ## "Gefährderansprachen"
       
       "Null Toleranz" sei die Strategie seiner Truppe, sagt Lindauer. Wann immer
       er und seine Kollegen von einem geplanten Neonazikonzert oder einer rechten
       Feier Wind bekommen, versuchten sie das Event zu verhindern. Kann man
       rechtlich was machen? Gibt es einen Wirt oder einen Vereinsheimbetreiber,
       auf den man Druck ausüben kann? Haben die Rechten bei der Anmeldung etwas
       falsch gemacht? Lässt sich eine Veranstaltung nicht verhindern, versucht
       die Polizei die Rechten zu behindern. Mit "Gefährderansprachen" werde den
       Neonazis zu verstehen gegeben, dass die Polizei sofort einschreiten wird,
       sollten sie verbotene Parolen brüllen oder den Arm zum Hitlergruß heben.
       "Wir sind denen ständig auf die Füße getreten", sagt Lindauer.
       
       Vor einigen Jahren hängten Rechtsextreme ein Plakat mit einem Hakenkreuz
       über eine Brücke an der B14. "Kein Vergeben, kein Vergessen, auch Bullen
       haben Namen und Adressen", stand darauf. Darunter: Lindauers Name. Jetzt
       liegt vor ihm ein Stapel mit Zeitungsartikeln. Die mit dem angeblichen
       "Schweigekartell" aus Polizei und Politik. "Auf einmal wird unsere ganze
       Arbeit infrage gestellt", sagt er.
       
       Lindauer geht zum Rechner und klickt durch die Statistiken. Er geht auf das
       Jahr 2006, scrollt zu den "politisch motivierten Straftaten" im Kreis. 12
       rechte Gewalttaten. Dann klickt er auf das Jahr 2010: Nur noch 2 rechte
       Gewalttaten.
       
       Antirechtsaktivisten interessieren solche Statistiken jetzt nicht. Sie
       fragen: Wo war die Polizei bei dem Überfall der Rechtsextremen auf dem
       Engelberg?
       
       Sie war da - noch bei Tageslicht. Am frühen Abend fuhr eine Streife zu dem
       Grundstück, keine 200 Meter von der Laube der Tecers entfernt. Die
       Polizisten sagten den Rechten: Wir haben euch im Auge, passt auf - und
       fuhren wieder davon. Sie dachten: Das müsste reichen. Wenige Stunden später
       zündeten die Neonazis die Hütte an. Das Feuer leuchtete bis runter ins
       Remstal.
       
       "Wenns darauf ankommt, hilft die Polizei nicht", sagt der
       Antirechtsaktivist.
       
       "Wir können die Rechten nicht zum Flughafen fahren und abschieben", sagt
       der Polizist.
       
       "Die gehören ins Gefängnis", sagt das Opfer.
       
       "Ich bin gottfroh, dass meine drei Kinder noch leben", sagt der Vater.
       
       30 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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