# taz.de -- Ehemaliges Internierungslager in Osnabrück: Kampf um Baracke 35
       
       > In Osnabrück steht das ehemalige Offizierslager, in dem während des
       > Zweiten Weltkriegs Serbische Offiziere interniert waren, zum Verkauf.
       > Eine Initiative will eine Gedenkstätte errichten.
       
 (IMG) Bild: Steht zum Verkauf: das Geländer der ehemaligen Armeekaserne in Osnabrück.
       
       OSNABRÜCK taz | Es muss ein merkwürdiges Bild gewesen sein: Männer in
       fremden, vermutlich schon etwas zerschlissenen Uniformen schieben einen
       Leichenkarren durch die Straßen, bewacht von Wehrmachtssoldaten.
       
       Es geht vom Osnabrücker Stadtteil Atter im Nordwesten einmal quer durch die
       Stadt bis zum Friedhof Magdalenenstraße im Südosten, in aller
       Öffentlichkeit. Es sind serbische Offiziere jüdischen Glaubens, die im
       Offizierslager "Oflag VI C" in Atter interniert sind und mitten in
       Osnabrück bis 1944 nach jüdischem Ritus ihre Toten beerdigen.
       
       Während in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder München die Deportationszüge
       unaufhörlich in Richtung der Vernichtungslager Treblinka, Majdanek und
       Auschwitz rollen.
       
       Das Lagergelände, auf dem ab 1935 zunächst Armeekasernen erbaut werden,
       wird mit Beginn des Zweiten Weltkrieges in ein Kriegsgefangenenlager
       umgewandelt. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf das damalige Königreich
       Serbien im April 1941 werden hier vorrangig serbische Offiziere interniert.
       
       Von den insgesamt 5.000 Offizieren sind rund 400 Anhänger der kommunistisch
       orientierten Volksbefreiungsbewegung, die sich gegen die Deutschen
       gegründet hat; gut 450 weitere Offiziere sind jüdischen Glaubens.
       
       Beide Gruppen werden in einem extra Teil des Lagers untergebracht, doch
       werden die Regeln der Genfer Konvention für Kriegsgefangene einigermaßen
       eingehalten. Die jüdischen Offiziere können fast unbehelligt den Schabbat
       und die jüdischen Feiertage feiern; es gibt eine Gebetsbaracke. Als
       Militärgeistlicher arbeitet Zvi Asari, der spätere Landesrabbiner von
       Niedersachsen.
       
       Aktuell steht das Gelände, auf dem all das sich ereignet hat zum Verkauf.
       Verkäufer ist die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Gedacht ist
       an eine Mischnutzung von Gewerbe und Wohnungen. Wie man so hört, ist ein
       Investor daran interessiert, der in der Solarbranche tätig ist.
       
       Zugleich hat sich in Osnabrück, dass sich ganz offiziell "Friedensstadt"
       nennt, eine Initiative gegründet, die dem Verkauf des Geländes nicht
       tatenlos zusehen will: der Verein "Antikriegsbaracke Atter-Osnabrück e.V.".
       
       Er strebt an, die Geschichte des Lagers zu erforschen und an das zu
       erinnern, was damals geschehen ist. "Wir wissen noch nicht allzu viel",
       sagt Vereinsmitglied Peter Niebaum: "Aber was wir wissen, sagt uns, dass
       wir uns Zeit lassen müssen, mit dem Verkauf und der Umgestaltung."
       
       Dabei ist das Anliegen der Initiative bescheiden: Keineswegs soll das
       gesamte 38 Hektar große Areal mit seinen knapp 40 Baracken, Fahrzeughallen
       und Verwaltungsgebäuden in Gänze erhalten und in eine Gedenkstätte
       umgewandelt werden. Man wäre mit der Baracke Nr. 35, in dem einst Teile der
       Wachmannschaften untergebracht waren, schon zufrieden.
       
       Dabei kann sich die Initiative generell auf die Zustimmung des örtlichen
       Denkmalschutzamtes stützen: "Alle zur Ausweisung anstehenden Bauten, die im
       Kern aus der Zeit des 2. Weltkrieges stammen, besitzen einen
       geschichtlichen Zeugniswert für die Vorgänge dieser Zeit", heißt es in
       einem Gutachten des Denkmalschutzamtes Osnabrück. Gut 20 Baracken werden
       als schutzwürdig eingestuft.
       
       Die BIMA hat auf ihre Weise reagiert und der Initiative ein erstes Angebot
       unterbreitet: Ja, sie könnte die Baracke mit der Nummer 35 gerne haben -
       gegen die Summe von 49.000 Euro. Plus das, was es kosten würde, einen
       separaten Zugang jenseits des bisherigen Lagereinganges zu errichten und
       wieder Strom und Wasser anzuschließen.
       
       Dabei ist nicht nur die Initiative an der Baracke 35 interessiert, um hier
       neben historischer Forschung auch eine Art Seminarhaus zu betreiben.
       Einsteigen würden dabei auch die Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. und
       die Erich Maria Remarque-Gesellschaft e.V. Mit dabei wäre auch die
       serbisch-orthodoxe Gemeinde Osnabrücks.
       
       Und damit hat es wiederum folgendes Bewandtnis: Als im Mai 1945 das Lager
       aufgelöst wurde, war den Königstreuen unter den serbischen Offizieren klar,
       dass sie im neu gegründeten und vor allem kommunistisch regierten
       Jugoslawien des Marschalls Josip Broz Tito nicht unbedingt willkommen sein
       dürften. Und sie legten ihre serbische Staatsbürgerschaft nieder, nahmen
       die deutsche an - um zu bleiben.
       
       1962 gründeten sie ganz in der Nähe eine Kirche. Die Kirche hat in ihrer
       Bauart eine auffällige Ähnlichkeit mit der mittelalterlichen Kirche des
       Klosters Kalenic, das sich südlich von dem Ort Kragujevac befindet. Hier
       verübte die deutsche Wehrmacht als sogenannte Vergeltungsmaßnahme am 21.
       Oktober 1941 ein Massaker an der örtlichen Bevölkerung: 2.323 Bewohner
       wurden erschossen.
       
       Der Prozess gegen die damals Tätigen ruht seit Jahren. Der Sprecher der
       Initiative, Helmut Schmitz, sagt: "Es gibt so viele serbisch-orthodoxe
       Kirchen - warum hat man sich damals ausgerechnet an dieser Kirche
       orientiert?" Auch wenn das an sich noch keinerlei Beweis ist. Und so sagt
       er: "Wir müssen noch viel forschen, um uns nicht in Spekulationen zu
       verlieren."
       
       Und noch eine weitere, wichtige Spur gibt es, die zu verfolgen sich lohnen
       würde: Denn als SS-Chef Heinrich Himmler im Oktober 1944 alle
       Kriegsgefangenenlager, die bis dahin der Wehrmacht unterstehen, seinem
       Zuständigkeitsbereich zuschlagen kann, schickt die Lagerverwaltung die
       jüdischen und auch kommunistischen Offiziere aus Osnabrück auf eine lange
       Reise.
       
       Es geht erst nach Straßburg, dann nach Schleswig-Holstein, weiter Richtung
       Oder, wieder zurück nach Osnabrück, bis die Offiziere schließlich Mitte
       April in dem Ort Hodenhagen an der Aller nahe Bergen-Belsen von der
       britischen Armee befreit werden können.
       
       "Die Männer wurden ja die ganze Zeit von Wachmannschaften begleitet, es
       wurden so jede Menge Kräfte gebunden und das, wo doch an der Front zuletzt
       jeder Mann gebraucht wurde, das wundert einfach", sagt Schmitz. Hat es hier
       jemanden gegeben, der mitten in den letzten Kriegswirren dafür gesorgt hat,
       dass die meisten der Offiziere überleben konnten?
       
       Derzeit sieht es nicht so schlecht aus, dass Niebaum, Schmitz und ihre
       Mitstreiter ihren Plan realisieren können - auch wenn die jüdische Gemeinde
       Osnabrück vorerst zwar das Engagement der Initiative lobt, aber eher für
       eine zentrale Gedenkstätte jüdischen Leidens in Bergen Belsen oder
       innerhalb der Gedenkstätte Augustaschacht bei Osnabrück plädiert.
       
       Interessiert zeigt sich dagegen die Stiftung der niedersächsischen
       Gedenkstätten. Deren Leiter Habbo Knoch sagt: "Grundsätzlich sollte man bei
       einer solchen historischen Substanz, die zum Kontext von NS-Verbrechen
       gehört, mit Zeit eine fachbezogene Diskussion führen - auch im Vergleich zu
       anderen Orten der NS-Verbrechen in Niedersachsen und den bisherigen
       Gedenkstätten."
       
       Die Stiftung würde dafür gerne eine Plattform bieten. Auch von der Stadt
       Osnabrück aus, die sich derzeit offiziell noch darauf zurückzieht, dass es
       bei der Fläche des ehemaligen Lagers um Eigentum des Bundes und nicht der
       Stadt handelt und die die Ausweisung ihres eigenen Denkmalschutzamtes
       abgewiesen hat, gibt es Signale, sich mit den Überlegungen der Initiative
       zu beschäftigen.
       
       Bald werden im Verwaltungsausschuss die Vertreter der Parteien dazu
       Stellung beziehen. Die BIMA hat sich gemeldet und die Möglichkeit weiterer
       Gespräche signalisiert. "Am Anfang hat man nicht auf unsere Initiative
       reagiert", sagt Schmitz, "aber langsam kommt Bewegung in die Sache."
       
       6 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
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