# taz.de -- Ausstellung "Berlin unterm Notdach": Dialektischer Blick auf die Trümmerzeit
       
       > Die Ausstellung "Berlin unterm Notdach" zeigt Nachkriegsbilder des
       > Berliner Fotografen Fritz Eschen. Sie zeigen verwaiste Straßen und
       > zerstörte Zentren.
       
 (IMG) Bild: Der Tiergarten oder was von ihm übrig war.
       
       Einsam ragt die Lessing-Statue aus einer gerodeten Fläche empor. Gestrüpp
       gibt den Blick frei auf ein monumentales Gebäude mit zerstörter Kuppel. Die
       Szenerie hat 1945 der Fotograf Fritz Eschen (1900-1964) aufgenommen. Die
       gerodete Fläche ist der Tiergarten - restlos abgeholzt von frierenden
       Berlinern, die damit ihre Öfen heizten. Das monumentale Gebäude ist der
       Reichstag, von den Kriegshandlungen schwer beschädigt. Auf dieses Panorama
       blickt der unversehrt gebliebene Humanist Gotthold Ephraim Lessing, als
       wolle er sagen: "Hättet ihr mal auf mich gehört!"
       
       Drastisch ist dieses Bild, das in der [1][C/O-Galerie im Postfuhramt] von
       Ansichten der verwaisten Hofjägerallee, der skelettierten Gedächtniskirche
       und des schuttbedeckten Tauentzien flankiert wird. "Berlin unterm Notdach"
       heißt die Schau mit rund 120 zwischen 1945 und 1955 aufgenommenen
       Schwarz-Weiß-Fotografien von Fritz Eschen. Anders als der Titel suggerieren
       mag, sind die Bilder mehr als nur historisch wertvolle Ansichten aus der
       Trümmerzeit. "Eschens Arbeiten sind voller Dialektik und Ironie. Das ist
       große Fotokunst", sagt der Fotohistoriker Mathias Bertram, der in der
       Deutschen Fotothek in Dresden Eschens Nachlass ordnet. Über 90.000
       Aufnahmen sollen es sein, die der als Sohn eines jüdischen Kaufmanns im
       Westen Berlins Geborene im Lauf seines Lebens machte.
       
       Dabei hätte Eschen, der in eine gutgehende Telefonanlagen-Firma
       einheiratete, Unternehmer werden sollen. Den Chefsessel beim Schwiegervater
       tauscht er bald gegen Kamera und Stativ. Ab 1929 arbeitet er als
       freiberuflicher Bildreporter für Zeitungen und Zeitschriften. Die Nazis
       belegen den Juden ab 1933 mit Berufsverbot, er hält sich mit kommerzieller
       Fotografie und Lehrtätigkeiten über Wasser. Nur die "privilegierte
       Mischehe" mit seiner nichtjüdischen zweiten Frau Lipsy Thumm bewahrt Fritz
       Eschen vor der Deportation. Thumm ist unter den berühmt gewordenen Frauen,
       die 1943 in der Rosenstraße mit lautstarkem Protest die Freilassung ihrer
       von den Nazis inhaftierten Männern erreichen. Auch Eschen kommt frei, muss
       Zwangsarbeit leisten. Und nimmt gleich nach der Befreiung die fotografische
       Arbeit wieder auf.
       
       Der Fotograf, der nach Kriegsende sein Geld mit Erinnerungsbildern für
       alliierte Soldaten beginnt, macht sich daran, den Alltag in der zerstörten
       Großstadt zu dokumentieren. Er zeigt Frauen, die den Müll der Amerikaner
       nach Essbarem durchwühlen, Kinder, die zwischen Trümmern spielen,
       Kriegsheimkehrer, die zu Hunderttausenden am Lehrter Bahnhof ankommen.
       Eschen porträtiert die von zwölf Jahren Naziherrschaft und Krieg
       gezeichnete Stadt ohne Häme oder Triumph. Ironie erlaubt er sich aber
       durchaus, wie ein Bild von an der Straße sitzenden Berlinern zeigt. Auf
       nackten Gusseisengestellen sitzen sie, die Bretter wurden abmontiert und
       als Brennmaterial verfeuert. Eschen, dem als Juden das Sitzen auf
       "arischen" Parkbänken verboten worden war, hatte ein Gespür für solche
       Absurditäten der Geschichte.
       
       Neben dem Alltag - Hungerwinter, Wiederaufbau, Schwarzmarkt und
       Währungsreform - zeigen Eschens Fotos, wie schnell die Berliner Kulturszene
       wieder auflebte. Neben der ersten Nachkriegsvorstellung in der Staatsoper
       und einem Zirkusensemble mit Pferd, das die Straßen entlang läuft, ist
       Jean-Paul Sartre vor einer Lesung im Hebbel-Theater zu sehen. An den
       Porträts prägender Nachkriegs-Persönlichkeiten erkennt man, dass Eschens
       Blick keinesfalls ein neutraler ist: Durch Auswahl und Präsentation der
       Porträtierten gibt der Fotoreporter einen subtilen Kommentar ab. So stellt
       er die Philosophen Martin Heidegger und Karl Jaspers nebeneinander.
       Heidegger, der NS-Rektor der Uni Freiburg und auch nach dem Krieg
       uneinsichtig, trägt Trachtenjacke mit Eichenlaub und blickt grimmig drein.
       Jaspers, während der Nazizeit mit Lehrverbot belegt und danach moralische
       Instanz der Deutschen, schaut in modernem Anzug sorgenvoll in die Zukunft.
       
       Manchmal schlägt die Ironie des Reporters in Schalk um. So zeigt er Hans
       Scharoun, den Chef-Stadtplaner der Nachkriegszeit, an einem mächtigen
       Stahlrohrschreibtisch. Die zusammengelegten Pläne zeigen auf den Betrachter
       wie kleine Kanonenrohre. Eine Anspielung auf Scharouns Pläne, die
       Innenstadt von historischen Resten zu säubern und zur modernen
       "Stadtlandschaft" umzubauen.
       
       Das Werk dieses eigenwilligen Fotografen haben die Kuratoren von C/O um
       einen zeitgenössischen Aspekt ergänzt: Auf einer für mobile Endgeräte
       entwickelten App kann man aktuelle Ansichten der in der Ausstellung
       gezeigten Orte abrufen - und dabei verblüffende Gleichzeitigkeiten erleben:
       Das für den Neubau des "Zoofensters" aufgebaggerte Erdreich am Tauentzien
       erinnert frappierend an die Schuttberge von 1945.
       
       Ausstellung: Fritz Eschen . Berlin unterm Notdach. C/O Berlin,
       Oranienburger Str 35/36 . 10117 Berlin. Bis 26. Juni 2011 täglich von 11
       bis 20 Uhr . Eintritt 10 / ermäßigt 5 Euro.
       
       9 May 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.co-berlin.info/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
       
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