# taz.de -- Lesung mit Sahra Wagenknecht: Fast eine Bibelstunde
       
       > Wären da bloß nicht so viele Allgemeinplätze! Sahra Wagenknecht bei ihrer
       > Buchvorstellung in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Prominente Linke auf dem Gabentisch.
       
       "Ich weiß, für viele Pseudokonservative und Pseudoliberale bin ich der
       Gottseibeiuns, die finstere Kommunistin, die zurückwill in die alte DDR."
       Dieser Satz findet sich im Vorwort zu Sahra Wagenknechts neuem Buch
       "Freiheit statt Kapitalismus" (Eichborn Verlag, Frankfurt 2011, 368 Seiten,
       19,95 Euro). Und sie liest den Satz mit einer Getragenheit, die man aus der
       Bibelstunde kennt.
       
       Auch die folgenden Sätze - in dem für ihre Schriften charakteristischen
       ungelenken Deutsch - liest die Autorin auf diese Weise: "Es wird Zeit,
       einen positiven Gegenentwurf zu schreiben, zumindest diesen Entwurf zu
       beginnen. Es wird Zeit, den typischen FDPlern, die von Ökonomie nicht mehr
       verstehen als die auswendig gelernten Sprüche aus ihren einigen
       Wahlwerbungsprospekten, entgegenzuhalten, wie Marktwirtschaft tatsächlich
       funktioniert. Und es wird Zeit zu zeigen, wie man, wenn man die originären
       marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt, direkt in einen Sozialismus
       gelangt, einen Sozialismus, der nicht Zentralismus, sondern Leistung und
       Wettbewerb hochhält." Leistung und Wettbewerb im Sozialismus. Verwirrt
       reiben wir uns die Augen. Doch wirklich, es ist Sahra Wagenknecht, die das
       verkündet.
       
       ## "Revolution" - nicht im Sinne eines Volksaufstands
       
       Am Mittwoch stellte die Bundestagsabgeordnete ihr Buch in Berlin vor, in
       der Backfabrik im Prenzlauer Berg. Auf dem Weg zum Lesesaal musste man an
       Menschen vorbei, die sich nach Feierabend in einem Fitnesszentrum jenen
       Körper verkaufen lassen, den sie eigentlich schon besitzen, vorbei an den
       Zugängen zu aufregenden New-Media-Firmen, in denen das Wort "Revolution"
       tagtäglich gebraucht wird, allerdings nicht im Sinne eines Volksaufstands.
       
       An diesem Ort also las "der Gottseibeiuns" und diskutierte über die Thesen
       aus dem Buch. Sahra Wagenknecht möchte einerseits einen "kreativen
       Sozialismus" etablieren, andererseits preist sie die "soziale
       Marktwirtschaft", erinnert FDP-Politiker und deren Lobbyistenfreunde mit
       geradezu heiligem Ernst an Ludwig Erhard und möchte eben nicht zurück in
       die "alte DDR".
       
       Man fragt sich: Gibt es etwa eine "neue DDR"? Und was meint sie mit
       "Pseudokonservative und Pseudoliberale"? Würde sie, die sich stets zum
       Sozialismus bekennt, den "echten" Liberalen und den "echten" Konservativen
       die Hand reichen? Sahra Wagenknecht täte das.
       
       Obschon sie, wenn sie etwa Adam Smith "zu Ende denkt", noch immer
       zwangsläufig zum Sozialismus kommt. Denn Wagenknecht sieht die Vorteile von
       "Leistung" und "Wettbewerb". Wie sie im Gespräch mit dem
       Betriebswirtschaftslehrer Max Otte bekannte, bedeuten ihr diese Begriffe
       viel - der Professor nickte begeistert. "Leistung" ist für Wagenknecht
       allerdings die Arbeit jener, die "Werte schaffen", während jedoch momentan
       vor allem diejenigen, die an den Kapitalmärkten spekulieren oder ihr
       Vermögen ererbt haben, Profit machen. Selbstverständlich sind diese Reichen
       für sie keine "Leistungsträger". Wieder stimmte Otte, der übrigens einen
       Hedgefonds verwaltet, begeistert zu.
       
       ## Banken - spinnefeind
       
       Wie lässt sich nun der Kapitalismus in Sozialismus verwandeln? Wagenknecht,
       immer bemüht, verfassungskonform zu argumentieren, zitierte die
       Verpflichtungen herbei, die laut Grundgesetz das Eigentum schafft. Sie
       plädiert für die Verstaatlichung von Schlüsselkonzernen, mittlere Betriebe
       sollten ihre Angestellten beteiligen, doch dass sie der Innovationskraft
       und "Kreativität" von Kleinunternehmern vertraut, betonte Wagenknecht
       ausdrücklich.
       
       Banken dagegen sind ihr weiterhin spinnefeind. Otte, der lieber
       "Familienbetriebe, die eher zufällig an der Börse gelandet sind",
       unterstützt, stimmte ihr immer wieder zu - er hatte, wie er bekannte, das
       Manuskript auch bereits vor der Drucklegung gelesen -, er glaube allerdings
       nicht, dass Verstaatlichung und Mitarbeiterbeteiligung allein die
       Wirtschaftsmacht großer Unternehmen brechen könnte, die laut Wagenknecht
       eine politische Gefahr darstellt. Und Unternehmen beeinflussen die Politik
       tatsächlich, stellte Wagenknecht empört fest. Ihre Parteifreunde klatschten
       begeistert.
       
       Sicherlich will Wagenknecht die Auswüchse des Kapitalismus bekämpfen, aber
       wie? Ihr Buch strotzt von Gemeinplätzen, ihre Ideen bleiben so vage, dass
       selbst entschiedene CSUler der "finsteren Kommunistin" locker zustimmen
       könnten. Sie will die "Reichen" bekämpfen, die Rechte der "Armen" stärken,
       will, dass sich die Wirtschaft dennoch erholt, dass jedoch "Bankster" ihre
       Tätigkeiten einstellen müssen, dass es wieder wahre Arbeit gibt und wahren
       Lohn.
       
       Wie sich Wagenknecht den zukünftigen Sozialismus vorstellt, ist schwer zu
       sagen. Den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" des Hugo Chávez jedenfalls,
       der sich selbst ständig im Fernsehen propagiert, findet sie bekanntlich
       ganz prima. Gibt es also bald Wagenknecht-Fernsehshows? Die Parolen dafür
       hat sie mit ihrem neuen Buch geliefert. Argumente aber bleibt sie weiter
       schuldig. Das Buch ist Teil eines Wahlkampfes, den Wagenknecht für sich und
       ihre Partei führt. So liest es sich auch.
       
       13 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Sundermeier
       
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