# taz.de -- Debatte Schuldenstaat: Schuld und Sühne
       
       > Die Schuldenangst hilft Merkel beim Streichen. Schulden gelten als
       > Hindernis progressiver Reformpolitik. Doch die Republik ist gar nicht
       > pleite – sie hat ein Einnahmeproblem.
       
 (IMG) Bild: Mancherorts musste die Polizei auch schon Sprit rationieren: Öffentliche Armut und privater Reichtum sind zwei Seiten derselben Medaille.
       
       Der Deutsche lebt nicht gern auf Pump. Wer Schulden macht, steht unter
       Verdacht, nicht mit Geld umgehen zu können. Schulden gelten als sozial
       ungerecht. Schulden belasten angeblich künftige Generationen.
       
       Kein Wunder also, dass der öffentliche Schuldenberg Angst und Schrecken im
       Land verbreitet. Gigantische 2 Billionen Euro ist er groß. Letztes Jahr
       musste sich Kassenwart Schäuble so viel neues Geld leihen wie noch nie
       zuvor. Allein die Zinsen fressen jährlich über 40 Milliarden Euro. Das ist
       der ideale Stoff für ein deutsches Schuldendrama. Böse Zungen behaupten,
       die ersten Pleitegeier würden bereits über Berlin kreisen.
       
       Die deutsche Schuldenangst hilft der Kanzlerin beim Kürzen und Streichen.
       Wenn der Staatsbankrott droht, fällt der Verzicht leichter.
       Ausgabenkürzungen und Privatisierungen sind dann politisch besser
       vermittelbar. Den Rest erledigt der stumme Zwang der Verhältnisse. Die
       leeren Kassen der Städte, Gemeinden und Länder zwingen die Schatzmeister,
       den Gürtel enger zu schnallen. Es gibt keine Alternative, lautet die
       bekannte Begründung. Eine verwahrloste Zunft deutscher Ökonomen applaudiert
       und gibt täglich neue Spartipps.
       
       ## Opposition: Schuldenverbot "mit sozialer Handschrift"
       
       Die Opposition wehrt sich kaum. Sozialdemokraten und Grüne stritten selbst
       für Schuldenbremsen. Jetzt versprechen ihre frisch gewählten Landesfürsten
       das Schuldenverbot auch umzusetzen. Mit sozialer Handschrift – versteht
       sich. Damit steht jetzt schon fest: Für die großen Reformprojekte - Ausbau
       der Kinderbetreuung, flächendeckende Ganztagsschulen, Modernisierung der
       Krankenhäuser, neue Energienetze etc. - reicht das Geld nicht aus. Damit
       werden die Staatsschulden zum scheinbar unüberwindbaren Hindernis
       progressiver Reformpolitik.
       
       Die neue Bescheidenheit ist aber nicht alternativlos. Zwischen Rhein und
       Oder tickt keine Zeitbombe Staatsverschuldung. Öffentlichen Schulden stehen
       immer öffentliches Sachvermögen, Forderungen und Beteiligungen gegenüber.
       Noch ist die Substanz nicht aufgezehrt. Unter dem Strich besitzt der
       deutsche Staat ein positives Nettovermögen. Die Bilanz eines Pleitestaats
       sieht anders aus. Das Horrorszenario eines drohenden Staatsbankrotts
       entbehrt jeder Grundlage. Dies belegen auch die historisch niedrigen Zinsen
       und Risikoprämien für deutsche Schuldtitel.
       
       ## Schulden haben im modernen Kapitalismus eine Funktion
       
       Schulden sind kein Teufelszeug. Im Gegenteil: Schulden haben im modernen
       Kapitalismus eine wichtige wirtschaftliche Funktion. Das gilt nicht nur für
       private Unternehmen. Die öffentliche Kreditaufnahme kann den
       Wirtschaftskreislauf stabilisieren. Die Instabilität kapitalistischer
       Volkswirtschaften macht dies sogar dringend erforderlich. Ein
       Staatshaushalt ist kein Privathaushalt. Die Staatsausgaben sind
       gleichzeitig die Einnahmen der Unternehmen und Privatpersonen.
       
       Im Abschwung vergrößert sich das Haushaltsloch, da die Steuereinnahmen
       sinken und die Transfers steigen. Wenn die Schatzmeister in der Krise
       Ausgaben kürzen, verschärft sich nur die Talfahrt. Das Wachstum sinkt,
       Arbeitslosigkeit und Defizit steigen. Die Folgen einer krisenverschärfenden
       Sparpolitik lassen sich heute in Athen, Dublin und Lissabon besichtigen.
       Besser ist es, im Abschwung durch höhere Staatsausgaben gegenzusteuern:
       Finanzpolitik muss flexibel reagieren können.
       
       ## Chronische Unterfinanzierung
       
       Doch damit nicht genug. Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit,
       Klimaschutz und Infrastruktur können durch Kredite finanziert werden. Sie
       werfen in der Regel einen hohen volkswirtschaftlichen Ertrag ab. Die
       Wachstumsimpulse sind höher als die Finanzierungskosten. Darüber hinaus
       profitieren von diesen Investitionen auch zukünftige Generationen. Die
       öffentliche Kreditfinanzierung verteilt die Lasten gerecht auf die
       Schultern der Eltern, Kinder und Enkel.
       
       Schulden sind natürlich keine Wundermedizin. Die chronische
       Unterfinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen kann nicht dauerhaft mit
       Krediten behandelt werden. Die Republik hat ein schweres Einnahmeproblem.
       Die rot-grün-schwarzen Steuergeschenke führen noch heute zu jährlichen
       Einnahmeausfällen in Höhe von 50 Milliarden Euro. Die Finanzmarktkrise tat
       ein Übriges. Die Staatsausgaben sind hingegen im Jahrzehnt vor der Krise um
       jährlich 0,2 Prozent gesunken.
       
       ## Die Finanznot muss politisch gelöst werden
       
       Die Finanznot der öffentlichen Haushalte ist politisch verursacht. Sie muss
       auch politisch gelöst werden. Dadurch rückt die Verteilungsfrage ins
       Zentrum. Öffentliche Armut und privater Reichtum sind zwei Seiten derselben
       Medaille. Das private Nettovermögen ist fast viermal so groß wie die
       gesamte Staatsverschuldung. Während die krisenbedingten privaten
       Vermögensverluste nach der Krise wieder wettgemacht wurden, explodierte die
       Staatsverschuldung.
       
       Jetzt besteht die politische Herausforderung darin, den privaten Reichtum
       zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben heranzuziehen. Geld ist genug
       da. Hohe Einkommen und Vermögen müssen zukünftig stärker besteuert werden.
       So sollte die Vermögensteuer wieder erhoben, die Erbschaftsteuer
       reformiert, der Spitzensteuersatz und die Körperschaftsteuer erhöht sowie
       eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Ein solcher politischer
       Kraftakt könnte die aktuelle Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte
       beenden.
       
       ## Geld ist genug da
       
       Die Debatte über zu hohe Schulden, Generationengerechtigkeit und
       schwäbische Tugenden geht in die falsche Richtung. Sie bereitet nur den
       Boden für die nächste Welle der Umverteilung und des Sozialabbaus. Ein
       alternativer Politikentwurf muss die wirtschaftliche Funktion der
       öffentlichen Verschuldung in den Blick nehmen. Staatsschulden sind nicht
       per se schlecht. Richtig eingesetzt, können Schulden den Wohlstand
       steigern. Deswegen muss die Haushaltspolitik von ihren Fesseln befreit
       werden.
       
       Gleichzeitig muss die öffentliche Einnahmeseite verteilungspolitisch
       gestärkt werden. Verteilungskonflikte werden nicht mit Schulden gelöst.
       Eine wirkliche Reformpolitik steht und fällt mit der Bereitschaft, die
       Schuldenfrage entkrampft zu behandeln und die Verteilungsfrage zu stellen.
       
       17 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dierk Hirschel
       
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