# taz.de -- Kolumne Wortklauberei: Die Fährnisse des Briefesortierens
       
       > Ist es schon entfremdete Arbeit, wenn man statt Pizza essen Kolumnen
       > schreiben muss?
       
       Wenn Sie wüssten, unter welchen Entbehrungen diese Kolumne schon wieder
       entstanden ist! Würden Sie sie dann mehr wertschätzen? Ich bin mir nicht
       sicher. Ich war in letzter Zeit öfter mal auf dem Postamt, und wie Sie
       vielleicht wissen, geht es da nicht ganz so lustig zu wie in den
       Tom©-Comics. Der blanke Ennui entfremdeter Arbeit blickt einem da bisweilen
       entgegen aus den toten Augen der Angestellten.
       
       Eigentlich verwunderlich, möchte man doch meinen: Ein Beruf, in dem man
       ständig mit Menschen zu tun hat, ihnen bei der Lösung von Problemen
       behilflich ist, ihnen im wahrsten Sinn des Wortes etwas abnimmt oder gibt,
       bei dem sich über den Schalter hinweg auch mal ein kurzer
       freundlich-zwangloser Plausch ergibt - ist das nicht eigentlich ganz okay?
       
       Vorgestern ging ich in eine Filiale in München, bei mir eine noch
       unzureichend verklebte Büchersendung. Einen Streifen Packband, so meine
       Annahme, würde mir der Postler ja wohl schnell und unbürokratisch zur
       Verfügung stellen können. Die Frau am Schalter klärte mich in kaltem
       Beamtenton auf, "eigentlich" müssten Pakete "in versandfertigem Zustand"
       gebracht werden. Sie gab mir einen Streifen Klebeband, nachdem ich
       angemessen untertänig darum gebeten hatte. Er war viel zu kurz.
       
       Während sie den wie Sau aussehenden Umschlag frankierte, kam mir der
       Gedanke, ihn mit ein paar Klammern aus dem Tacker, der vor meiner Nase auf
       dem Schalter stand, noch etwas versandfertiger zu gestalten. Ich griff nach
       dem Tacker und erbot mich - der Blick der Postlerin wurde noch kälter, als
       sie mir nun erläuterte, Metallklammern seien an Postversandstücken per se
       tabu und welche Art von Regressforderungen auf mich zukämen, wenn eine
       derart ordnungswidrig vertackerte Sendung Sortiermaschinen beschädige oder
       sich gar ein Angestellter beim händischen Sortieren daran reiße und sich
       eine Blutvergiftung (!) zuzöge, und ich möchte bitte jetzt den Tacker
       zurücklegen. Den letzten Satz sagte sie wie ein Polizeibeamter bei der
       letzten Aufforderung an einen Irren, das Messer wegzulegen, bevor er
       gezwungen wäre zu schießen. Ich ging.
       
       Die Frau hatte mich nach Kräften spüren lassen, wie sehr sie diesen Job und
       alles, was er ihn ihre Gasse schwemmte, hasste. Und trotzdem freute ich
       mich nicht mehr darüber als normal, dass sie mein Päckchen trotzdem
       angenommen hatte. Im Gegenteil.
       
       Weshalb ich jetzt tatsächlich wenig Effekt in Bezug auf die Wertschätzung
       dieser Kolumne erwarte, wenn ich Ihnen sage, dass ich sie schrieb, daheim
       geblieben im Kämmerlein, während meine ganze Familie, samt Baby, Oma,
       Berlinbesuch und pipapo, an einem strahlenden Frühlingstag zum Pizzaessen
       an den Chiemsee fuhr. In eine Pizzeria übrigens, die trotz ihrer einmaligen
       und sicher von Legionen von Pizzeriainhabern beneideten Lage direkt am Ufer
       des Sees, mit atemberaubendem Blick auf das Bayerische Meer und die Alpen
       dahinter, einfach stumpf "Al Dente" heißt. Was gleichzeitig bestürzend
       fantasielos und von anheimelndem Understatement ist. Aber das ist eine
       andere Geschichte.
       
       18 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Josef Winkler
       
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