# taz.de -- die wahrheit: Vergewaltigung und Verschwörungen
       
       > Die Indianerkriege sind nur geführt worden, damit Hollywood den Western
       > erfinden kann, lautet ein Bonmot, das die amerikanische Art der
       > Verarbeitung von Geschichte ...
       
 (IMG) Bild: Beamte der New Yorker "Special Victims Unit" führen Dominique Strauss-Kahn in Handschellen ab.
       
       ... in der Fiktion auf die Spitze treibt. Und wenn man sich die US-Film und
       -Fernsehindustrie ansieht, weiß man tatsächlich oft nicht, was zuerst da
       war: das Ei oder Hollywood.
       
       So auch im aktuellen Fall des Dominique Strauss-Kahn. Der Chef des
       Internationalen Währungsfonds wurde am vergangenen Wochenende in New York
       verhaftet, weil er ein Zimmermädchen vergewaltigt haben soll - und schon
       verwischen sich die Grenzen: "Was mich faszinieren würde, wenn ich einen
       Film darüber machen würde, wäre nicht der billige Plot, den der typische
       amerikanische Film darin finden würde, sondern die Selbstzerstörung dieser
       Figur", erklärte Jean-André Yerles, der Vizepräsident der französischen
       Vereinigung der Drehbuchautoren, auf dem Filmfestival in Cannes mit typisch
       gallischer Arroganz. Denn bei einem Franzmannfilm über die Affäre käme
       allenfalls ein langweiliges Quasseldrama heraus. Nur weil ein Spitzenbanker
       über seinen Schwanz stolpert, muss das kein Kunstwerk werden.
       
       Da hat die Boulevardpresse schon mehr Gespür: "Sex-Krimi um wichtigsten
       Banker der Welt", titelte Bild am Montag, verwechselte allerdings wie immer
       Wirklichkeit und Fiktion. Doch die Idee, dass der Fall Strauss-Kahn alle
       Zutaten für einen Krimi besitzt, hat etwas für sich. Dann aber muss auch
       das richtige Format her. Und da kann es nur eine Krimiserie geben, die dem
       Niveau entspricht: "Law & Order: Special Victims Unit".
       
       Die amerikanische Justiz inszeniert sich gern - von der Verhaftung bis zum
       Prozess. Auch der Angeklagte Strauss-Kahn wurde gezielt der Öffentlichkeit
       vorgeführt und musste in Handschellen vor die Kameras treten. Die
       Blitzlichter erhellten die nächtliche Straße wie Filmscheinwerfer. Mit
       geübten Armgriffen geleiteten ihn zwei Cops aufs Revier. Beide waren von
       ebenjener "Special Victims Unit", die in New York speziell für die
       Aufklärung von Sexualtaten zuständig ist. "Bei Polizei und
       Staatsanwaltschaft gelten Sexualverbrechen als besonders abscheulich. In
       New York City gehören die engagierten Detectives, die in diesen brutalen
       Fällen ermitteln, zur Sondereinheit für Sexualdelikte. Dies sind ihre
       Geschichten", heißt es in der plumpen Einleitung vor jeder Folge der
       TV-Serie. Und tatsächlich sah einer der beiden Cops an der Seite des
       Verdächtigen aus wie Elliot Stabler, der als schlichter, aber gutherziger
       Familienvater mit Hang zum Machogehabe eine der beiden Hauptfiguren in der
       Serie ist. Es fehlte in der Szene nur seine Partnerin Olivia Benson, die
       stets mit ihrem schief geöffneten Mund ihr Entsetzen über die
       Schlechtigkeit der Welt ausdrückt. Laut Serienlegende soll sie nach einer
       Vergewaltigung ihrer Mutter geboren worden sein, während die Darstellerin
       Mariska Hargitay im wirklichen Leben die Tochter der
       Fünfzigerjahre-Sexbombe Jayne Mansfield ist, die bereits starb, als sie
       drei Jahre alt war.
       
       "Law & Order: Special Victims Unit" ist ein Spin-off der am längsten
       ausgestrahlten Fernsehserie der Welt: "Law & Order". Seit 1999 läuft das
       Nebenprodukt im Programm von NBC, in Deutschland bei RTL II und Vox.
       Entworfen wurde sie nach dem genial einfachen Vorbild der Mutterserie,
       einer exakten Teilung jeder Folge in zwei Hälften: Zunächst geht es um die
       Arbeit der ermittelnden Polizeibeamten und dann um die der anklagenden
       Staatsanwaltschaft. Allerdings konzentriert sich der Ableger stärker auf
       die Ermittler, deren Privatleben auch ihre Einsätze beeinflusst - was neben
       Stabler und Benson insbesondere auf Odafin Tutuola zutrifft. "Fin" wird
       durch den Rapper Ice-T verkörpert, der zwar in Los Angeles aufwuchs und
       erstmals auffiel, als er nach den Rodney-King-Krawallen den Song "Cop
       Killer" veröffentlichte, aber jetzt ist er als ehemaliger Drogenfahnder
       Tutuola der beste Kenner der Straßen von New York.
       
       Sein Partner ist die interessanteste Figur der "SVU": John Munch, der von
       Richard Belzer gespielt wird, ist älter als die Serie, denn Belzer
       verkörperte Munch bereits Anfang der Neunzigerjahre in der Polizeiserie
       "Homicide", die in Baltimore spielte und von Barry Levinson produziert
       wurde. Als man Ende der Neunziger einen Spin-off für "Law & Order" entwarf,
       übernahm man die Figur Munch, ließ ihn nach New York übersiedeln, wo er
       weiterhin den jüdischen Verschwörungstheoretiker gab, der hinter jeder Ecke
       eine mysteriöse Geheimorganisation vermutete. Spätestens nach dem 11.
       September 2001 entwickelte sich die Rolle des Munch jedoch ins fast
       lächerlich Obskurante, dabei ist Munch der einzige Intellektuelle im Team
       der "Special Victims Unit", der mehr als nur eine Aktennotiz oder den
       Sportteil der Zeitung lesen kann und deshalb beim Fall Strauss-Kahn seine
       Kollegen am Tatort im Hotel darauf hinweisen wird, dass die Zimmernummer
       "2806" ist. Am 28. 06. sollten die parteiinternen Vorwahlen der
       französischen Sozialisten für die Präsidentschaftskandidatur sein.
       
       Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie das Team der "Special Victims
       Unit" im Fall Strauss-Kahn agieren würde - von den Autoren bis zu den
       Schauspielern. Detective Stabler wird sein schlecht sitzendes Jackett
       abnehmen und seine unmodische Krawatte lockern, bevor er den hohen Banker
       hart rannimmt beim Verhör, um nicht zu zeigen, dass er zumindest
       ansatzweise verstehen kann, dass ein Mann durch eine Frau schon einmal die
       Contenance verlieren kann. Und auf diesem schmalen Grat zwischen brodelndem
       Machismus und unterwürfigem Respekt wird er ihn verhören, um hinter die
       arrogante Schutzhülle des Dominique Strauss-Kahn zu kommen.
       
       Seine Kollegin Olivia hingegen wird zur selben Zeit das Opfer auf sanfte
       Weise zu überzeugen versuchen, dass sie unbedingt aussagen muss, um
       mögliche weitere weibliche Opfer zu verhindern. Das Zimmermädchen habe
       keine Ahnung von Politik, sie wisse nicht einmal, wer Bürgermeister von New
       York sei, erklärt ihr Bruder im Gespräch: "Sie ist eine ehrenwerte und
       anständige Frau. Wenn sie nach Hause kommt, schaut sie afrikanische
       Fernsehserien."
       
       Doch das Zimmermädchen macht es Olivia nicht leicht, denn im Hintergrund
       arbeiten obskure Kräfte daran, die Aussage zu verhindern. Detective Munch
       vermutet nicht zu Unrecht, dass im Verborgenen europäische Politiker, die
       den IWF-Vorsitzenden in der Finanzkrise brauchen, mit klandestinen
       Lobbyisten in Washington und aufstrebenden asiatischen Mächten um Einfluss
       auf das Geschehen ringen. Und mittendrin steckt der müde Captain Donald
       Cragen als vorgesetzter Leiter der "Special Victims Unit", der wie immer
       Druck von allen Seiten bekommt und deshalb einmal mehr wie ein geprügelter
       Hund aus seinen Hosenträgern herausschaut.
       
       Jetzt wendet sich der Fall dem juristischen Procedere zu. Auftritt:
       Alexandra Cabot. Die blonde Staatsanwältin, die eher wie ein Brillen-Model
       von Fielmann aussieht, ist als Executive Assistant District Attorney nur
       ein kleines Rädchen in der großen New Yorker Staatsanwaltschaft und gerät
       gehörig unter Druck. Erst will man ihr den Fall entziehen, dann zweifelt
       man die Zuständigkeit der New Yorker Justiz an. Zugleich wird Alex, wie sie
       jeder nur nennt, von den ebenso teuren wie findigen Verteidigern
       Strauss-Kahns mit immer neuen, bizarren Anträgen überhäuft, die der
       zuständige Richter, der nur das große Ganze der Verfassung im Blick hat,
       durchaus zulässt, so dass ihre Anklagestrategie auf wackligen Füßen steht.
       Notgedrungen muss sie sich Rat holen bei ihren Vorgesetzten, die jedoch nur
       halbherzig hinter ihr stehen. Also opfert Alex wie üblich ihre karge
       Freizeit, um persönlich mit Prozessbeteiligten und Zeugen zu sprechen, die
       sie schließlich mühsam überzeugen kann, auszusagen - vor allem eine junge
       Frau, die bereits Opfer Strauss-Kahns wurde, deren Beschuldigung man aber
       seinerzeit unter den Tisch gekehrt hatte.
       
       Und was geschieht mit dem Angeklagten Strauss-Kahn, gespielt von niemand
       Geringerem als dem großen Edward Asner, der in den Siebzigerjahren als "Lou
       Grant" in der gleichnamigen Serie bekannt wurde? Der arrogante Franzose
       Strauss-Asner wird nach einigen Winkelzügen und einem dramatischen Showdown
       im Zeugenstand, bei dem er aufbrausend seine Tat zugeben muss, von den
       Geschworenen schuldig gesprochen und erhält eine Strafe von zehn Jahren
       Haft für alle sechs Anklagepunkte. Doch bevor er sich dauerhaft in Rikers,
       auf der New Yorker Gefängnisinsel zwischen Queens und Bronx, einrichten
       muss, treten noch im Gerichtssaal drei Herren in schwarzen Anzügen an die
       Detectives Stabler und Benson heran und nehmen aufgrund einer Vollmacht
       Dominique Strauss-Kahn in Gewahrsam, um ihn an einen unbekannten Ort in New
       Jersey zu bringen, wo ein Flugzeug nach Frankreich bereitsteht.
       
       "Die Franzosen werden ihn nie ausliefern", wird eine enttäuschte und
       wütende Staatsanwältin Cabot ihrem obersten Chef im Flur vor seinem
       Amtszimmer klagen, als der schon im Mantel abends sein Büro verlässt. "Mehr
       konnten wir nicht tun für die Gerechtigkeit, Alex. Der Rest ist Politik",
       wird District Attorney Jack McCoy ihr mit auf den Weg zum Aufzug geben, wo
       sich die Aufzugtüren vor ihren Augen wie ein Vorhang schließen. The End.
       
       20 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA