# taz.de -- Die Kanzlerin und die "Südländer": Mit Merkel am Ballermann
> Mit ihrer Pauschalkritik hat die Bundeskanzlerin Stammtischniveau
> erreicht. Was macht es da schon, dass die Fakten eine ganz andere Sprache
> sprechen.
(IMG) Bild: Die fleißigen Teutonen arbeiten 1.658 Stunden im Jahr und genießen 30 Tage Urlaub. Spanier sind faul! Prost.
Die Stammtischhoheit ist Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dieser Aussage
gewiss: "Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel
Urlaub und der andere ganz wenig", sagte sie am Dienstag. Es gehe nicht nur
darum, keine Schulden zu machen. "Es geht auch darum, dass man in Ländern
wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in
Deutschland, sondern dass alle sich auch ein wenig gleich anstrengen - das
ist wichtig."
Geliebte Vorurteile, da seid ihr wieder. Das spricht Otto Normalverbraucher
so richtig aus der Seele. Darauf kann es - auch wenn dies nicht höflich ist
- nur eine Antwort geben, nämlich den Schlachtengesang, den Fußballfans
verhassten Sportreportern gern entgegensingen: "Und wieder mal keine
Ahnung, was hier läuft."
"La Merkel" - wie sie auf der Iberischen Halbinsel umgangssprachlich und
damit familiär, liebevoll genannt wird - täte gut daran, sich etwas genauer
zu informieren. Schließlich war sie es, die einst in ihrem Wahlkampf gegen
einen gewissen Gerhard Schröder ausgerechnet Spanien als Beispiel für eine
Wachstumspolitik hinstellte, wie sie die CDU auch für Deutschland anstrebe.
Es war mitten im Bauboom. Merkels konservativer Gesinnungsgenosse José
María Aznar, der das Land in den Irakkrieg geführt hatte, regierte. Die
Spekulationsblase schuf vermeintlichen Reichtum für alle. 1.000 neue
Arbeitsplätze entstanden am Tag. Wer darauf verwies, dass dies keine
nachhaltige Entwicklung sei, wurde müde belächelt, auch von der CDU.
## Protest statt Sangria
Jetzt, wo die Spekulationsblase geplatzt ist, zahlen die, die schon immer
zahlen. Spanien hat 20 Prozent Arbeitslose, unter jungen Menschen ist die
Quote mehr als doppelt so hoch. Nicht etwa, dass die "faulen Spanier" nicht
arbeiten wollen und lieber der Siesta und der Sangria frönen. Das ist eher
die Lieblingsbeschäftigung vieler deutscher Strandurlauber und
Ballermannbesucher. Nein, sie finden keinen Job. Unter anderem deshalb
gehen die Menschen dieser Tage zu Zehntausenden überall im Land auf die
Straße und haben ein Protestcamp auf dem zentralen Platz Madrids, der
Puerta del Sol, errichtet.
Spaniens Jugend leidet unter einer Politik, die völlig versagt. Und daran
sind nicht allein die seit sieben Jahren regierenden Sozialisten unter José
Luis Rodríguez Zapatero schuld. Auch die konservativen Freunde Merkels, der
ehemalige Premier Aznar, der für das Boomwachstum verantwortlich zeichnete,
und sein Nachfolger an der Spitze der Partido Popular (PP), Mariano Rajoy,
den Merkel wohl gern an der Regierung sähe, haben ihren nicht ganz
unwesentlichen Teil dazu beigetragen.
Das Schul- und Universitätssystem ist nicht auf der Höhe Europas. Nicht
etwa weil die spanische Jugend lernunwillig ist. Sondern wegen der Politik
der Konservativen.
Als es Spanien gut ging, wurden die Ausgaben für Bildung und Forschung
nicht angehoben. Das ist nicht nur ein Problem für die Wettbewerbsfähigkeit
des Landes, sondern auch für die jungen Akademiker. Viele von ihnen
arbeiten mittlerweile im Ausland. Auch Bundeskanzlerin Merkel umwirbt sie.
## Niedrige Produktivität? Kann nur Faulheit sein
Wer zu Hause einen Job findet, verdient oft unter 1.000 Euro. Zudem ist in
keinem Land Europas die Quote von prekären, zeitlich befristeten Verträgen
so hoch wie in Spanien. Viele der Arbeitsplätze, die geschaffen wurden, als
Merkel Spanien lobte, waren solche prekären Arbeitsverhältnisse. Es ist das
Lieblingsmodell der Bundeskanzlerin für Europa, das jetzt gescheitert ist.
Ach ja, und zur Rente und zum Urlaub: Die Spanier gehen, wie wir Deutschen
auch, künftig mit 67 Jahren in den Ruhestand. Verdienen müssen sie sich ihn
laut Eurofund mit durchschnittlich 1.752 Arbeitsstunden pro Jahr und 22,8
Tagen bezahltem Urlaub. Die fleißigen Teutonen arbeiten 1.658 Stunden im
Jahr und genießen 30 Tage Urlaub.
Warum die Produktivität Spaniens dennoch niedriger ist als die
Deutschlands? Ob das vielleicht etwas mit mangelnder
Investitionsbereitschaft der Unternehmer, schlechten Arbeitsverträgen und
ungenügender innerbetrieblicher Fortbildung zu tun hat? Nein, Frau Merkel,
das will am Stammtisch nun wirklich niemand hören. Spanier sind faul!
Prost.
19 May 2011
## AUTOREN
(DIR) Reiner Wandler
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