# taz.de -- Ein tierisches Zeichen: Mit weidender Kuh gegen dumme Ochsen
       
       > Beim Schöneweider Demokratiefest gibt es dieses Jahr eine besondere
       > Attraktion: Bauer Joachim Mendler aus Rudow bringt seine Kuh Margot mit -
       > als Zeichen gegen den rechten Problemkiez.
       
 (IMG) Bild: Kühe haben politische Ziele schon immer geschmückt
       
       Margot trampelt ganz langsam über die Weide am südlichen Rand Berlins: In
       Rudow, nur wenige hundert Meter von der Stadtgrenze entfernt. Hier steht
       die weiß-schwarz-gefleckte Kuh mit ihren 79 Artgenossinnen auf dem
       Bauernhof von Joachim Mendler, einem der letzten beiden Milchbauern
       Berlins, und lässt sich das Gras schmecken. Mit ihren sieben Jahren ist
       Margot eine ausgewachsene Milchkuh. Dass sie dürr wirkt, spreche nicht
       gegen die Qualität der Rudower Weiden, versichert Bauer Mendler. "Das liegt
       an der Sorte. Sie ist ein Holstein-Friesian-Rind und auf Milchleistung
       gezüchtet."
       
       An diesem Samstag wird Margot auswandern, für einen Tag ihre Schwestern
       verlassen und auf einer eigens für sie eingezäunten Kleinweide Quartier
       beziehen. "Zwischen Bahngleisen, einem Dönerstand, Biertrinkern und einem
       Volksfest", sagt Bauer Mendler und grinst. Margot nimmt nicht einmal Notiz
       davon. Sie dreht sich ganz langsam um sich selbst und sondert einen
       Kuhfladen ab. Kapiert hat sie noch nicht, dass sie einen ganzenTag lang zum
       Star avanciert.
       
       "Schöner weiden ohne Nazis" hat das Bündnis für Demokratie und Toleranz im
       Nachbarbezirk Treptow-Köpenick ihr diesjähriges interkulturelles
       Demokratiefest genannt. Es ist ein Wortspiel, bezogen auf den Ort, an dem
       es stattfindet: Am S-Bahnhof Schöneweide, dem rechten Problemkiez der
       Stadt. Die Nazikneipe "Zum Henker" liegt 300 Meter entfernt.
       
       Auf der Wiese, die für Margot bereit steht, schlafen sonst Alkoholleichen
       ihren Rausch aus. Am Samstag laden eine Hüpfburg und Sportangebote Kinder
       ein. Tanzgruppen zeigen ihre Programme. Lokalpolitiker diskutieren auf der
       Bühne, wie der rechten Gewalt begegnet werden kann. "Der Bahnhof
       Schöneweide ist sonst ein Angstraum für Migranten, Schwule, Lesben und
       alternative Jugendliche", sagt Björn Malycha, Mitorganisator des Festes.
       Wenn am Abend Bands spielen, ist Margot bereits zurück in ihrem Stall in
       Rudow. Das verlangt der Tierschutz.
       
       Wann vor Margot die letzte Kuh in Schöneweide weidete, ist historisch nicht
       dokumentiert. Ortschronist Georg Türke zuckt die Schultern. Fest steht:
       Bereits 1598 erwähnte Kurfürst Joachim II. in einer Reisebeschreibung die
       "Schöne Weyde", damals eine satte Wiese beiderseits der Spree. In der
       ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich erste Textilbetriebe an.
       Daneben standen kleine Handwerksbetriebe mit angeschlossener
       Weidewirtschaft zur Selbstversorgung der Handwerker und Ausflugsgaststätten
       für die Berliner. Noch lange gab es laut Türke in den Hinterhöfen der
       Arbeitersiedlungen einzelne Kuhställe "von den Besitzern liebevoll
       Molkereibetriebe genannt".
       
       1920 wurden Niederschöneweide und Oberschöneweide zu Ortsteilen von Berlin.
       Ihre Entwicklung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist eng mit AEG und der
       Großindustrie verbunden. Hier brummten die Maschinen und rauchten die
       Schornsteine. Die hungrige Industrie pumpte von den einst saftigen Wiesen
       das Grundwasser ab. Für Ost-Berlin waren die Ortsteile Nieder- und
       Oberschöneweide bis zur Wende wichtige Industriestandorte mit 20.000
       Beschäftigten. Seit Samsung 2005 seinen Produktionsstandort aufgab, steht
       der Name Schöneweide nicht mehr für Industrie, sondern für einen rechten
       Problemkiez. An die Weidewirtschaft erinnern heute nur noch der Ortsname
       sowie die Straßennamen Wilhelminenhofstraße und Hasselwerderstraße.
       
       Margot glotzt irritiert und gallopiert erschrocken weg. Etwas hat sie aus
       der Fassung gebracht. War es das Klicken der Kamera der taz-Fotografin, die
       immerzu um sie herum läuft? Margot kennt das Muhen ihrer Artgenossinnen,
       das Wiehern der Pensionspferde ihres Bauern. Sie kennt Zug- und
       Treckergeräusche. Fotografiert wurde sie noch nie.
       
       Seit 1982 ist Joachim Mendler Bauer in Rudow. Bis dahin hatte er seinen Hof
       in der Innenstadt, in der Potsdamer Straße. "Da war ich der Exot in der
       Großstadt", erinnert er sich. Touristen kamen zum Gucken. Und auch Berlins
       Ex-Regierender Richard von Weizsäcker (CDU) war mal bei ihm zu Gast. Auf
       seinen Hof nach Rudow hat sich noch kein Politiker verirrt.
       
       Aber die Kunden drängen in seinen kleinen Hofladen. Sie füllen ihre
       mitgebrachten Mineralwasserflaschen mit Milch, kaufen Eier aus
       Freilandhaltung oder Käse und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung. Die
       Milch wird hier so verkauft, wie sie aus der Kuh kommt, das Fett ist noch
       nicht entzogen. "Hier kommen nicht nur Leute aus Rudow. Auch viele
       Treptower kaufen Milch", sagt Mendler. Einige der Hochhäuser, aus denen sie
       kommen, sind in Sichtweite. Große Mengen Milch kaufen Türken und Kaukasier
       aus Neukölln und Rudow. "Aus meiner Milch können sie ihren traditionellen
       Käse und Joghurt machen. Mit der Milch aus Supermärkten funktioniert das
       nicht mehr", weiß Mendler.
       
       Politik interessiert ihn eigentlich nicht, sagte der Bauer. Das
       Demokratiefest unterstützt er trotzdem. "Es ist ja nicht verkehrt, am
       Bahnhof Schöneweide mal andere Akzente zu setzen, dort wo sonst nur
       Alkoholiker abhängen." Und wenn er dazu etwas beitragen kann, "dann helfe
       ich doch gern". Margot hebt den Kopf vom Gras, als wollte sie nicken.
       
       19 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Mai
       
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