# taz.de -- Vorschlag der Wirtschaftsweisen: "Die Rente ab 69 ist kaum erreichbar"
       
       > Die Pension ab 69 hält die Sozialwissenschaftlerin Barbara Riedmüller für
       > absolut unsozial. Sie plädiert dafür, die Besserverdienenden stärker zu
       > Kasse zu bitten.
       
 (IMG) Bild: Könnten sie es bis 69? Arbeiter am Hochofen in Salzgitter.
       
       taz: Frau Riedmüller, die Wirtschaftsweisen empfehlen die schrittweise
       Anhebung des Renteneintrittalters. Was halten Sie davon? 
       
       Barbara Riedmüller: Nur wenig. Praktisch handelt es sich dabei um eine in
       die Zukunft verlegte Rentenkürzung. Für die Mehrzahl der Erwerbstätigen ist
       dieses Renteneintrittsalter nicht erreichbar. In der Pflege wird garantiert
       keiner bis 70 arbeiten können. Viele Menschen halten schon jetzt nicht
       einmal bis 65 durch. Sie müssen mit Kürzungen rechnen.
       
       Aber die Erwerbschancen älterer Menschen steigen doch. 
       
       Das ist eine Annahme, die empirisch nicht belegt ist. Frauen gehen momentan
       in der Regel mit 65 in Rente. Das verzerrt die Statistik. Denn in
       Wirklichkeit arbeiten sehr viel mehr Rentner. Außerdem müssten die
       Wirtschaftsweisen wissen, dass nach wie vor ältere Menschen aus dem
       Arbeitsmarkt verdrängt werden. Ich kann mich an eine Konferenz zum
       demografischen Wandel erinnern, auf der die Wirtschaftsverbände unisono
       sagten: Wir wollen keine älteren Arbeitnehmer. Wir holen uns lieber Inder.
       Da sehe ich bislang noch keinen Mentalitätswechsel.
       
       Dennoch: Wir leben länger und gesünder - ist es da nicht naheliegend, dass
       wir auch länger arbeiten sollten? 
       
       Ja, aber Menschen aus sozial schwachen Schichten leben kürzer und beziehen
       deshalb auch weniger Rente. Die Wirtschaftsweisen rechnen nur mit dem
       Durchschnittsverdiener. Hinter dem Durchschnitt verbergen sich Gewinner und
       Verlierer.
       
       Wer gehört zu den Gewinnern und wer verliert? 
       
       Wer im Monat 3.000 Euro verdient, kann sich eine private Altersversicherung
       leisten. Noch dazu wird diese vom Staat mit Steuergeldern subventioniert.
       Viele andere Erwerbstätige, vor allem solche in prekären
       Beschäftigungsverhältnissen, können sich eine private Versicherung aber
       nicht leisten.
       
       Aber ist es nicht begrüßenswert, dass Erwerbstätige zusätzlich Geld
       beiseitelegen? 
       
       Natürlich. Aber wer eine gute Rente hat und privat gefördert wird, könnte
       auch weniger aus der gesetzlichen Rente bekommen. Hier gibt es
       Umverteilungspotenzial. Aber wir leben in einem Land, in dem über
       Umverteilung nicht mehr diskutiert wird.
       
       Der Sachverständigenrat sagt: Vor allem der demografische Wandel belaste
       die gesetzliche Rentenkasse. Sehen sie das auch so? 
       
       Nein. Der demografische Wandel darf nicht nur als Verhältnis von Rentnern
       zu Erwerbstätigen gesehen werden. Was mich an dieser Debatte ärgert: Die
       Produktivität wird nicht einbezogen. Die Menschen leisten immer mehr in
       kürzerer Zeit. Kurzfristig ist der Arbeitsmarkt ein viel drängenderes
       Problem für die Stabilität des Rentensystems.
       
       Inwiefern? 
       
       Kurzfristig kommen viele Menschen in Rente, die arbeitslos waren oder dem
       Niedriglohnsektor angehörten. Dies betrifft vor allem die geburtenstarken
       Jahrgänge. Zeit- und Leiharbeit, Minijobs sowie befristete und geringfügige
       Beschäftigung - all das verursacht Armut im Alter. Zehn Prozent der Rentner
       im Jahr 2020 werden arm sein.
       
       Und wie lässt sich das Problem aus Ihrer Sicht beheben? 
       
       Die Erhöhung der Rentenbeiträge sollte kein Tabu sein. Denn wenn junge
       Menschen später noch eine anständige Rente haben möchten, liegt es in ihrem
       Interesse, mehr Rentenbeiträge zu zahlen. Dies geht aber nur, wenn sie
       anständige Löhne erhalten. Die Einführung von Mindestlöhnen wäre deshalb
       ein richtiger Schritt. Wie ich schon erwähnte, gibt es genug
       Umverteilungsmasse. Kapitaleinkünfte Besserverdienender könnten mehr zur
       Alterssicherung beitragen. Das wäre nur fair. Aber über Fairness wird bei
       Ökonomen nur noch wenig geredet.
       
       19 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Ondreka
       
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