# taz.de -- Politologe über DSK und die Folgen: "Dieser Skandal schadet Frankreich"
       
       > Die USA sind zu prüde, Frankreich zu freizügig, sagt Politologe Dominique
       > Moïsi. Nur falls die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn zutreffen, wären sich
       > USA und Frankreich schnell wieder einig.
       
 (IMG) Bild: Für Franzosen ein Skandal: Bilder von Verdächtigen in Handschellen, hier Strauss-Kahn.
       
       taz: Herr Moïsi, Sie kennen Dominique Strauss-Kahn sehr gut. Wie haben Sie
       reagiert? 
       
       Dominique Moïsi: Zutiefst schockiert, sogar ungläubig wie alle, die ihn ein
       wenig kennen. Man hat Mühe, sich vorzustellen, das das möglich sein kann.
       Und dann fragt man sich doch, ob es nicht eine Facette "Dr. Jekyll and
       Mister Hyde" gibt. Das heißt, man fragt sich, ob der bekannte Politiker,
       der Professionelle eine finstere Seite hatte. Doch die Ungläubigkeit
       überwiegt.
       
       In Frankreich hat auch das spektakuläre Vorgehen der amerikanischen Justiz
       schockiert. Das hat sogar antiamerikanische Reflexe wiederbelebt. Wird
       diese Affäre die Beziehungen zwischen Frankreich und den USA belasten? 
       
       Nein, so weit möchte ich nicht gehen. Die Bilder dieser Schaujustiz, die
       vorsätzlich einen Angeschuldigten, dessen Schuld nicht belegt ist,
       öffentlich demütigt, waren schockierend. Das hat anfänglich den
       Antiamerikanismus ein wenig wiederbelebt. Es ist an der Justiz in New York,
       Beweise zu liefern. Und falls dies der Fall sein wird, wird man auch in
       Frankreich sagen, das sei Gerechtigkeit. Vergessen Sie nicht, dass in
       Frankreich seit Jahren eine Kampagne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen
       geführt wird.
       
       Die Tatsache, dass der Staatsanwalt in New York ausdrücklich den
       Präzedenzfall Polanski erwähnt hat, lässt vermuten, dass es da noch eine
       offene Rechnung gibt, weil die amerikanische Justiz es Frankreich nie
       verziehen hat, dass der von Kalifornien steckbrieflich gesuchte Roman
       Polanski nicht ausgeliefert wurde. 
       
       Das ist nicht auszuschließen. Es gibt bedeutende kulturelle Unterschiede:
       Die Franzosen sind fasziniert vom Geld, die Amerikaner vom Sex. In den USA
       gibt es eine puritanische Haltung, in Frankreich eine gewisse
       Freizügigkeit. Aber solche Differenzen würden verschwinden, falls das
       Verbrechen bewiesen würde. Diesbezüglich gibt es in Frankreich und in den
       USA keine unterschiedliche Beurteilung. Vergewaltigung ist Vergewaltigung.
       
       In diesem Fall wird nicht erst das Urteil, sondern schon die Erhebung der
       Anklage und das Strafverfahren weitreichende Folgen haben. In erster Linie
       in der französischen Innenpolitik für die Sozialisten. 
       
       Es ist noch zu früh, um das abzuschätzen. Natürlich müssen die Sozialisten
       ihre Wahlstrategie neu organisieren. Das gilt aber auch für Nicolas
       Sarkozy; er hatte sich darauf eingestellt, dass im Wahlkampf Strauss-Kahn
       sein Gegner sein werde. Sarkozys neuer Gegner könnte ihm vielleicht noch
       gefährlicher werden. Nur dies kann man mit Gewissheit sagen: Diese "Affäre"
       wird dem Front National nützen. Der FN führt eine Kampf gegen die Elite und
       wird nun sagen: Wir waren schon immer gegen dieses korrupte Establishment.
       
       Welche Folgen hat die "Affäre" für die Nachfolge an der Spitze des
       Internationalen Währungsfonds, den Strauss-Kahn geleitet hat? 
       
       Es wird meiner Ansicht nach für eine Europäerin wie die französische
       Wirtschaftsministerin Christine Lagarde sehr schwierig sein, diesen Posten
       zu erhalten. Die Ansprüche aus anderen Teilen der Welt waren schon vorher
       groß. Wird es also Kemal Dervis sein? Er dürfte von den USA unterstützt
       werden, und er wird von einigen in Europa als kleineres Übel betrachtet.
       Ich meine, in diesem internationalen Bereich wird Dominique Strauss-Kahn
       mit seinem großen Verhandlungsgeschick am meisten fehlen. Er ist ein
       bedeutender Ökonom.
       
       Und Griechenland verliert eine Stimme bei den Verhandlungen in der
       Euro-Gruppe? 
       
       Nicht nur Griechenland. Das ganze Währungssystem ist destabilisiert.
       Strauss-Kahn ist ein hochbegabter Mann. Ich weiß nicht, ob er Präsident in
       Frankreich hätte werden können, aber auf jeden Fall war er ein guter
       IWF-Direktor.
       
       Schadet dieser Skandal auch dem Image Frankreichs in der Welt? Vor allem im
       bürgerlichen Regierungslager wird dies befürchtet. 
       
       Ja, das trifft zu. Der Schaden ist angerichtet. Frankreich erhebt den
       Anspruch auf wichtige Posten. Ein Franzose auf einem Schlüsselposten, der
       sich in unentschuldbarer Weise verhält, verrät die ihm übertragene
       Verantwortung. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Bedeutung Frankreichs in
       der Welt infrage gestellt wird. Schon vor dieser Affäre hieß es, die
       Franzosen seien überrepräsentiert in den internationalen Institutionen.
       
       Weil Präsident Nicolas Sarkozy alles versucht, um Frankreich außenpolitisch
       wieder in den Vordergrund zu rücken? 
       
       Genau. Das kann deshalb auch die französische Außenpolitik beeinträchtigen
       und destabilisieren.
       
       22 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
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