# taz.de -- Slavoj Zizek über den Arabischen Frühling: "Ich gebe zu, ich war überrascht"
       
       > Die Revolutionäre wollen nicht den gleichen liberalen Kapitalismus wie
       > der Westen. Sie wollen mehr. Ein Gespräch mit dem Philosophen Slavoj
       > Zizek.
       
 (IMG) Bild: Pathetischer Moment der Solidarität: Demonstranten feiern im Februar in Kairo den Rücktritt Mubaraks.
       
       taz: Herr Zizek, bei ihrem letzten Interview mit der taz haben sie gesagt,
       dass Sie keinen "Plan für eine neue Revolution" hätten. Angesichts der
       Revolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten - fehlt Ihnen das Gespür für
       den revolutionären Moment? 
       
       Slavoj Zizek: Ich gebe zu, ich war überrascht. Aber das Neue kommt eben nie
       von dort her, wo man es erwarten würde. Wir haben einfach keine Theorien,
       um im Vorfeld zu urteilen. Noch kurz vor der Oktoberrevolution sagte Lenin:
       "Wenn ihr Glück habt, werden eure Söhne die Revolution erleben."
       
       Und sind die Ereignisse nach Ihrem Geschmack? 
       
       Ja, ich freue mich. Das ewige Mantra der europäischen Liberalen, Muslime
       könne man nur mit Antisemitismus, Nationalismus und Islamismus in Wallung
       bringen, ist widerlegt. Was wir sehen, ist eine klar universalistische
       Bewegung für mehr Freiheiten und Solidarität.
       
       Als radikaler Linker müssten Sie die Ereignisse doch verschrecken.
       Bestätigt sich nicht Fukuyamas These vom Endsieg der liberalen Demokratie
       in Verbindung mit Kapitalismus? 
       
       Fukuyama glaubt doch selber nicht mehr an das "Ende der Geschichte". Die
       Idee, dass diese Staaten alle unserem fröhlich liberalen globalen Dorf
       beitreten, ist utopisch. Es ist völlig falsch, zu denken, die Revolutionäre
       wollen den gleichen liberalen Kapitalismus wie der Westen. Sie wollen mehr.
       
       … aber was mehr? 
       
       Nun, dieses "Mehr" schwingt untergründig in den Forderungen nach
       Gerechtigkeit und Solidarität mit. Ob es sich am Ende einstellen wird, das
       ist noch offen. Ich bin skeptisch.
       
       In Ägypten verwaltet mittlerweile ein Militärrat die Revolution. Kann man
       da überhaupt noch von einer Revolution mit "offenem" Ausgang sprechen? 
       
       Vieles spricht dafür, dass die Revolution ein pathetischer Moment der
       Solidarität bleibt. Wenn die Ägypter aufwachen, werden sie neue Gesichter
       haben, aber das gleiche System - etwas liberaler, aber weiterhin korrupt.
       Der entscheidende Kampf findet im Moment statt. Aus den Aufständen eine
       neue institutionelle Ordnung hervorgehen zu lassen, erfordert geduldige
       Arbeit.
       
       Kann Religion eine Lösung sein? Oder schließen Religion und Emanzipation
       sich gegenseitig aus? 
       
       Der Islam hat sicherlich ein gewisses emanzipatorisches Potenzial. In einem
       vor Kurzem veröffentlichten CIA-Dokument aus den 60er Jahren las ich:
       Vergesst Kuba, vergesst Kommunismus. Die einzige Gefahr, die die Amerikaner
       wirklich fürchten müssen, ist linke Theologie. Nein, im Ernst. Prinzipiell
       bin ich nicht der Ansicht, dass Religion ein notwendiger Bezugspunkt im
       revolutionären Prozess ist. Im Übrigen: Ich glaube auch nicht an die
       Notwendigkeit einer Emanzipation vom Westen. Insofern, als die radikale
       Emanzipation ein westliches Projekt mit universellem Anspruch ist. Hier bin
       ich also Eurozentrist.
       
       Was ist mit Israels Sorgen, durch die Revolutionen könnten die Islamisten
       an die Macht kommen? 
       
       Von Islamisten sehen wir bislang nichts. In erster Linie beobachten wir ja
       säkular-demokratische Revolutionen. Und die sind die einzige Chance, dass
       der Antisemitismus im Nahen Osten verschwindet oder abnimmt. Auf
       Antisemitismus haben sich die alten Autokratien im Inneren gestützt.
       
       Angesichts des Muts junger Syrer, Libyer und Ägypter - wo ist die
       europäische Linke? 
       
       Die europäische Linke hat keinen konsistenten sozialökonomischen Plan für
       eine alternative Gesellschaft. Entweder sie erfindet sich neu …
       
       … oder? 
       
       Oder der Neoliberalismus plus Antiimmigrationsbewegungen bringen neue
       softautoritäre Regime hervor. Die Demokratiewelle in Nordafrika und im
       Nahen Osten macht die Dinge nur komplizierter. Weil sie die Tatsache
       verschleiert, dass wir weltweit mit neuen Formen der Apartheid, der
       Exklusion und Inklusion von Menschen, konfrontiert werden. Alles, um den
       Kapitalismus am Laufen zu halten.
       
       Schlechte Aussichten also? 
       
       Weshalb? Die einzige Utopie ist die Annahme, Dinge würden auf ewig bleiben,
       wie sie sind.
       
       25 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Ondreka
       
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