# taz.de -- Stadtnatur: Die Grüne Hölle im Hinterhof
       
       > Bei den Offenen Gärten zeigen BerlinerInnen ihre privaten Paradiese. Sie
       > erklären, wie man Falter anlockt, Schattenflächen bepflanzt oder
       > Blattläuse biologisch bekämpft.
       
 (IMG) Bild: Hat mehr als 500 Pflanzensorten in ihrem Garten: Susanna Komischke aus Berlin-Spandau
       
       Susanna Komischkes Experimentierfeld steht im Vorgarten. Die wildwuchernde,
       mannshohe Pflanzenansammlung inmitten kurz gehaltenen Rasens springt sofort
       ins Auge. "Wenn ich beim Spazierengehen etwas sehe, was ich nicht kenne,
       pflanze ich es an und versuche es zu bestimmen", erklärt die 49-Jährige.
       
       Seit 1988 sät Komischke Bekanntes und Unbekanntes in ihrem Garten am
       Spandauer Bolteweg. Den "Echten Steinsamen" etwa, dessen kleine, weiße
       Blüten sich zwischen den Blättchen verstecken, hat sie aus Hiddensee
       mitgebracht, jetzt steht er neben dem Gewürzfenchel. Auch der besticht
       nicht durch Blütenpracht, aber die Gartenbesitzerin hegt und pflegt ihn,
       "weil er gern besucht wird vom Schwalbenschwanz". Es kommen viele
       Schmetterlinge zu Komischke, 2008 hat ihr das den Nabu-Ehrentitel
       "Schmetterlingsgarten" eingebracht. Wie sie diese und andere Insekten
       anlockt und warum sie genau weiß, dass über 500 Pflanzenarten in ihrem
       Garten wachsen, wird sie im Rahmen der "Offenen Gärten Berlin-Brandenburg"
       erklären.
       
       Das Spandauer Artenvielfaltwunder ist einer von 84 privaten Gärten, die an
       diesem Wochenende ihre Pforten für Besucher öffnen. Zu besichtigen ist
       alles, was die Sehnsucht des Städters nach kultivierter Natur erfüllt:
       ausgedehnte Landhaus- oder Staudengärten, üppige Hausgärten, Züchter- und
       Sammlergärten, romantische Rosengärten, japanische Gärten, Künstler-, Wald-
       und Bauerngärten.
       
       Auch ein Hinterhofwäldchen ist dabei: Freya Straßburg hat es unter ihre
       Fittiche genommen. Die gut 100 Quadratmeter große, baumbestandene Fläche
       ist Teil eines Kreuzberger Hinterhofs, der sich über das ganze Karree
       zwischen Mariannenplatz, Muskauer, Waldemar- und Manteuffelstraße
       erstreckt. Vor acht Jahren hat die 72-Jährige das eingezäunte Grün
       angemietet. Früher, erzählt sie, war es in handtuchschmale Parzellen
       unterteilt, sogenannte Mietergärten. "Aber die wurden nie genutzt." Heute
       gebe es offenbar wieder mehr Menschen, die einen Flecken Erde bearbeiten
       und der Natur beim Wachsen zusehen wollen. Bei den letzten beiden Offenen
       Gärten, an denen sie teilnahm, seien jeweils um die 200 Besucher gekommen,
       die erfahren wollten, wie man aus seinem Hof eine "grüne Hölle" macht.
       
       Was im Schatten geht und was nicht, hat Straßburg in jahrelangem
       Trial-and-Error ausprobiert, mit Erfolg. Zwar bedauert sie, dass "die
       schönste Zeit schon vorbei ist" - als die Sonne im Frühjahr durch die noch
       kahlen Baumkronen ein Blumenmeer von Tulpen und Konsorten beschien. Aber
       auch Ende Mai finden sich zwischen Farn, Waldmeister und Bärlauch zarte
       Blüten von Akelei, Storchschnabel und Purpurglöckchen. Und nicht nur, was
       schön blüht, kommt in den Garten: "Ich achte auch auf Tiere", erklärt
       Straßburg. "Das Lungenkraut zum Beispiel blüht zuerst, da stürzen sich die
       Bienen geradezu drauf."
       
       Eine möglichst große Vielfalt von Pflanzen und Tieren in ihren Garten
       locken wollen auch Angela und Wolfgang Runge. "Alles was wild lebt, wird
       gefördert", bringt es die 60-jährige Übersetzerin auf den Punkt. Ein
       "Insektenhotel" - ein Rahmen voller armdicker Aststücke mit Brutlöchern für
       Wildbienen und -wespen - hatten die beiden in ihrem Pankower Garten schon,
       "als es den Begriff noch nicht gab". Und einen Florfliegenkasten:
       Florfliegen fressen gerne Blattläuse. Genau wie Ohrenkneifer, für die
       Wolfgang Runge umgedrehte, mit Heu befüllte Blumentöpfe als Behausungen in
       den Holunder und die Quitte gehängt hat.
       
       Die naturorientierte Einstellung habe wohl den Ausschlag gegeben, dass sie
       erstmals an den Offenen Gärten teilnehmen dürfen, vermutet der Ingenieur im
       Ruhestand. Das Ehepaar, das seit 1976 auf dem 900-qm-Grundstück im Ortsteil
       Rosenthal lebt, hat nach seiner Bewerbung Besuch von den Organisatoren
       bekommen. Die hätten sich alles genau angeschaut. "Jeder Garten, der
       mitmacht, soll ja etwas Besonderes haben - ein Thema oder Motiv", sagt
       Angela Runge. Bei ihnen sei es eben die Beachtung ökologischer Grundsätze.
       
       Die erschließen sich Betrachtern vielleicht nicht auf den ersten Blick,
       werden aber bei einem Rundgang ausführlich erklärt: Zwischen das Gemüse
       etwa sät Angela Runge Ringelblumen zur Bodenverbesserung. Mit dem Sud vom
       Schachtelhalm - "für manche ist das ja Unkraut" - begießt sie die Pflanzen
       zur Wachstumsförderung. Im Kartoffelbeet wagt sie dieses Jahr ein
       Experiment und hat die Knollen in ein Strohbett gelegt: "Das soll gute
       Ernte geben". Ökologisch korrekt und voll im Trend haben die Hobbygärtner
       auch die Vorzüge alter Sorten entdeckt. Etwa bei den Tomaten: "Die
       schmecken besser und sind unempfindlich gegen Krankheiten wie Braunfäule",
       weiß Wolfgang Runge.
       
       Alte Sorten gibt es auch in Susanna Komischkes Garten zuhauf. An der
       Südseite des Hauses wachsen Tomaten namens "Green Zebra", "Tigerella" und
       "Kleines Ochsenherz", in einer Gemüserabatte gedeiht Helgoländer Wildkohl -
       "der Vorfahre aller unserer Kohlsorten" -, in einer anderen ein Salat
       namens "Goldforelle".
       
       Komischkes wahre Leidenschaft sind jedoch Kräuter: Ob etwas als Tee taugt,
       gesund ist, würzt oder duftet - die kleine, drahtige Frau, die ihre gesamte
       Freizeit im Garten verbringt, kennt alle Vorzüge. Und ist, einmal danach
       befragt, kaum zu stoppen. Während sie auf ihr in Buchsbaum eingefasstes
       Kräutergärtchen weist, sprudelt es aus ihr heraus: "Hier habe ich
       Zitronen-, Anis- und Minzverbene hingesetzt. Der Tee der Zitronenverbene
       schmeckt zitroniger als Zitrone. Das da ist der ,Gute Heinrich', der wurde
       früher statt Spinat benutzt. Und dort", sie zeigt auf eine Pflanze mit
       zarten, weißen Dolden, "haben wir Engelwurz, eine alte Heilpflanze, die für
       alles gut ist. Früher haben sie die jungen Stängel kandiert, das ist eine
       feine Süßigkeit."
       
       Der Vortrag wird unterbrochen von einem lauten "Plonk": Ein junger Spatz
       ist gegen die geschlossene Terrassentür geflogen. Susanna Komischke hebt
       den sterbenden Vogel auf und streichelt ihn. "Ich zeig ihn noch meiner
       Tochter, und dann kommt er auf den Kompost", sagt sie. Ein guter Gärtner
       kann aus allem einen Nutzen ziehen.
       
       27 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Gannott
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Balkon
       
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