# taz.de -- Grafikdesign im Jugendstil: Bilderflut an einer Zeitenwende
       
       > Wenn die Kunst in den Alltag vordringt: Dem Siegeszug des Grafikdesigns
       > um 1900 widmet sich eine gelungene Ausstellung im Hamburger Museum für
       > Kunst und Gewerbe.
       
 (IMG) Bild: Jugendstil der unbekannten Art: Heinrich Leflers Illustration zum Andersen-Mächen "Die Prinzessin und der Schweinehirt" (1897).
       
       HAMBURG taz | Cacao und Champagner, Zigaretten und Zigarren, Seife und
       Suppenwürfel, schöne Frauen und Löwen: Überall sind bunte Plakate zu sehen,
       meist mit Werbung drauf.
       
       Und selbst so abwegige Botschaften wie diese wollen betrachtet werden: "Die
       Venus von Milo und Galopp-Creme PILO haben nichts miteinander gemein, sind
       aber beide in ihrer Art vollkommen …". Im letzten Viertel des 19.
       Jahrhunderts hat die Chromolithographie für eine Ausstattung des Alltags
       mit Bildern gesorgt, wie sie vorher unvorstellbar war.
       
       Diese immense Bildproduktion erschien manchen schon damals verwerflich: Vor
       einer Oberflächlichkeit der Bilderflut wird in kulturkritischen Texten
       nicht erst heutzutage gewarnt.
       
       Nicht solche Parallelen allerdings sind es, die das Hamburger Museum für
       Kunst und Gewerbe veranlasst haben zu dieser "Der Aufbruch des Bildes in
       den Alltag" untertitelten Ausstellung mit Grafikdesign um 1900. Sie
       verdankt sich vielmehr der erfreulichen Tatsache, dass die Aufarbeitung
       einer der weltweit umfangreichsten Sammlungen zu diesem Thema nun
       weitgehend fertiggestellt wortden ist.
       
       Justus Brinckmann, Gründungsdirektors des Hauses, hatte bei der
       Gebrauchsgrafik einen besonderen Schwerpunkt gesetzt. Von Plakaten bis zu
       Visitenkarten umfasst die Hamburger Sammlung etwa 20.000 Blätter. Ein
       Großteil wurde in den letzten drei Jahren mit Hilfe der Zeit-Stiftung
       aufgearbeitet. Das in Gänze zu präsentieren ist unmöglich.
       
       Aber die jetzt in vier Räumen gezeigte Auswahl von mehr als 350 Arbeiten
       gibt von Zirkusreklame zu Sammelbildchen, von Ornamententwürfen zu
       Buchillustrationen einen guten Eindruck. Die internationale Sammlung hat
       regionale Bezüge: So gehörte die 1872 in Altona gegründete "Adolph
       Friedländer Buchdruckerei und Lithogr. Kunstanstalt" um 1890 zu den größten
       Plakatdruckereien der Welt.
       
       Wie dynamisch man sich damals die Welt im Jahre 2000 vorstellte, zeigen
       Sammelbildchen für Schokolade: ein "Reisehotel" auf Schienen, fliegende
       Polizisten und ein Luftschiff der Linie "Berlin-Melbourne". Auch was es am
       10. Juli 1891 im Restaurant de la Tour Eiffel gab, ist zu erfahren - die
       Speisen wurden handschriftlich in einen Vordruck mit eilendem Kellner
       eingefügt.
       
       Sehr ungewöhnlich ist ein Theaterprogramm von Paul Signac für das Pariser
       "Theatre libre": Es scheint, als ob der pointilistische Maler hier 1888
       ausdrücklich physikalische Farbtheorien demonstrieren wollte. Das dabei
       genutzte Vierfarb-Verfahren ist jedenfalls eine Vereinfachung der
       Drucktechnik, die ein nicht unwesentlicher Grund wurde für die wachsende
       Verbreitung der Alltagsgrafik.
       
       Der im dritten Ausstellungsraum so bezeichnete "elegante Jugendstil" ist am
       ehesten das, was gemeinhin das Bild dieses linienbetonten, floralen Stils
       prägt. Für wenige Jahre genoss er überregionale Beliebtheit: Von der
       Pariser Metro bis zur Kachel im Mietshaus, vom Theaterplakat bis zur
       individuellen Geschäftskarte folgte alles von Riga bis Barcelona dieser
       Formensprache, die nicht zufällig am Ende der 1960er Jahre wiederentdeckt
       wurde.
       
       Kunsthistorisch als "Art Nouveau" oder "Modern Style" bezeichnet, prägte in
       Deutschland das Münchner Lifestyle-Magazin Jugend den Namen. Nicht nur in
       Paris wurde das von führenden Künstlern gestaltete Plakat zu einer
       gefragten Kunstgattung - und das ist es wohl noch bis heute, beispielsweise
       was die Bekanntheit der von Henri de Toulouse-Lautrec gestalteten
       Lithographie des sozialkritischen Kabarett-Sängers Aristide Bruant mit
       seinem locker geschwungen roten Schal angeht.
       
       Einen lebensreformerischen, elitären englischen Sonderweg zeigen die
       wunderbar dekadenten Buchgestaltungen von Aubrey Beardsley, das von Oscar
       Wilde im Roman "Dorian Gray" zitierte "Yellow Book" und andere exklusive
       Drucke im Umkreis der "Arts and Crafts"-Bewegung.
       
       Ansonsten war es den Grafikkünstlern dieser Zeit gerade recht, ihre
       Entwürfe ungezählt vervielfältigt zu sehen: "Ich war froh, dass ich mich
       für eine Kunst engagierte, die für das Volk bestimmt war und nicht für den
       geschlossenen Kreis der Salonbesucher …", sagte Alfons Mucha, weltberühmt
       ob seiner sieben hochformatigen Plakate für die Schauspielerin Sarah
       Bernhardt.
       
       Schriften und grafische Erscheinung transportieren nicht nur Inhalte, sie
       sind auch selbst Ausdruck der jeweiligen sozialen Ideale, seien es
       bourgeoise Eleganz in Paris, konservativer Mittelalterbezug im deutschen
       Reich oder künstlerische Sezession in Wien.
       
       Viele der Künstler jener Zeit begreifen die Gestaltung von Schrift und
       Ornament als wesentlichen Baustein der Gesellschaft, als Teil eines
       Gesamtkunstwerks. Peter Behrens etwa gestaltete für die AEG nicht nur das,
       was heute als "Corporate Identity" bezeichnet wird, von ihm ist in der
       Ausstellung auch der Entwurf zum Schriftzug "Dem deutschen Volke" am
       Berliner Reichstag zu sehen. Ebenso ist er als Architekt bekannt geworden,
       ebenso wie der Designer Henry van de Velde.
       
       Nach 1905 ziehen sich die Künstler aus der Grafikgestaltung zurück.
       Professionelle, an einer Kunstgewerbeschule - wie sie einst auch im Haus
       des Museums für Kunst und Gewerbe bestand - ausgebildete Grafiker
       übernehmen das Feld.
       
       In New York werden zeitgleich die ersten Werbeagenturen gegründet.
       Wichtiger als allegorische Überhöhungen und ornamentale Schönheit werden
       nun die Fotografie und eine am Produkt orientierte, neue Sachlichkeit.
       
       Die kulturellen und politischen Umwälzungen um 1900 im Spiegel der
       Gebrauchsgrafik zu studieren ist durchaus reizvoll. In der Ausstellung,
       ohne den neuen Katalog-Folianten, sind die Erklärungen aber manchmal zu
       knapp ausgefallen. Wer noch mehr Jugendstil sehen will, findet diesen
       weiteren Schwerpunkt gleich in den anschließenden Räumen.
       
       27 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hajo Schiff
       
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