# taz.de -- Strategien gegen Mieterhöhungen: Gekaufte Freiheit
       
       > Am Montag erscheint der neue Mietspiegel für Berlin. Wie Bewohner sich
       > erfolgreich gegen steigende Wohnkosten wehren können, zeigt ein Haus im
       > Stadtteil Friedrichshain.
       
 (IMG) Bild: Eingang der Liebigstraße 15. Hier wohnt man günstig, nebenan wird's gepfefferte Mieten geben.
       
       BERLIN taz | Wenn am Montagmittag in der Senatsverwaltung der neue
       Mietspiegel für Berlin vorgestellt wird, werden sich zwei Männer besonders
       freuen. Der eine heißt Suitbert Beulker und ist Hauseigentümer der
       Liebigstraße 14. Der andere ist Andreas Döhler, er ist Mieter nebenan in
       der Hausnummer 15.
       
       Beulker hat im Februar die Wohnungen in seinem Haus von 2.500 Polizisten
       räumen lassen. Sobald neue Leute einziehen, kann er die Mieten an den
       Mietspiegel anpassen, also erhöhen. Döhler lebt seit 1991 im Nachbarhaus.
       Ihm kann der Mietspiegel egal sein, seine Miete ist seit sieben Jahren
       nicht gestiegen und wird es wohl auch in Zukunft nicht. Döhler lebt in
       einem Genossenschaftshaus.
       
       Egal, wie man über Gentrifizierung denkt, jeder wünscht sich bezahlbare
       Mieten in einem Stadtteil, in dem er sich wohlfühlt. Die Frage ist nur,
       wie?
       
       ## Ein Kleinkrieg
       
       Die Liebigstraße 14 zeigt, wie es nicht geht. Richtig gut lief es dagegen
       ein Haus weiter. Beide Häuser gingen 1990 als besetzte Gebäude gemeinsam an
       den Start. Das waren Zeiten, in denen Ostberliner noch schneller fuhren,
       wenn sie mit dem Auto durch Friedrichshain mussten. Ein düsterer Stadtteil
       voll halb verfallener Altbauten. Interessant nur für Westberliner
       Hausbesetzer, wie Andreas Döhler einer war, heute 48 und Filmkurator: "Im
       Sommer 1990 wurden beide Häuser besetzt, so wie viele andere auch zu der
       Zeit."
       
       Die beiden Häuser gehörten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft.
       Deshalb konnten die einstigen Besetzer unbefristete Mietverträge aushandeln
       und wurden so zu Mietern. "Das war Zufall, ob es in dem Moment Ansprüche
       von Alteigentümern gab oder die Wohnungsbaugesellschaft an neue Eigentümer
       verkaufen wollte", erinnert sich Andreas Döhler. So ging es dann viele
       Jahre gut. Bis 1999 die Liebigstraße 14 plötzlich zum Verkauf stand.
       
       Laut Wohnungsbaugesellschaft gab es nur einen einzigen Interessenten:
       Suitbert Beulker. Ab hier verändert sich die Geschichte der beiden Häuser.
       In der 14 entbrannte ein Kleinkrieg zwischen Beulker und den Bewohnern. Der
       neue Eigentümer wollte sanieren und allen Altmietern kündigen. Er pochte
       auf seine Rechte, vergaß aber, sich um die Reparatur der Heizungen im Haus
       zu kümmern. Die Mieten forderte er beharrlich ein, während er den eigenen
       Angestellten ihren Lohn vorenthielt. Immer wieder versuchte er sich Zugang
       zu den Wohnungen zu verschaffen. Mit der Presse redete er nie.
       
       Die Bewohner zahlten indes weiter ihre Mieten, allerdings nur so viel, wie
       im Jahr 1992 vereinbart worden war. Sie machten Namen und Adressen von
       Beulker und seinen Geschäftspartnern öffentlich. Mit Sitzstreiks und
       Gerichtsverfahren gingen sie gegen ihren Vermieter vor. "Obwohl wir immer
       gehofft haben, gab es eigentlich seit 2001 gar keine Kommunikation mit dem
       Hauseigentümer mehr", sagt Jacob, einer der ehemaligen Bewohner aus dem
       Hausprojekt "Liebig 14". Ein Kaufangebot, das die Bewohner im letzten
       Moment machten, ignorierte Beulker.
       
       Im Februar 2011 wurde das Gebäude mit viel Resonanz in den Medien geräumt.
       Das Haus wurde dabei stark beschädigt, die Kosten für die Stadt waren
       immens. Die Sachschäden überstiegen laut Polizeiangaben die bei den
       Krawallen am 1. Mai 2010. Für die Räumungskosten und die Schäden am Haus
       müssen die Bewohner teilweise aufkommen.
       
       Auf sie kommen Schadenersatzforderungen von bis zu 100.000 Euro zu. "Eine
       teure Posse", befand die Süddeutsche Zeitung. Ein ehemaliger Bewohner
       bezeichnete es in der taz als "starkes Signal" an die Berliner Politik.
       
       ## Rettung durch die "Bremer Höhe"
       
       Die Liebigstraße 15 ging gemächlich einen anderen Weg. Als 2003 klar wurde,
       dass auch dieses Haus von der Wohnungsbaugesellschaft verkauft werden
       sollte, suchten sich die Bewohner innerhalb von zwei Monaten selbst einen
       neuen Eigentümer.
       
       Sie fanden die Wohnungsbaugenossenschaft "Bremer Höhe". Das war keine von
       den großen und trägen städtischen Wohnungsgenossenschaften, sondern eine
       "Alternative", die im Jahr 2000 auf Bewohnerinitiative hin in Prenzlauer
       Berg gegründet worden war.
       
       Die Bremer Höhe kaufte die Liebigstraße 15 und sanierte sie. Ein Großteil
       der Sanierungskosten wurde damals noch von der Stadt bezahlt. Die
       Genossenschaft konnte die Warmmiete deshalb auf 5 Euro pro Quadratmeter für
       sieben Jahre festsetzen. Da steht sie noch heute und, wie Mieter Andreas
       Döhler hofft, "auch noch die nächsten sieben Jahre".
       
       Das ist etwas Besonderes. Die Mieten bei der Bremer Höhe sind stabil und
       die Nebenkosten niedrig. "Sonst hat man ja bei den meisten Vermietern das
       Gefühl, ständig über den Tisch gezogen zu werden. Wahrscheinlich sogar zu
       Recht", sagt Andreas Döhler. "Bei der Bremer Höhe ist alles transparent."
       Wenn ein Haus abbezahlt ist, unterstützt es mit einem Teil seiner Mieten
       den Ankauf von neuen Projekten. So kommt der Profit anderen Mietern wieder
       zugute.
       
       Rekordverdächtige 5 Euro Warmmiete pro Quadratmeter - damit ist die
       Liebigstraße 15 sicher eine Ausnahme. Die Genossenschaft Bremer Höhe ist
       kein Kostenwunder. Im Durchschnitt liegt der Mietpreis der Genossenschaft
       eigentlich bei 7 Euro.
       
       Dennoch zeigt die Geschichte der beiden Häuser in der Liebigstraße, wie
       eine nachhaltige Privatisierungspolitik der Stadt aussehen kann. Die
       Genossenschaft ist seitdem beständig expandiert.
       
       Sie hat weitere Häuser in Berlin gekauft, eine Wagenburg und ein kleines
       Dorf an der Stadtgrenze. Kleine Genossenschaften können nicht das
       Mietniveau einer Stadt verändern. Berlin hat jahrelang stadteigene
       Wohnungen an private Investoren verkauft. Nun fehlen die Mittel, um die
       Mietsteigerungen, die damit einhergehen, sozial verträglich zu halten. Für
       Neubau fehlt das Geld. Deshalb ist die Stadt auf Alternativen angewiesen.
       Und die gibt es.
       
       Neben den acht alternativen Genossenschaften existieren etwa 140
       Baugruppen. Es gibt die Trias-Stiftung oder das Mietshäuser Syndikat, die
       in ganz Deutschland Gruppen beim Häuserkauf unterstützen. Auf dem
       "Wohnprojekte-Portal" können sich Interessenten online informieren.
       
       ## Ständige Sabotagen
       
       Die Senatsverwaltung Berlin hat zumindest die finanziell gut ausgestatteten
       Baugruppen für sich entdeckt und berät diese bei ihren Vorhaben. Wer
       bezahlbare Mieten haben will, muss einen langen Atem haben und Glück mit
       der Stadtpolitik. Dann erschrickt man nicht mehr, wenn an Tagen wie diesem
       der neue Mietspiegel erscheint.
       
       Einen langen Atem braucht auch Suitbert Beulker. Bis die Wohnungen in
       seinem Haus in der Liebigstraße 14 wieder bezogen werden, kann es noch eine
       Weile dauern. Die zuständige Immobilienfirma hatte den Neueinzug zwar für
       Juni angekündigt, bei einer Warmmiete von 9,40 Euro pro Quadratmeter. Die
       Bauarbeiten an dem Haus werden aber seit der Räumung immer wieder
       sabotiert. Vor drei Wochen deckten Unbekannte nachts das Dach ab und
       verursachten so einen Wasserschaden.
       
       29 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carsten Janke
       
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