# taz.de -- MPG-Präsident Gruss über Forschung: "Eine wichtige Weichenstellung"
       
       > Nur Grundlagenforschung ermöglicht etwas ganz Neues, ist Professor Peter
       > Gruss, Biologe und Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, überzeugt.
       
 (IMG) Bild: Peter Gruss bei der Jubiläumsfeier anlässlich 100 Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerorganisation der Max-Planck-Gesellschaft.
       
       taz: Herr Professor Gruss, Sie führen Deutschlands bedeutendste
       Organisation für Grundlagenforschung, die Max-Planck-Gesellschaft. Sie als
       Biologe gefragt: Was ist das Spannende an Forschung? Was treibt einen
       Forscher an? 
       
       Peter Gruss: Einen Forscher treibt das an, was uns alle antreibt: die
       schlichte Neugier. Wir wollen etwas herausfinden, was noch nicht bekannt
       ist. Der Forscher verknüpft diese Neugier nur mit einer systematischen
       Vorgehensweise. Das heißt, er formuliert zunächst eine Hypothese, die er
       mit einer experimentellen Fragestellung überprüft. Die Bestätigung ist dann
       für den Laien höchst abstrakt - das kann ein gereinigtes Molekül oder ein
       leuchtender Punkt in der Zelle sein. Als Biologe beispielsweise möchte ich
       verstehen, wie die molekularen Prozesse in der Natur ablaufen. Um
       schließlich deren Mechanismen zu erklären.
       
       Wie sehen Glücksmomente des Forschers aus? Wenn ein gutes Ergebnis zustande
       kommt? 
       
       Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman hat die Arbeitsweise
       eines Forschers einmal als sogenannten Puzzle-Drive bezeichnet. Im
       bildhaften Sinn heißt das, dass man den Willen und den Antrieb hat, einem
       Puzzle weitere Teile hinzuzufügen. Der einzelne Forscher untersucht dabei
       in der Regel ganz spezielle Detailfragen. Das Glücksmoment tritt dann ein,
       wenn Sie ein Teil hinzufügen können, sodass sich das Ganze zu einem Bild
       zusammenfügt. Wenn also auf einmal erkennbar wird, was vorher nicht zu
       sehen war.
       
       Forschen kann auch Ergebnisse produzieren, die ethisch nicht vertretbar
       sind. Die Ambivalenz der Atomforschung ist ein bekanntes Beispiel. Wie sehr
       muss der einzelne Forscher die Folgewirkungen seines Tuns mit bedenken,
       oder müssen ihm Kontrolleure zur Seite gestellt werden, die einen
       Missbrauch von Wissenschaft frühzeitig unterbinden? 
       
       Sie sprechen das Spannungsfeld zwischen Forschungsfreiheit und
       Forschungsrisiken an. Ganz eindeutig: Der Forscher kann aus seiner
       Verantwortung nicht entlassen werden. Er muss mögliche Folgen mit bedenken.
       Diese Verpflichtung können ihm andere nicht abnehmen. Denn wer zuerst eine
       Tür öffnet, sieht auch als Erster, was dahintersteckt. Kontrollinstanzen
       können das gar nicht vorher erkennen. Es muss also eine wissenschaftliche
       Selbstverpflichtung geben, auf alle möglichen Implikationen hinzuweisen.
       
       Die Frage ist dann, wie wir mit den Ergebnissen umgehen. 1975
       beispielsweise haben Wissenschaftler aus der ganzen Welt auf der
       Asilomar-Konferenz in Kalifornien über die Entwicklungen in der
       Molekularbiologie diskutiert und Regeln entworfen, um mögliche
       Grenzverletzungen zu verhindern. Diese Ergebnisse sind mittlerweile in die
       meisten staatlichen Regelungen zur Gentechnik eingeflossen. In der
       Max-Planck-Gesellschaft haben wir eine Ethikkommission, die sich unter
       anderem auch mit Regelungen zum "Dual Use" von Forschungsergebnissen
       befasst hat, also Forschungsergebnisse, die nicht nur einer friedlichen,
       sondern möglicherweise auch einer kriegerischen Anwendung zugeführt werden
       können.
       
       Vom Bioforscher in Göttingen zum Forschungsmanager in München - wie hat das
       Präsidentenamt den Wissenschaftler Peter Gruss verändert? 
       
       Wenn ich bei dem erwähnten Puzzle-Beispiel bleibe, dann ist es das gleiche
       Spiel geblieben, nur auf einer anderen Ebene. In meinem Göttinger Labor
       habe ich an meinem eigenen, aber eben doch kleinteiligen Forscherpuzzle
       gearbeitet. Als Präsident einer großen Forschungsorganisation bin ich im
       ständigen Austausch mit Top-Wissenschaftlern, die auf vielen Gebieten
       arbeiten. Ich erfahre von ihnen, woran sie forschen und wo sie die
       aktuellen Grenzen ihres Faches sehen. Dadurch bekomme ich ein sehr viel
       umfassenderes Bild von der Wissenschaft. Ich kann aber nicht verhehlen,
       dass es Phasen in meiner Arbeit gibt, wo auch ein bisschen Wehmut aufkommt.
       Denn ich bin in meinem Job heute sehr viel mehr von externen Faktoren
       abhängig. Es gilt, unterschiedliche Interessen zu koordinieren und
       politische Überzeugungsarbeit zu leisten - das ist einfach nicht dasselbe
       wie das unmittelbare Laborerlebnis.
       
       Wie zufrieden ist die MPG mit der Forschungspolitik der Bundesregierung und
       den Landesregierungen? 
       
       Nach meiner Einschätzung hat sich die Lage in den vergangenen Jahren durch
       die wegweisenden Instrumente wie die Exzellenzinitiative für die
       Hochschulen und den Pakt für Forschung und Innovation erkennbar verbessert.
       Und es war eine wichtige Weichenstellung, dass sich Bund und Länder - trotz
       der Finanzkrise - zur Fortführung des Forschungspakts und damit einer
       fünfprozentigen Budgetsteigerung für die deutsche Forschung über fünf Jahre
       entschieden haben. Das war ein starkes politisches Signal, das in der Welt
       große Beachtung gefunden hat und gerade auch in Europa Vorbildwirkung
       entfaltet.
       
       Aber es gibt doch sicherlich auch Reibungspunkte mit der Politik. 
       
       Um bei der Finanzierung zu bleiben. Deutschland kommt zwar an das so
       genannte Lissabon-Ziel, drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für
       Forschung und Entwicklung zu investieren, immer näher heran. Aber müssen
       wir nicht noch mehr investieren? Nehmen Sie zum Beispiel Südkorea, ein
       Land, das binnen weniger Jahrzehnte einen rasanten Aufstieg vom armen
       Agrarstaat hin zu einer führenden Technologie-Nation genommen hat. Südkorea
       wird mehr und mehr in die Grundlagenforschung investieren und will bis 2015
       seine Forschungsausgaben auf fünf Prozent des BIP steigern, das ist schon
       bemerkenswert. Es ist auch die Frage zu stellen: Wo sind die Gelder am
       besten investiert? Deutschland fördert noch nicht hinreichend
       wissenschaftsgeleitet und qualitätsorientiert. Bei der Verteilung von
       Forschungsmitteln dürfen keine Finanzierungsmodalitäten im Vordergrund
       stehen. Deshalb wird jetzt auch von Expertenseite vorgeschlagen, die
       Forschungsorganisationen nach einem gemeinsamen Schlüssel zu finanzieren.
       
       Muss sich die MPG um wirtschaftliche Anwendungen kümmern? Ihre Aufgabe ist
       doch die zweckfreie Grundlagenforschung. 
       
       Sicher, die neugiergetriebene Grundlagenforschung steht bei uns im
       Vordergrund. Aber wir arbeiten ja keineswegs im Elfenbeinturm, sondern
       stehen mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Die Frage, welcher
       Forschungsthemen wir uns annehmen, wird auch durch die Gesellschaft
       beeinflusst. Fest steht: Grundlagenforschung hat einen immanent hohen
       volkswirtschaftlichen Wert, und je technologieabhängiger eine Wirtschaft
       ist, desto mehr Investitionen sollten in die Grundlagenforschung getätigt
       werden. Warum? Weil nur Grundlagenforschung zu sogenannten
       Durchbruchsinnovationen führt. Angewandte Forschung beschäftigt sich
       zielgerichtet mit Verbesserungsinnovationen. Grundlagenforschung generiert
       dagegen wirklich vollkommen Neues - auch wenn sich diese Neuerungen nicht
       planen lassen. Ein schönes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Internet:
       Tim Berners-Lee, ein Physiker am CERN, wollte nur den Datentransfer
       zwischen zwei Instituten verbessern und erfand das WorldWideWeb. Und welche
       Veränderungen das mit sich gebracht hat, erfährt inzwischen jeder in seinem
       Alltag.
       
       Aber hat sich die MPG in jüngster Zeit nicht stärker der Wirtschaft
       angenähert? 
       
       Wir haben eine Tochtereinrichtung, die Max-Planck-Innovation, die sehr
       erfolgreich Forschungsergebnisse aus unseren Instituten in die Wirtschaft
       vermarktet. Die Verwertungserlöse betrugen im letzten Jahr um die 16
       Millionen Euro. Darüber hinaus gilt jedoch, dass viele Ergebnisse aus den
       Laboren der Grundlagenforscher noch nicht reif sind für die Wirtschaft.
       Deshalb haben wir beispielsweise das Lead Discovery Center in Dortmund
       gegründet, das inzwischen drei chemische Grundstrukturen erfolgreich
       weiterentwickelt und zwei davon schon an die Industrie lizenziert hat. Am
       Forschungszentrum caesar in Bonn haben wir einen Life Science Inkubator
       eingerichtet. Junge Wissenschaftler bekommen hier zwei Jahre lang eine
       Vollfinanzierung für ihre Projekte, wenn diese - wohlgemerkt durch die
       Wirtschaft - als erfolgversprechend eingestuft werden.
       
       In Umfragen unter Naturwissenschaftlern wird die MPG seit Jahren als der
       beliebteste Arbeitgeber in Deutschland angegeben. Was ist Ihr
       Betriebsgeheimnis? 
       
       Wir bieten jungen Forschern eine intellektuell anspruchsvollste Umgebung,
       in der sie ihre kreativen Potenziale optimal entfalten und auch ihre
       nächsten Karriereschritte machen können. Wir haben derzeit 5.600
       Doktoranden - und eine interne Umfrage unseres Doktorandennetzwerks hat
       ergeben, dass zwei Drittel von ihnen sich bei uns sehr gut aufgehoben
       fühlen.
       
       Kann es vielleicht auch an der Bezahlung liegen? 
       
       Nein, ganz sicher nicht. Tatsächlich sind die Stipendiensätze in
       Deutschland international nicht wirklich konkurrenzfähig.
       
       2 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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