# taz.de -- INTERVIEW ZUR BERLIN-WAHL: "Deutlich machen, wofür die SPD steht"
> Der Berliner Juso-Vorsitzende Christian Berg über alte Konzepte und neue
> Ideen, über Vaterfiguren und andere Lichtgestalten der Sozialdemokratie -
> und darüber, warum er nicht SPD wählen wird.
(IMG) Bild: Christian Berg, Berliner Juso-Vorsitzender.
taz: Herr Berg, hat der Vorsitzende der Jusos am Vatertag an die SPD
gedacht? Das ist doch die Partei der Vaterfiguren.
Wenn es eine Vaterfigur in der SPD für mich gibt, dann ist es Willy Brandt.
Er hatte politische Konzepte und den Mut, diese umzusetzen, obwohl sie zu
ihrer Zeit gesellschaftlich keine Mehrheiten hatten und sogar in der Partei
selber nicht populär waren; die aber langfristig wichtigen
gesellschaftlichen Wandel auslösten. Das vermisst man, wenn man heute in
der SPD nach Vaterfiguren sucht.
War Brandt ein Grund für Sie, in die SPD einzutreten - sind Sie überhaupt
in der SPD?
Ich bin in der SPD, aber es war nicht Willy Brandt, sondern Gerhard
Schröder, wegen dem ich eingetreten bin. Allerdings in Opposition zu ihm
und der Agenda 2010.
Beim Blick auf die SPD Berlin vor der Wahl - was finden Sie da noch von
Willy Brandts Mut?
Was ich jedenfalls nicht finde, weder in Berlin noch im Bund, ist ein
visionärer Entwurf, der über das Heute hinausgeht. Stattdessen sehe ich
alte Konzepte, eine politische Vergangenheit - Stichwort: Agenda -, von der
man zwar festgestellt hat, dass Fehler gemacht wurden, die aber dennoch
nicht aufgearbeitet wird. So kann man dann auch nicht sagen, wo es hingehen
soll. Es fehlt in der Frage der Wohnungspolitik, der sozialen Spaltung in
der Stadt die Vision für ein solidarisches Berlin. Rhetorisch mag sie da
sein, aber sie in konkrete Politik zu gießen, dazu fehlt der Mut.
Wer sind denn die Lichtgestalten in der Berliner SPD?
Man braucht vielleicht nicht unbedingt Lichtgestalten in der Politik.
Bräuchte man sie, sähe es im Moment aber düster aus. Wowereit ist
tatsächlich derzeit der einzige Politiker in der Berliner SPD, der Charisma
hat und ein bisschen über den Tag hinaus denkt - manchmal. Das
Durchschnittsalter der SPD-SenatorInnen ist 64, Wowereit ist der einzige
unter 60 Jahren. Da stelle ich mir die Frage, ob die Lebensrealitäten in
dieser jungen Stadt noch wahrgenommen werden können in so einem Senat.
Wo ist der Nachwuchs?
Wir Jusos sind da und haben auch Leute, die innerhalb der Partei gute
Arbeit machen. Es geht nicht darum, Jung und Alt gegeneinander
auszuspielen. Aber viele Jusos erfahren am eigenen Leib, dass wir in Berlin
ein massives Wohnungsproblem haben. Vom Senat hören wir trotzdem immer nur,
es gebe keine Wohnungsnot. Wenn man sich die Zahlen und die Proteste rund
um die Veröffentlichung des Mietspiegels anschaut, dann kann ich mich als
Senat nicht hinstellen und behaupten, wir hätten einen entspannten
Wohnungsmarkt. Das passiert, wenn man die Wohnungspolitik dem freien Markt
überlässt. Aber es gibt Alternativen.
Und die haben die Jusos?
Ja: Aufstockung des öffentlichen Wohneigentums, die Wiedereinführung der
Zweckentfremdungsverbotsverordnung, Immobilienspekulationen verhindern, und
vielleicht muss man als Ultima Ratio auch über Enteignungen nachdenken.
Vieles davon sind Maßnahmen, die bis vor zehn Jahren in dieser Stadt auch
umgesetzt wurden, die man aber heute nicht mehr anpacken möchte.
Warum nicht?
Zwischendurch war der Wohnungsmarkt entspannter. Aber das ist vorbei, und
das meine ich: Es geht darum, die sich verändernden Realitäten in dieser
Stadt wahrzunehmen. Da sind wir wieder bei Willy Brandt und seinem Satz,
dass jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht. Leider findet die SPD solche
Antworten gerade in substanziellen Fragen heute nicht mehr.
Wie offen sind die Türen für die Ideen der Jusos?
Ich glaube schon, dass wir Jusos wahrgenommen werden. Wir haben uns im
Wahlprogramm an manchen Stellen mit unseren Analysen durchgesetzt.
Wo etwa?
Zum Beispiel mit der Analyse, dass soziale Spaltung in dieser Stadt
Realität ist. Das artikuliert die SPD im Tagesgeschäft zwar nicht, aber im
Wahlprogramm haben wir das untergebracht. Darauf müssen jetzt aber auch
Taten folgen: etwa die Einführung der Lernmittelfreiheit oder die
Verbesserung der Wohnungssituation für BezieherInnen von
Transferleistungen. Die werden durch Auflagen der Jobcenter an den
Stadtrand gedrängt. Dem müsste der Senat viel engagierter entgegentreten,
um soziale Spaltung zu reduzieren.
Eher ein Thema der Linken als der SPD: Ist Rot-Rot die Wunschkoalition der
Jusos?
Ich glaube, dass Rot-Rot eine gute Koalition war, ja. Etwa der öffentliche
Beschäftigungssektor wäre ohne die Linke nicht in diesem Maße erhalten
worden.
Die SPD rückt aber mit ihrer Haltung etwa in der Frage des
Parteiausschlusses von Thilo Sarrazin doch eher nach rechts.
Das kommt dabei heraus, wenn man nur auf Umfragen schielt. Ich glaube, dass
die SPD unter Sigmar Gabriel dabei ist, genau das aufzugeben, was er selbst
als Ziel formuliert hat: Deutungshoheit für die Sozialdemokratie in dieser
Gesellschaft zu erlangen. Und wenn die SPD diesen Anspruch aufgibt, dann
muss sie sich wirklich fragen, welchen Platz sie in dieser Demokratie und
in diesem Parteiensystem noch hat.
Die SPD-Mitgliederzahl sinkt - wie sieht es bei den Jusos aus?
In Berlin steigt unsere Mitgliederzahl, wir sind hier mittlerweile 4.400.
Die teilweise aber sehr frustriert sind, wenn sie sich die Tagespolitik
anschauen.
Und wie viele machen später trotz aller Frustration bei der SPD weiter?
Dazu habe ich keine Zahlen. Der missglückte Parteiausschluss Sarrazins hat
bei vielen einen ordentlichen Frustrationsschub freigesetzt. Aber es gab
auch Leute, die zwar aus der SPD ausgetreten sind, bei den Jusos aber
weitermachen, weil wir uns ja immer ganz klar von Sarrazins Thesen und von
der Entscheidung der Partei, ihn nicht auszuschließen, distanziert haben.
Das zeigt uns, dass wir Jusos da auf dem richtigen Weg sind. Aber es ist
natürlich frustrierend, wenn junge Leute sagen, sie können sich mit Idealen
wie Freiheit, Solidarität, Gleichheit identifizieren, fänden die aber in
der SPD nicht mehr.
Wie sieht es mit Ihrer Frustration aus?
Ich habe mich ein paar Tage mit dem Gedanken an Austritt herumgeschlagen
und dann beschlossen, in der Partei zu bleiben, weil ich sie nicht den
Sarrazins überlassen will. Und weil ich glaube, dass es noch eine letzte
Chance gibt, deutlich zu machen, wofür diese Partei steht, was ihre
Grundwerte sind. Ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird. Ich habe noch
fünf Jahre bei den Jusos.
Werden die Jusos die SPD im Wahlkampf unterstützen?
Ja. Aber wir werden unsere eigenen Positionen deutlich machen.
Und werden Sie SPD wählen?
Nein, und auch keine andere Partei. Denn ich bin Luxemburger und damit als
Ausländer bei den Landes- und Bundestagswahlen nicht wahlberechtigt.
2 Jun 2011
## AUTOREN
(DIR) Alke Wierth
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