# taz.de -- Debatte schwarz-gelbe Energiepolitik: Noch lange nicht am Ziel
       
       > Für Atomkraftgegner gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Denn das, was
       > die schwarz-gelbe Regierung als Atomausstieg verkauft, ist eine
       > Katastrophe.
       
 (IMG) Bild: Eisige Zeiten für Erneuerbare: Erst 2022 soll das letzte Akw abgeschaltet werden.
       
       Neulich auf Bergwandertour: Wir biegen um einen Felsen, erstmals sehen wir
       den Gipfel vor uns. Ein tolles Gefühl, auch wenn der Weg noch weit ist.
       Beim Blick zurück sehen wir, was wir schon alles geschafft haben. Das kann
       uns keiner mehr nehmen.
       
       Aber dann kommen Zweifel auf: Ist das überhaupt schon der Gipfel, den wir
       da sehen? Oder geht es danach noch weiter? Dann fällt uns auf, dass der Weg
       jetzt eine ganze Zeit lang fast eben verläuft. Kurz vor dem –
       vermeintlichen – Gipfel aber ragt eine riesige Felswand in die Höhe. Haben
       wir uns zu früh gefreut? Oder sollten wir zufrieden sein, dass wir
       wenigstens so weit gekommen sind – und jetzt umkehren?
       
       So weit die Analogie zum "Atomausstieg" der Bundesregierung. In Krümmel
       wird deshalb jetzt gefeiert, genauso sicherlich in Brunsbüttel und
       Esenshamm: Zu Recht, denn diese norddeutschen Pannenmeiler werden nie
       wieder ans Netz gehen. Das ist ein großartiger Erfolg aller Menschen, die
       sich – zum Teil seit Jahrzehnten – dafür eingesetzt haben, dass diese
       Atomkraftwerke stillgelegt werden. Noch etwas verhalten sieht man die Sache
       in Philippsburg: dort droht mit der "Kaltreserve" ein Hintertürchen, das
       die endgültige Stilllegung von Block 1 verzögert. Bei Biblis B ist es
       ähnlich. Doch Block A in Biblis ist auf jeden Fall erledigt. Auch das ist
       ein Grund zum Feiern.
       
       Nichts zu lachen dagegen haben die Menschen rund um Brokdorf, Grohnde,
       Lingen, Grafenrheinfeld und Gundremmingen. Die dortigen AKWs werden noch
       mindestens zehn Jahre weiterlaufen – teilweise deutlich länger als mal
       unter Rot-Grün vereinbart. Am deutlichsten wird das Dilemma, in dem sich
       die Anti-AKW-Bewegung jetzt befindet, in Ohu an der Isar, in Neckarwestheim
       und auch in Philippsburg. Da werden die jeweils älteren Reaktorblöcke
       stillgelegt, die "jüngeren" sollen noch lange Jahre weiterstrahlen. Dort
       macht es also Sinn, gleichzeitig mit Sekt und Selters anzustoßen.
       
       ## Ja, es gibt Gründe zu feiern
       
       Ja, wir AtomkraftgegnerInnen haben diese Tage was zu feiern: nämlich, dass
       7 bis 8 AKWs endgültig stillgelegt werden. Das war auch nach Fukushima
       keinesfalls garantiert, wie sich in anderen Ländern zeigt. Dieses Ziel
       haben wir nur erreicht, weil sich hierzulande Hunderttausende aktiv dafür
       eingesetzt haben. Und es ist eine Tatsache, dass Protestbewegungen ihre
       Erfolge viel zu wenig feiern. Mit dieser Tradition sollten wir brechen.
       
       Aber es gibt die andere Seite: In Grafenrheinfeld haben sie es als Erste
       gemerkt. Zuerst herrschte verhaltene Freude darüber, dass das AKW jetzt ja
       vielleicht doch, wie im rot-grünen Plan avisiert, 2014 vom Netz gehen
       könnte. Aber dann plötzlich stellte sich die frustrierende Erkenntnis ein,
       dass mit der Übertragung von Strommengen-Kontingenten aus Mülheim-Kärlich
       und Krümmel neben allen anderen neueren AKWs auch der fränkische Reaktor
       bis 2021 weiterlaufen wird. Und womöglich noch länger?
       
       ## Kein Ausstieg zu diesem Datum
       
       Denn das, was die Regierung als "Atomausstieg bis 2022" verkauft, ist eine
       Katastrophe. Und zwar gar nicht nur und nicht einmal in erster Linie, weil
       es zehn bis elf Jahre weiter Restrisiko und Atommüllproduktion in den 9
       verbleibenden AKWs bedeutet, sondern weil mit der Beibehaltung der
       Reststrommengen-Regelung der Ausstieg 2022 nicht stattfinden wird.
       
       Dass die AKW-Betreiber mit Stromkontingenten virtuos jonglieren können,
       haben sie in den letzten Jahren eindrucksvoll bewiesen und so verhindert,
       dass eine ganze Reihe von Meilern zum ursprünglich angekündigten Zeitpunkt
       stillgelegt wurden.
       
       Deshalb wird es jetzt keine stufenweise Stilllegung der verbliebenen
       Reaktoren, verteilt über die nächsten zehn Jahre, geben. Vielmehr werden
       alle 9 bei geschicktem Strommengen-Management noch bis 2021 am Netz sein.
       Industrie und Stromkonzerne werden uns dann erzählen, dass es unmöglich
       ist, innerhalb weniger Monate 9 AKWs gleichzeitig vom Netz zu nehmen, und
       mit Blackouts und steigenden Strompreisen drohen.
       
       Dann beginnt das ganze Spiel noch einmal von vorne – und je nachdem, wie
       dann die politischen Mehrheiten, die Stimmung in der Bevölkerung, die
       Wirtschaftslage und der Abstand zum letzten Super-GAU sein werden, wird es
       Laufzeitverlängerungen geben.
       
       Ja, die Union und selbst die SPD sind zu einer erneuten
       Laufzeitverlängerung in zehn Jahren fähig. Zehn Jahre können in der Politik
       ein ganzes Zeitalter sein. Oder erinnert sich noch jemand daran, was vor
       zehn Jahren in der Gesundheitspolitik diskutiert und beschlossen wurde?
       2021 wird es nicht mehr relevant sein, was irgendeine Kanzlerin ein
       Jahrzehnt zuvor kurz nach der japanischen Reaktorkatastrophe gesagt hat.
       Schon einmal, mit dem rot-grünen Atomkonsens von 2001, versuchte alle Welt
       - bis hin zur taz - uns Atomkraftgegnern einzureden, wir hätten gewonnen,
       sollten uns freuen und zur Ruhe setzen, denn jetzt hatten ja sogar die
       Stromkonzerne dem Ausstieg zugestimmt, er sei also unumkehrbar. Wie die
       Geschichte ausging, ist bekannt: Zehn Jahre lang war das rot-grüne
       Atomgesetz in Kraft - stillgelegt wurden in dieser Zeit gerade einmal die 2
       kleinsten AKWs, die 17 großen liefen weiter. Und am Ende stand die
       Laufzeitverlängerung.
       
       ## Schon einmal zu früh gefreut
       
       Jetzt heißt es wieder: "Freut euch! Der Ausstieg ist da! Jetzt hat sogar
       die CDU zugestimmt, er ist also unumkehrbar!" Warum, frage ich mich,
       organisiert die Kanzlerin diesen angeblichen Ausstieg dann so, dass die
       nächste Laufzeitverlängerungs-Debatte schon programmiert ist?
       
       2001 haben zu viele Menschen den Versprechungen geglaubt und sich nicht
       länger aktiv gegen Atomkraft engagiert. So entstand der gesellschaftliche
       Resonanzraum für die Laufzeitverlängerungen des letzten Herbstes. Man kann
       nur hoffen, dass es diesmal anders läuft.
       
       Was mich von den meisten JournalistInnen unterscheidet: Ich glaube der
       Kanzlerin nicht, was sie sagt. Sondern richte mich danach, was sie tut: Sie
       legt 7 bis 8 AKWs still, weil wir sie dazu gezwungen haben. Großartig! Und
       sie sorgt geschickt für den Weiterbetrieb der anderen 9 Reaktoren, indem
       sie das Etikett "Ausstieg" draufklebt. Es gibt keinen Grund, ihr dies
       durchgehen zu lassen.
       
       3 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jochen Stay
       
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