# taz.de -- Kolumne Ökosex: Lang lebe die Ökodiktatur!
       
       > Die Freunde der Atomkraft entdecken ihre Ängste - vor Kretschmann,
       > Fahrradterror und brutalen Tempolimits.
       
       Rätsel: Wer hat beim harmlosen Castortransport die Hosen voll? Und wer
       transpiriert beim kleinsten Restrisiko? Natürlich der emotionale
       Atomkraftgegner, dieser alte Hosenscheißer. So einfach sahen das bis vor
       kurzem auf jeden Fall die Freunde der Kernspaltung. Hysterisch waren immer
       die anderen. Gefühle? Dafür hatten unsere Verantwortungsethiker keine Zeit.
       Für Atom sein, das hieß eiskalte wirtschaftliche Vernunft und
       wissenschaftliche Risikoabschätzung. Da brauchte es Leute wie Wolfgang
       Clement, Oliver Bierhoff oder Jürgen Grossmann, den Chef von RWE.
       
       Heute lesen wir, dass jene harten Jungs plötzlich Gefühle zeigen. Nach
       Fukushima sind auch sie in der Lage, in sich hineinzuhören. Sie fürchten
       sich gewaltig, weil Deutschland schrecklich bedroht ist. "RWE-Chef warnt
       Merkel vor Ökodiktatur." Diese Lachnummer habe ich bei Spiegel online
       gelesen. Grossmann frage sich, ob damit "der wirtschaftliche Erfolg
       generiert werden kann, der für wirtschaftliche Stabilität, möglicherweise
       sogar für unsere Demokratie nötig ist". Und so lautet die Kausalkette:
       ökologische Bedenken heißt Atomausstieg, heißt ausbleibender
       wirtschaftlicher Erfolg, heißt wiederum in Deutschland keine Demokratie.
       Das wirft Fragen auf: Ist eine politische Entscheidung gegen das Interesse
       von RWE bereits ein Putsch? Merkel also bereits eine Diktatorin? Noch
       interessanter: Arm und demokratisch, geht das gar nicht? Sie merken, das
       Gemoser ist so süß irrational, so heiter emotional, das ist German Angst
       pur! Das sollte von der Kasse als Therapie anerkannt werden.
       
       Spaß beiseite: Diktatur ist bekanntlich die uneingeschränkte Herrschaft
       eines Einzelnen oder einer Clique, die nicht durch freie Wahlen legitimiert
       ist. Was eine Ökodiktatur ist, bleibt undeutlich. Da gibt es bei Wikipedia
       keinen Eintrag. Gott sei Dank haben ihre Propheten seit Jahren die
       Vorzeichen erklärt: brutale Tempolimits, übler Fahrradterror in der
       Innenstadt. Oder menschenverachtende Verordnungen, die Hausbesitzer zum
       Dämmen zwingen. Alles klassische Zeichen der Machtübernahme.
       
       Bei [1][faz.net] hat der Wirtschaftsredakteur Winand von Petersdorff jüngst
       eine neue Variante beschrieben: die "herzliche Ökodiktatur". Die ist so
       richtig fies. Hinter dem freundlichen Gesicht von Kretschmann verstecke
       sich der Tyrann. Originalton: "Es wächst eine Ökotyrannei in Deutschland,
       sie stützt sich auf eine große Mehrheit. Und die Bundesregierung steht an
       der Spitze." Erfrischend crazy. Der Ton erinnert an Hardcore-Atomgegner.
       Auch die sahen im "Atomstaat" das Ende der Demokratie "as we know it".
       
       Ganz groß in Mode kommt auch die Warnung vor dem "Tugendstaat" der Grünen,
       der seine Bürger ökomäßig zwangsbeglücken möchte. Jan Ross hat dazu in der
       Zeit ein hochemotionales Glanzstück geschrieben. Auch hier bricht die
       nackte, liberale Angst durch vor verlangsamtem Autofahren und
       beschleunigtem Atomausstieg. Davor, dass der Staat Solarstrom und
       Elektroautos als "Zukunftsprodukt" identifiziert und fördert. Das ist
       irgendwie berührend und spannend zugleich. Endlich lassen die Kollegen
       Gefühle zu.
       
       Jungs, lasst es raus!
       
       6 Jun 2011
       
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