# taz.de -- Islamisches Privatgymnasium in Wien: Leggins, Lipgloss und Allah
       
       > In einer österreichischen Schule lernen nur muslimische Kinder - obwohl
       > das islamische Privatgymnasium allen offensteht.
       
 (IMG) Bild: Wer das Freitagsgebet schwänzt, wird auch mal bei den Eltern angeschwärzt.
       
       Es ist eine Szene, die einem Politiker wie Thilo Sarrazin missfallen würde:
       Auf dem Pausenhof stehen junge Kopftuchmädchen beisammen und tuscheln auf
       Arabisch, Jungs hängen auf einer Bank herum und kauen Kaugummi. Aus ganz
       Wien kommen die Schüler hierhin, in den 15. Bezirk, sie glauben an Allah
       und sie sind stolz darauf, Muslime zu sein. An einer Wand leuchtet in
       schrillen Farben ein buntes Riesengraffiti mit einer Sure aus dem Koran.
       
       Nur ein goldenes kleines Schild am Eingang weist darauf hin, dass sich hier
       Europas einziges staatlich anerkanntes islamisches Privatgymnasium
       befindet. Die Schule samt Pausenhof versteckt sich in einer Straßenzeile
       hinter einem schweren Eisentor, es ist ein heruntergekommener Bau, in dem
       270 Muslime von mehrheitlich christlichen Lehrern unterrichtet werden. Von
       den 34 Pädagogen teilen lediglich vier den Glauben ihrer Schüler, die
       türkische Wurzeln haben oder aus dem arabischen Raum, Pakistan, Bangladesch
       oder dem Balkan stammen. Ihre Eltern sind meist Arbeiter, die Hälfte von
       ihnen ist arbeitslos.
       
       Dennoch, in die Bildung ihrer Kinder investieren sie: Für 120 Euro
       Schulgeld im Monat erwarten sie eine Erziehung nach dem Koran. "Wir wollen
       ihre Persönlichkeit stärken, ihre Identität stützen. Ich will, dass meine
       Schüler erhobenen Hauptes durch die Welt gehen", sagt Stefan Vukovits. Der
       Deutsch- und Sportlehrer unterrichtete 25 Jahre an einer jüdischen Schule
       in Wien, bevor er vor zwei Jahren an das islamische Privatgymnasium
       wechselte.
       
       ## Ganz normaler Lehrplan
       
       Dabei wird hier nach einem normalen Stundenplan unterrichtet, mit Fächern
       wie Physik, Englisch, Mathematik, Kunst und Musik. Lediglich zwei Stunden
       islamischen Religionsunterricht gibt es in der Woche. Was die Schule
       islamisch macht, ist, dass alle muslimischen Gebets- und Speisevorschriften
       beachtet werden. An religiösen Feiertagen ist schulfrei und die für Muslime
       obligatorischen fünf Gebete werden eingehalten. Wenn jemand das
       Freitagsgebet schwänzt, werden schon mal die Eltern informiert.
       
       Zwar ist das Kopftuch keine Pflicht im Islam, aber die meisten Mädchen
       tragen hier eines - und sie tun es sehr selbstbewusst. Ansonsten kleiden
       die Mädchen sich weniger streng. Sie tragen Leggings, enge Pullover, hohe
       Absätze oder flache Ballerinas. Manche sind auffällig geschminkt, Lipgloss
       muss es mindestens sein. Eine Schülerin erzählt, ihre verschleierte Mutter
       habe ihr von einem Kopftuch abgeraten. Zu groß seien die Anfeindungen. Das
       Mädchen hat sich aber dafür entschieden - gerade weil sie sich nicht für
       ihren Glauben verstecken möchte.
       
       Im islamischen Gymnasium sollen die Schüler gerüstet werden für das Leben
       in einer Welt, die oft genug mit Unverständnis oder bestenfalls mit Neugier
       auf selbstbewusste Muslime reagiert. Hier spottet niemand über die
       Verschleierung. Niemand kritisiert ihren Glauben. Keiner schaut seltsam,
       wenn während des Ramadans ein Magen knurrt. In Österreich leben 8,5
       Millionen Menschen, davon sind 400.000 Muslime. Ein islamisches Gymnasium
       in Wien als öffentliche Institution ist nur möglich, weil im katholischen
       Österreich der Islam seit über 30 Jahren einen rechtlichen Status hat wie
       das Juden- und Christentum auch. In Deutschland versucht die muslimische
       Gemeinde bisher vergeblich, als Rechtskörper anerkannt zu werden.
       
       ## Der ganz normale Unterrichtswahnsinn
       
       Gegründet wurde die Schule 1999 von Kenan Ergün. Als der türkischstämmige
       Religionslehrer mit einem Koran unter dem Arm das Klassenzimmer betritt,
       ist die Stimmung aufgekratzt. Die Zuspätkommer werden ermahnt, einige
       wippen auf ihren Stühlen, manche schreiben etwas auf die Tische - der ganz
       normale Unterrichtswahnsinn. Nur dass an den Wänden Bilder von Mekka hängen
       und Poster von arabischen Musikern. Heute wird im Religionsunterricht über
       das Thema Zwangsehe gesprochen. Beide Partner müssen mit einer Heirat
       einverstanden sein, betont Ergün immer wieder. "Denn niemand darf gegen
       seinen Willen verheiratet werden." Und dieses Gebot Gottes gelte nicht nur
       für Muslime, sondern für alle Menschen.
       
       Sollen Kinder mit einem Migrationshintergrund abgeschnitten von der
       Mehrheitsgesellschaft lernen? Führt das nicht eher zur Isolation, statt zur
       Integration? "Ach ja", stöhnt Ergün. Er hat diese Fragen schon oft gehört.
       "Wer sich integrieren will, muss seine eigenen Wurzeln kennen und sich
       seiner Identität bewusst sein. Alles andere wäre Assimilation, wir Muslime
       wollen das nicht." Den Vorwurf der Ghettoisierung findet er absurd, für ihn
       ist die konfessionelle Schule eine Chance - hier können seine Schüler
       Abitur mit Allahs Segen machen.
       
       Die unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen werden im Islamunterricht
       nicht beachtet. Ob Sunnite, Alevite oder Schiite - am Privatgymnasium seien
       alle gleich, sagt Ergün. Doch ganz stimmt das nicht: Ägypter und Türken
       würden sich nicht selten etwas kritisch beäugen, sagt Direktor Ludwig
       Sommer. "Es ist auch schon vorgekommen, dass verschleierte Mädchen nicht
       verschleierte Mitschülerinnen mobbten." Die Zusammenarbeit mit den Eltern
       sei manchmal schwierig. In den meisten Familien seien die Kinder gebildeter
       als die eigenen Eltern. Auch komme es vor, dass Kinder streng religiöser
       Eltern nicht an Klassenfahrten teilnehmen dürfen. Zwei Mädchen sind nach
       den Sommerferien nicht mehr zurückgekommen - möglich, dass sie in der
       Heimat ihrer Familien bleiben mussten.
       
       Die Schwierigkeiten der jungen Frauen, deren Eltern streng muslimisch
       leben, erlebt Tina Steiger täglich. Die Sportlehrerin vermeidet während des
       Ramadans Ausdauersport, weil die Schülerinnen dann tagsüber nicht trinken
       und essen dürfen. Sie kann mit ihren Schülerinnen nicht jede Turnübung
       machen, weil diese Angst davor haben, ihr Jungfernhäutchen könnte reißen.
       "Das ist natürlich absurd, aber die Furcht ist in ihren Köpfen", so
       Steiger.
       
       ## Bestenfalls Neugier
       
       Verwirrung gibt es auch im Biologieunterricht. Während der Islam die
       Entstehung des Menschen durch Gott lehrt, vertritt die Biologielehrerin
       Elisabeth Huemer die Evolutionstheorie, also die naturwissenschaftliche
       Theorie. Da stoßen dann religiöse und naturwissenschaftliche Argumenten
       aneinander, was zu heftigen Diskussionen führe. Unterrichtet werden aber
       beide. Für welche Theorie sich die Kinder dann im Laufe des Lebens
       entscheiden, dass bliebe nur ihnen überlassen, sagt Huemer. Die Fragen der
       Journalistin nerven die Schüler eher - zu oft mussten sie schon über sich
       und ihr Leben von Fremden gefragt. Manche reagieren trotzig, genervt, immer
       wieder reduziert zu werden auf ihre Religion.
       
       Ebenso trotzig klingt es, wenn sie etwa zum Kopftuch befragt werden. "Die
       Medien sehen vor allem das Negative. Es ist normal geworden, auf den Islam
       einzuprügeln. Wer uns mit Häme überzieht, hat die Mehrheit auf seiner
       Seite." Es ist immer das Gleiche: Tragt ihr das Kopftuch freiwillig? Was
       denkt ihr über die Scharia? Wo ist Heimat? "Warum stellt man uns diese
       Fragen", beschwert sich ein Junge. Es klingt so, als habe er das schon sehr
       oft gesagt. "Warum akzeptieren sie uns nicht?", fragt ein anderer. "Na ja,
       wenn wir in Gruppen auftauchen, würde ich mich auch fürchten", ruft jemand
       lachend dazwischen. "Die meisten kennen uns gar nicht", stellt ein Vierter
       fest.
       
       Mit "die" ist die Mehrheitsgesellschaft Österreichs gemeint. Nicht wenige
       der jungen Muslime hier fühlen sich im eigenen Land bedroht, nicht
       willkommen und in die Defensive gedrängt. Eigene Erfahrungen und
       Erlebnisberichte aus zweiter Hand erzeugen ein Klima des Unwohlseins.
       
       ## Unfreundliche Blicke
       
       Besonders auffällig werde die argwöhnische Haltung gegenüber Muslimen, wenn
       die Schüler den geschützten Raum des Gymnasiums verlassen müssen. Wenn die
       Lehrerin mit ihren Schülerinnen zur Sporthalle geht, die außerhalb des
       Geländes liegt, werden sie schon mal diskriminiert. "Einmal ist ein
       Jugendlicher schimpfend mit dem Auto in die Gruppe gefahren", sagt Steiger.
       Bei schönem Wetter findet der Sportunterricht im Freien statt. Anders als
       in der Halle behalten die Mädchen dann ihre Kopftücher auf. "Es ist nicht
       schwierig, damit Sport zu treiben", sagt eine 16-jährige Schülerin.
       "Schwierig ist es, mit den unfreundlichen Blicken der Leute umzugehen."
       
       An der Schule werden auch nichtmuslimische Schüler aufgenommen - bisher hat
       nur noch kein nichtmuslimisches Elternpaar sein Kind hierhin geschickt.
       Warum das so ist? "Der Islam stößt in Österreich doch eher auf Ablehnung",
       antwortet Direktor Ludwig Sommer dann diplomatisch.
       
       9 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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