# taz.de -- Debatte Freiwilligendienste: Die Lücken müssen gestopft werden
       
       > Offiziell geht es um bürgerschaftliches Engagement und den freiwilligen
       > Dienst an der Gemeinschaft. Inoffiziell muss beim Abbau des Sozialstaats
       > gegengesteuert werden.
       
 (IMG) Bild: Lücken: Ohne Zivildienstleistende in Altenheimen und Krankenhäusern wird es eng.
       
       Kurz bevor sie sich Mitte Mai in den Mutterschutz verabschiedete, setzte
       Familienministerin Kristina Schröder noch rasch einen neuen Begriff in die
       Welt. Analog zu Zivis, wie die Zivildienstleistenden bisher genannt wurden,
       schlug sie vor, die TeilnehmerInnen am neuen Bundesfreiwilligendienst (BFD)
       doch "Bufdis" zu taufen.
       
       Mit der Aussetzung der Wehrpflicht werden die zuletzt rund 35.000 Zivis
       ihre Stellen in Krankenhäusern, Altenheimen, Jugendzentren oder
       Sozialstationen räumen. Ab 1. Juli sollen an ihre Stelle Freiwillige treten
       und gegen Kost, Logis, Taschengeld, Sozialversicherung und pädagogische
       Begleitung deren bisherige Aufgaben übernehmen.
       
       2011 ist zudem das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit. Die Politik
       ruft die Menschen mal wieder auf, sich verstärkt für das Gemeinwohl zu
       engagieren. Denn es kann glücklich und zufrieden machen, aktiv das eigene
       Lebensumfeld zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen für das große Ganze
       oder einfach, indem man Hilfsbedürftigen in der eigenen Stadt zur Seite
       steht.
       
       Doch die Penetranz, mit der Politik und Medien den Bürgersinn beschwören,
       zeugt von einem wenig respektvollen Umgang mit diesem "sozialen Kapital".
       Immer offensichtlicher wird, dass es nur darum geht, die Lücken zu stopfen,
       die der kontinuierliche Abbau des Sozialstaats hinterlassen hat. Aber das
       schaffen allein weder die Grünen Damen im Krankenhaus noch die Helferinnen,
       die im Tafel-Restaurant Suppe austeilen - und auch nicht die 1-Euro-Jobber,
       die in arm gesparten öffentlichen oder sozialen Einrichtungen aushelfen.
       
       ## "Ehrenamt" gegen Entlohnung
       
       Die Bundesregierung versucht durch Aufrüstung der sogenannten
       Freiwilligendienste die Ehrenamtlichkeit berechenbarer zu machen. Das
       Engagement wird systematisiert, professionell gemanagt und monetarisiert:
       Im Unterschied zu den klassischen, meist unentgeltlich arbeitenden
       Ehrenamtlichen erhalten die neuen Freiwilligen Aufwandsentschädigungen in
       unterschiedlicher Höhe.
       
       Die "Bufdis" sollen in der Regel ein Jahr in jenen Einrichtungen arbeiten,
       die bisher Zivis beschäftigten - die Jüngeren in Vollzeit, die Älteren über
       27 wahlweise 20 oder 40 Stunden in der Woche. Damit wird aber nur ein Teil
       des Bedarfs gedeckt. Denn die Zahl der gemeldeten Zivildienststellen ist
       wesentlich höher als die 35.000 vom Bund subventionierten BFD-Stellen, die
       vorgesehen sind.
       
       Die schon bestehenden Jugendfreiwilligendienste wie Freiwilliges Soziales
       Jahr (FSJ) oder Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) mögen ihre
       Berechtigung haben für junge Leute, die in der Zeit des Übergangs von der
       Schule zu Ausbildung oder Studium Orientierung suchen - vor allem, wenn der
       Dienst im Ausland abgeleistet werden kann. Nun soll auch das Engagement
       Älterer durch "Dienste" verstetigt werden.
       
       Schon länger unterstützt der Bund lokal organisierte "Freiwilligendienste
       aller Generationen". Der Bundesfreiwilligendienst steht ebenfalls allen
       offen: Jugendlichen nach Ende der Schulzeit und Erwachsenen ohne
       Altersbegrenzung, Männern wie Frauen. Er macht damit den bestehenden
       Diensten Konkurrenz - zum Beispiel dem Modellprogramm für
       Langzeitarbeitslose des Arbeitsministeriums namens Bürgerarbeit, bei dem
       34.000 Stellen "im gemeinnützigen Sektor" mit 900 Euro
       sozialversicherungspflichtig entlohnt werden.
       
       In ein und derselben Institution können in Zukunft also Jugendliche mit
       einem FSJ-Vertrag, 1-Euro-Jobber, Bundesfreiwillige und Bürgerarbeiter
       Seite an Seite zu teilweise sehr unterschiedlichen Bedingungen arbeiten.
       
       ## Wie sozial sind die Männer?
       
       Der Charme des zivilen Ersatzdienstes bestand nicht zuletzt darin, dass
       viele junge Männer anschließend einen sozialen Beruf ergriffen, den sie
       ohne ihren Zivistatus nie kennengelernt hätten. Unklar ist, wie attraktiv
       der neue Freiwilligendienst für Männer sein wird, wenn sie jetzt, statt
       alternativ "zum Bund" zu müssen, nach der Schule direkt einen Ausbildungs-
       oder Studienplatz anstreben können.
       
       Wahrscheinlich ist, dass sich wieder einmal eher der weibliche Teil der
       Gesellschaft verpflichtet fühlen wird, ein Jahr seines Lebens dem Dienst am
       Gemeinwohl zu widmen. So ist es jetzt schon beim Freiwilligen Sozialen Jahr
       und beim Freiwilligen Ökologischen Jahr.
       
       ## Ausweitung des Prekariats
       
       Der wichtigste Einwand gegen den neuen Freiwilligendienst - wie schon gegen
       den Zivildienst - ist jedoch seine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt. Zwar
       gebietet das Gesetz eine arbeitsmarktneutrale Ausgestaltung - das heißt,
       die Freiwilligen sollen lediglich "unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten
       verrichten" und keinesfalls hauptamtliche Kräfte ersetzen. Eine Abgrenzung
       dürfte in der Praxis jedoch schwerfallen.
       
       Und schon die Beschränkung auf "unterstützende Tätigkeiten" ist nicht
       unproblematisch. Denn wenn künftig Freiwillige den Kranken, Kindern oder
       Alten jene zwischenmenschliche Zuwendung geben, die früher integraler
       Bestandteil der Berufe von Altenpflegerinnen, Krankenschwestern oder
       Sozialarbeitern war, dann entwertet auch dies die Arbeit von Hauptamtlichen
       im Gesundheits-, Pflege- und Erziehungsbereich.
       
       Gleichzeitig führt die Monetarisierung des Ehrenamts durch
       Aufwandsentschädigungen oder Taschengeld für Dienstleistende zu noch mehr
       prekärer Beschäftigung: Die Arbeitsplätze werden vom Bund subventioniert,
       und ein Taschengeld für "Bufdis" oder Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen
       Jahr kommt die Einrichtungen allemal billiger, als reguläre Gehälter zu
       zahlen. So wird auf Dauer die soziale Grundversorgung wesentlich durch eine
       zu Niedriglöhnen beschäftigte Randbelegschaft aus Freiwilligen gestützt.
       
       Besser wäre es, in diesen Bereichen qualifizierte, gut bezahlte Stellen und
       Arbeitsstrukturen zu schaffen, die nicht vorzeitig zu Überlastung und
       Burn-out führen. Die Frage nach der Kostendeckung von neuen, qualifizierten
       Stellen im sozialen und öffentlichen Sektor wird man freilich nicht
       beantworten können, ohne die rasant wachsende Einkommens- und
       Vermögensungleichheit in Deutschland zum Thema zu machen.
       
       9 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudia Pinl
       
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