# taz.de -- Asylbewerber-Leistungsgesetz: Flüchtlinge boykottieren Gutscheine
       
       > Asylbewerber bekommen sehr viel weniger als Hartz IV-Empfänger. Und sie
       > bekommen Gutscheine statt Geld. Ministerin von der Leyen "prüft" das
       > Gesetz – seit Monaten.
       
 (IMG) Bild: Bessere Versorgung: Asylbewerber wehren sich gegen den Umgang der Behörden mit Flüchtlingen.
       
       BREMEN taz | Zweimal pro Woche teilen die Hausmeister das blaue Formular
       aus. Dann können die rund 7.000 Asylbewerber, die in bayerischen
       Sammellagern leben, ihr Essen bestellen. 23 Kreuze dürfen sie insgesamt
       machen.
       
       Die Auswahl ist seit Jahren gleich: ein Pfund Mischbrot, eine Dose Hering
       in Tomatensoße, 20 Beutel Kräutertee. Zwei Tage später können sie die in
       grauen Plastikboxen angelieferten Lebensmittel abholen. "Viele Flüchtlinge
       leben über zehn Jahre unter diesen Bedingungen", sagt Ben Rau vom
       bayerischen Flüchtlingsrat.
       
       Im brandenburgischen Hennigsdorf kommt alle zwei Wochen ein Mitarbeiter des
       Sozialamts in das Asylbewerberheim Stolpe-Süd. Von ihm bekommen die
       Bewohner ein Heft mit Gutscheinen im Wert von rund 95 Euro. "Wir müssen sie
       in einer bestimmten Frist in bestimmten Geschäften einlösen", sagt der
       30-jährige Patrick B. aus Kenia. Alkohol oder Zigaretten gibt es für die
       Gutscheine nicht, Wechselgeld wird maximal in Höhe von 10 Prozent des
       Nennwerts herausgegeben.
       
       "Ich verstehe nicht, warum wir kein Bargeld bekommen können", klagt B. Dann
       könnte er sein Essen in Afroshops einkaufen. Seit vergangener Woche
       boykottieren die Hennigsdorfer Flüchtlinge die Gutscheine.
       
       Seit 1993 legt das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) fest, dass
       Geduldete und Asylbewerber keine regulären Sozialleistungen bekommen. Dies
       war Teil des "Asylkompromisses". Politisches Ziel war, den Aufenthalt in
       Deutschland für Flüchtlinge möglichst unattraktiv zu machen.
       
       ## Ein Drittel weniger als Hartz IV
       
       Seitdem bekommen sie Sachleistungen im Wert von "360 D-Mark" plus ein
       Taschengeld von heute 40,90 Euro. Zusammen macht dies rund ein Drittel
       weniger als Hartz IV. Die Kosten für Lebensmittel stiegen laut
       Bundeswirtschaftsministeriums seither um 24,8 Prozent. Eine Anpassung gab
       es nicht.
       
       Heute beginnen in Berlin die Abolish-Aktionstage. Bis Samstag wollen
       Flüchtlinge und antirassistische Initiativen die Abschaffung des AsylbLG
       fordern. "Das Gesetz zwingt Flüchtlinge, in Lagern zu leben und
       Sozialleistungen zu beziehen", sagt Rau, der die Kampagne mit vorbereitet.
       So würden sie systematisch ausgegrenzt.
       
       In den letzten Monaten ist die Kritik am AsylbLG immer lauter geworden. Im
       Februar 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die Berechnung der
       Hartz-IV-Sätze wegen ihrer mangelhaften Berechnungsgrundlage für
       verfassungswidrig erklärt.
       
       ## Auch die Bundesarbeitsministerin sieht Handlungsbedarf
       
       Für das AsylbLG gilt das erst recht - im November erklärte dies auch
       Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU): Die Sätze seien 1993
       "auf der Grundlage von Kostenschätzungen" festgelegt worden. Dies
       entspreche "daher nicht den Anforderungen" aus Karlsruhe, so von der Leyen.
       Die Sätze müssten komplett neu berechnet werden.
       
       Im Februar lud der Sozialausschuss des Bundestages Fachverbände zu einem
       Hearing - die Sozialverbände forderten, das Gesetz abzuschaffen. Geschehen
       ist seitdem jedoch nichts. "Die Prüfung dauert an", sagte ein Sprecher von
       der Leyens am Mittwoch der taz.
       
       Bei Pro Asyl traut man dieser Ankündigung nicht. "Es gibt keinen Zeitplan,
       es gibt überhaupt keine Aussagen zur Methode", sagt Georg Claasen vom
       Flüchtlingsrat Berlin. "Wir gehen davon aus, dass die das aussitzen." Beim
       Bundesverfassungsgericht sind gleich zwei Beschwerden über das AsylbLG
       anhängig. "Sachleistungen, Lagerunterbringung, Residenzpflicht,
       Arbeitsverbot - das ganze Gesetz ist Teil einer Abschreckungsstrategie",
       sagt Claasen. Das Existenzminium drücke man definitionsgemäß nicht.
       
       9 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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