# taz.de -- Überschwemmung in Pakistan: Nach der Flut die Schuldenwelle
       
       > Die Überschwemmung im Juli 2010 hat Millionen Häuser zerstört und Ernten
       > weggespült. Geld für den Wiederaufbau fehlt - und die nächste Regenzeit
       > steht bevor.
       
 (IMG) Bild: Harte Arbeit: Aufbau nach der Flut in Pakistan.
       
       DADU taz | Ein Ventilator hängt an einer Schnur vom Baum. Darunter stehen
       zwei Futtertröge. Das Haus daneben ist zur Hälfte eingestürzt. Betten aus
       Holz und geflochtener Schnur stehen im Freien.
       
       Menhoon Qambrani setzt sich unter ein Dach aus zusammengenähten
       Plastikplanen und Tuch, das von Bambuspflöcken gestützt wird. Auf einer
       Feuerstelle kochen Frauen Tee. "Wir haben hart gearbeitet, aber trotzdem
       nicht alle Felder bepflanzen können. Die Weizenernte ist nur halb so gut
       wie üblich", sagt der schnauzbärtige Bauer mit tiefen Falten im Gesicht.
       
       "Auf einigen Feldern stand im Dezember noch Wasser. Und der Boden muss
       zuerst wieder geebnet werden." Der Vater von acht Kindern ist einer von
       Millionen Kleinbauern in der Provinz Sindh, die ein Stück Ackerland eines
       Großgrundbesitzers pachten. Landwirtschaft ist hier die
       Haupteinnahmequelle.
       
       ## "Wir haben alles verloren"
       
       Die Wassermassen des über die Ufer getretenen Indus und seiner Nebenflüsse
       erreichten das kleine Dorf im Bezirk Dadu Anfang September. Bald darauf
       waren ganze Dörfer verschwunden. Es stand Wasser, so weit das Auge reichte.
       Jetzt, rund neun Monate später, gleicht der Ort einem Zeltdorf. Die wenigen
       Häuschen, die der Flut standhielten, sind derart beschädigt, dass sie
       niemand mehr bewohnt. Wo früher Hühner frei umherliefen, häufen sich jetzt
       Lehmziegel, die aus den Trümmern gerettet wurden. Ein paar wenige Ziegen
       und Kälber stehen an Holzpfählen angebunden.
       
       "Wir haben alles verloren", sagt Menhoon und rückt sein zu einem Turban
       geschlungenes Tuch auf dem Kopf zurecht. "Ein paar Hilfsorganisationen
       brachten uns Nahrung, Wasser und Dinge für den Haushalt. Aber das reichte
       nicht weit. Wir mussten beim Großgrundbesitzer Geld ausleihen, um Mehl und
       Reis zu kaufen."
       
       Rund 60 Prozent der Bauern in Sindh sind landlos wie Menhoon. Sie sind
       Pächter und müssen jeweils die Hälfte der Ernte abliefern. Der
       Großgrundbesitzer stellt die Hälfte des Saatgutes und Düngers zur
       Verfügung. Den Rest erhalten die Bauern auf Anleihe bei ihm oder auf dem
       Markt und bezahlen, wenn die Ernte reif ist. "Die gesamte letzte Ernte
       wurde weggeschwemmt. Jetzt haben wir alle Schulden", sagt Menhoon im
       Gespräch.
       
       Fliegen setzen sich auf den Rand der mit süßem Milchtee gefüllten Tassen,
       und ein paar Kinder spielen mit einem Käfer auf dem staubigen Erdboden.
       "Wir hoffen auf gute Ernten in den nächsten Jahren, um die Schulden
       abzuzahlen", sagt Menhoon. Vom Staat erwarte er keine Hilfe. "Niemand von
       der Regierung ist hierher gekommen, um sich die Situation anzuschauen." Ein
       Viertel der Dorfbewohner hätten zwar die staatlich versprochene
       Kompensation von umgerechnet 160 Euro pro Familie erhalten, die anderen
       aber seien bis jetzt leer ausgegangen.
       
       ## Leben in Zelten
       
       Entlang der holprigen Landstraßen sieht man vereinzelt Tümpel von braunem
       Flutwasser. Ansonsten ist das Landschaftsbild geprägt von abgeernteten und
       ausgetrockneten Weizenfeldern. Kühe, Ziegen und Schafe suchen nach Futter,
       und Büffel baden im Fluss. Von Normalität aber kann nicht die Rede sein.
       Die meisten Leute in dieser ärmlichen Gegend leben wie Menhoon in Zelten
       und behelfsmäßigen Unterständen zwischen den Trümmern ihrer einstigen
       Häuser.
       
       Es gibt keine Latrinen mehr. Das Trinkwasser ist oft knapp, denn es mangelt
       an Wasserpumpen. Von systematischen Reparaturarbeiten an
       Bewässerungskanälen und Schutzwällen ist nichts zu sehen. Die Bewohner
       haben Angst vor der nächsten Regenzeit, die in etwas mehr als einem Monat
       anfängt. Sie klagen über wenig bis keine Hilfe vom Staat und sagen, das
       Geld für den Wiederaufbau der Dörfer fehle.
       
       Fast jeder hat sich verschuldet. "Die Schulden sind hoch, im Durchschnitt
       zwischen 40.000 und 250.000 Rupien pro Haushalt", sagt Dirk Kamm, der
       Leiter des Deutschen Roten Kreuzes in Pakistan, das während sechs Monaten
       rund 9.000 Familien in dieser Gegend mit Hilfsgütern versorgte. Die
       Schuldenbeträge sind umgerechnet zwischen 330 und 2.050 Euro. Der
       Durchschnittslohn eines Arbeiters in Dadu beträgt rund 500 Euro im Jahr.
       
       "Das wird eine ganz langfristige Sache sein, überhaupt einen gewissen
       Schuldenabbau hinzukriegen", sagt Kamm. Er plant in Zusammenarbeit mit dem
       Dänischen Roten Kreuz, Kleinbauern in Sindh während der nächsten ein bis
       zwei Jahre in den Bereichen Aussaat, Gesundheit, Trinkwasser und
       Wiederaufbau zu unterstützen. Mit zusätzlichen Projekten wie Nähateliers
       und einer Bootswerkstatt für Fischer sollen Einkommensquellen geschaffen
       werden, die den Leuten eine gewisse wirtschaftliche Autonomie geben.
       
       "Die ungerechte Landverteilung ist eine strukturelle Ursache der Armut in
       Pakistan", sagt Fatima Naqvi von der britischen Nichtregierungsorganisation
       Oxfam. Dies gilt speziell für Sindh, denn hier ist das jahrhundertealte
       Feudalsystem besonders ausgeprägt. Der Großteil des Ackerlands ist in den
       Händen von wenigen Feudalherren, die Bauern zum Teil noch in
       Schuldknechtschaft halten, einer Art Sklaverei.
       
       Die Bauern arbeiten als Tagelöhner auf den Feldern für weniger als den
       Durchschnittslohn und sind durch Schulden an den Feudalherrn gebunden. Die
       Verschuldung wächst mit der Zeit, denn für Dinge wie medizinische
       Behandlung oder Heirat nehmen die Bauern Geld auf. Genaue Zahlen dazu gibt
       es keine. Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
       zufolge, werden in Pakistan mehr als 1,7 Millionen Bauern so ausgebeutet.
       
       ## Überfällige Landreform
       
       "Einzelberichte deuten darauf hin, dass nach der Flutkatastrophe die Anzahl
       von Bauern in Schuldknechtschaft angestiegen ist", sagt Naqvi im Gespräch.
       Die Flutkatastrophe scheint zumindest in Sindh das Feudalsystem gestärkt zu
       haben. Oxfam sieht im Wiederaufbau die Gelegenheit für eine längst
       überfällige Landreform.
       
       "Der Staat sollte den landlosen Bauern Grundstücke geben, damit sie eine
       Einkommensquelle haben und auch einen festen Wohnsitz", sagt Naqvi.
       Pakistaner müssen einen festen Wohnsitz vorweisen, um eine Identitätskarte
       zu erhalten. Ohne diese ist man ausgeschlossen von staatlichen
       Sozialleistungen und Bankanleihen.
       
       Ob die Forderungen nach Reformen bei der Regierung Gehör finden, ist
       äußerst fraglich. Premierminister Yousuf Raza Gilanis Regierung ist schwer
       angeschlagen durch eine Wirtschaftskrise, die sich mit der Flutkatastrophe
       verstärkte, massive Korruptionsvorwürfe und anhaltende Terrorattacken
       islamistischer Extremisten. Sie hat größte Mühe, lange angekündigte
       Steuerreformen durchzusetzen und wird kaum ein so heikles Thema wie die
       Landreform angehen. Zudem haben die Feudalherren ihre Macht abgesichert,
       denn einige sitzen selbst in Regierung und Parlament.
       
       Liaqat Jatoi, ein ehemaliger Minister unter der Regierung von Pervez
       Musharraf und früherer Chief Minister von Sindh, ist einer von ihnen. Er
       hat kürzlich seine eigene Partei gegründet, in der Hoffnung bei den
       kommenden Wahlen 2013 wieder ins Parlament einzuziehen.
       
       Jatoi empfängt seine Gäste in einem eigens dafür eingerichteten Haus auf
       einem säuberlich gepflegten Grundstück, das von einer hohen Schutzmauer
       umgeben ist. Die Innenausstattung aus teuren Möbeln und Teppichen und die
       zahlreichen Gästezimmer mit modernster Einrichtung vermitteln den Flair
       eines Luxushotels.
       
       Der redegewandte Politiker beschuldigt die regierende Pakistan Peoples
       Party, Hilfsgüter nur an ihre Anhänger zu verteilen. Er selbst unterstütze
       seine Bauern beim Wiederaufbau, aber er könne nicht allen helfen. Seine
       eigene Familie hätte in der Flut schließlich die Ernte von mehr als 1.600
       Hektar verloren.
       
       Bauer Menhoon sagt, er werde vorerst unter dem Zeltdach wohnen und hoffe,
       in ein paar Jahren Geld für ein neues Haus zu haben. Der Ventilator am Baum
       wird bis dahin vom Wind angetrieben. Er soll die Kühe von den lästigen
       Fliegen befreien.
       
       10 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eliane Engeler
       
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