# taz.de -- Filmstart "The Tree of Life": Da oben wohnt Gott
> Es gibt viel zu sehen und zu genießen an Terrence Malicks lang erwartetem
> Opus "The Tree of Life" – vorausgesetzt, man hält sich die Ohren zu.
(IMG) Bild: Man kann sich die Bilder durch ihre Heiligkeit verleiden lassen: "The Tree of Life" mit O'Brien (Brad Pitt) und R.L. (Laramie Eppler).
Freund und Feind, also sowohl die atheistisch-sarkastischen als auch die in
heiße Tränen aufgelösten KinogängerInnen sind sich trotz aller Differenzen
einig: Es sind wunderbare Bilder, die wir gerade gesehen haben. So etwas
Schönes gab es noch nie. Religiös an Terrence Malicks lang erwartetem Opus
"The Tree Of Life" ist gar nicht so sehr der gleichwohl explizit
hochtheologische Inhalt des Films: sein eh nur in Narrationsandeutungen hin
und wieder in den visuellen Gottesdienst hineingehaltener Plot um eine
amerikanische Mittelklassefamilie seit den 1950ern. Religiös wäre vor allem
die Frömmigkeit, mit der wir RezipientInnen alle geschlossen vor den
sogenannten "Bildern" in die Knie gehen, die uns lange zwei Stunden und
zwanzig Minuten in eine spirituelle Hochstimmung versetzen oder versetzen
sollen. Was sind das aber für "Bilder"? Und wieso sind wir plötzlich beim
höchst subjektiven Geschäft des Schönfindens zu solcher Einigkeit bereit?
Terrence Malick ist es in seinen seltenen Spielfilmen gelungen, eher
einfache oder gar genrehafte Stoffe hinübergleiten zu lassen in visuelle
Ekstasen. Dieses Hinübergleiten war ein Verfahren ständiger
Grenzüberschreitungen in beide Richtungen. Es ging dabei immer um ein
Unähnlichwerden von etwas Erkennbarem, ein ständiges Bespielen des
Übergangs von vertrauten und lokalisierbaren Bildern zu einem Taumel
entzogener Sicherheiten - und dann ging es wieder zurück in eine historisch
klar bestimmte, konkrete Welt.
Dies betraf keinesfalls nur die Objekte, die ihm vor die Kamera gerieten,
die Bäume, Fische, Flussläufe, Horizontlinien, die sich verwandelten und in
irre Bewegungen gerieten, sondern vor allem den gesicherten Aussichtsposten
von Kamera und ZuschauerIn. Seine Kamera ist stets in Bewegung, aber sie
beschreibt weder die üblichen Wege bewegter Kameras: eindringen, verfolgen,
öffnen, noch vertritt sie leicht nachvollziehbare Standpunkte. Sie ist
nicht heftig, sondern leicht bewegt und das immer schon.
## Immer auf dem Weg zu abstrakter Schönheit
Nach dem Schnitt wird nicht erst ein Kader konstituiert, von dem aus dann
aufgebrochen wird, sondern es wird immer in bereits in Bewegung befindliche
neue Bildwelten hineingeschnitten. Die halb vertrauten, meist
gestaltreichen, mit Farb- und Lichtreizen prunkenden Gegenstände werden,
immer auf dem Weg zu abstrakter Schönheit, dann doch kurz vor dem Ziel
wieder ins Reich von konkreter Natur und Architektur eingegliedert.
In diese weder mit surrealistisch noch mit psychedelisch ausreichend
beschriebenen Visualitäten kippten die Erzählungen, und sie kippten wieder
zurück. Bisher. Nun aber haben sich die Bilder davongemacht,
verselbstständigt als Ausdruck einer klar als spirituell markierten und in
religiöse Narrative eingetragenen Bedeutung. Sie verunsichern und überhöhen
nicht mehr etwas, das auch noch anderen Gesetzen gehorcht. Alles ist jetzt
Wunder, und das Wunder ist Offenbarung des Göttlichen.
Noch relativ am Anfang von "The Tree of Life" gibt es eine jetzt schon
berühmte, ungefähr 20-minütige Sequenz, die ganz aus der Geschichte
herausführt und Naturschönheiten vom Ballett transparenter Quallen und
himmlischer Hammerhaie unter Wasser bis zum Dinosaurierleben vorführt, dazu
eindrucksvolle Weltraumansichten, die ich teilweise aus meiner Kindheit und
aus Büchern wie "Die Welt in der wir leben" oder "Das Weltall" kannte
(gemalt von Space-Malern wie Chesley Bonestell, aber hier kunstvoll in
Bewegung versetzt: der Nebel im Sternbild des "Einhorn"). Andere
Erhabenheiten basierten auf berühmten Foto-Dokumenten des Hubble-Teleskops.
Dabei wurde auf CGI-Verfahren verzichtet. Douglas Trumbull, der Altmeister
des prädigitalen psychedelischen Weltraumbildes hat Malick beraten; er war
schon an "2001" von Kubrick beteiligt, auch ein Film, der mit seiner
"Stargate"-Sequenz für Ekstasen gesorgt hat.
## Drei Rangen aus Waco
Mit etwas Anstrengung kann man diese flirrende, reizdichte 20-Minuten-Reise
als Geschichte des Universums bis zur Geburt eines der drei
Mittelklassejungs lesen, um die es hier geht - von denen einer sein Leben
in einem Krieg lassen wird, wie man nun schon weiß (auch wenn man nur ahnen
kann, dass es der Vietnamkrieg war). Aber ums Lesen geht es weniger: Diese
Bilder entwickeln ein eigenständiges Immersions- und
Überwältigungsszenario. Das Konzept des Wunders liefert der Überwältigung
den Notenschlüssel, auch für die nun folgenden Rückblenden auf das
Aufwachsen der drei Rangen in Waco, Texas.
Und da fehlt nun nichts von dem, was Jugendbücher und Autobiografien über
glückliche naturnahe Kindertage immer schon zu berichten wissen: Frösche,
Flüsse, Erschöpftsein in der Natur, Wettkämpfe mit dem strengen Daddy,
Getröstetwerden von der ewig verzeihenden, liebenden Mutter. Die es dann
schließlich auch einmal ausspricht, als die Kamera sich vom heftig bewegten
Kinderspiel und den glücklich erschöpften Jungskörpern mal wieder
hinaufschwingt in eine Baumkrone und kurz da verharrt: "Da oben wohnt
Gott!"
## Der Typ, der den Urknall gemacht hat
Es bleibt nicht bei einer Sichtung: Immer wieder ist ein ominös blinkendes
Lichterspiel vor schwarzen Hintergrund zu sehen, von dem aus dann wieder
Katarakte von Bildern in Bewegung gesetzt werden. Es ist nicht weit
hergeholt, dieses isolierte Signature-Geflacker als Porträt des
Allerhöchsten zu identifizieren: der Typ, der den Urknall gemacht hat und
ansonsten seinen Hiob prüft, der die strengen Naturgesetze erlassen hat und
doch auch hin und wieder Gnade ergehen lässt. Um den geht es hier.
Gerade apropos Hiob könnte man über die Schicksalsschläge, die nun auf die
amerikanische Mittelklasse niederprasseln werden, das Thema des Filmes auch
anders konstruieren. Der Genuss der erhabenen Naturmotive, die ihre
Fortsetzung dann auch in Explorationen moderner Stadtlandschaften und der
Bürohausarchitektur finden, in der der inzwischen zu Sean Penn erwachsene
älteste Sohn mit entwurzelten Gesichtsausdruck sein zweifelndes Leben in
der Gegenwart führt, ist nur möglich, wenn man das Weltall mit seinen
erhabenen Unermesslichkeiten, explodierenden Supernovae und galaktisch
kalten Zwischenräumen von einem gesicherten Ort aus betrachten kann; von
einem Ort aus, an dem man nicht befürchten muss, vom nächstbesten schwarzen
Loch angesaugt oder von gigantischen Gassternen gegrillt zu werden.
Das Wunder gibt es nur für die Gesicherten, die es aushalten können, sich
das absolut Unsichere vorzustellen oder gar anzusehen. Das Wunder gibt es
nur für die Behüteten. Malick wäre dann hier der Chronist des historischen
Versuchs, den jene inzwischen weitgehend verschwundene historische
Sozialformation, die sogenannte amerikanische Mittelklasse, unternommen
hat, diesen das Erleben des Wunders ermöglichenden Schutz für ihre Kinder
zu errichten; in Suburbs mit sonnendurchfluteten Kinderzimmern und Nähe zu
einer Natur, in denen sich gefahrlos von der Unendlichkeit träumen lässt.
## Kathedrale ohne Kontext
Aber er belässt es nicht bei der Konstruktion eines historischen Glücks und
dessen historischen Scheiterns. Das, was diese Mittelklassekinder erleben
durften, bevor ihre Welt zerfiel - durch Ödipus, Krieg und Kapitalismus -,
sei eine religiöse Erfahrung. Malick treibt seinen Film nicht nur durch die
Dekontextualisierung seiner Kinokathedralen in die Eindeutigkeit des
Gottesdienstes, sondern vor allem, indem er Bilder mit musikalischen
Pathosformeln zukleistert. Formel ist hier vielleicht ein zu böses Wort,
mag denken, wer die amtliche Liste von wohldirigierten Mahler-Symphonien
und anderen größten Hits spirituell tauglicher Klassik liest. Es bekommt
aber gerade solcher Musik nicht, wenn sie auf Effekt geschnitten wird, aus
ihrer Konstruktion herausgelöst. Malick verlässt sich auf das, was er mit
Bildern so beherrscht, was aber auf Musik sich so nicht übertragen lässt:
in laufende Abläufe hinein- und herausschneiden. Übrig bleibt meist ein
klimaktischer Chor, eine Fulminanzekstase, und es ist bezeichnend, dass das
mit Mahler und Ligeti genauso geht wie mit zweifelhaften Krautrock- und
Esoterik-Komponisten.
Es gibt genug zu sehen und zu genießen am "Tree of Life". Malick ist
visuell zu obsessiv, um den religiös-musikalischen Eindeutigkeiten, die
immer wieder entstehen, ganz zu verfallen. Es ist aber ebenfalls leicht
möglich, sich diese "Bilder" durch ihre Heiligkeit verleiden zu lassen. Am
Ende - nach dem Tode? - finden sich alle Beteiligten samt einer
unübersichtlichen Multitude anderer Menschen wieder und irren über einen
Salzsee, irgendwie massenhaft gescheucht, als wäre Einar Schleef hinter
ihnen her. Spätestens hier wird es auch unfreiwillig komisch.
"The Tree of Life". Regie: Terrence Malick. Mit Brad Pitt, Sean Penn,
Jessica Chastain u. a. USA 2011, 138 Min.
15 Jun 2011
## AUTOREN
(DIR) Diedrich Diederichsen
## TAGS
(DIR) Serien-Guide
(DIR) Terrence Malick
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