# taz.de -- Konstitution türkisches Parlament: Kurden boykottieren Sitzung
       
       > Der Wahlrat verweigert einem Kurden seine Anerkennung als Abgeordneter,
       > weil er verurteilt wurde und in U-Haft sitzt. Das kann politische Folgen
       > haben.
       
 (IMG) Bild: Pro-kurdische Demo in Istanbul.
       
       ISTANBUL taz | Die am Freitag stattfindende konstituierende Sitzung des
       türkischen Parlaments nach den Wahlen vom 12. Juni wird voraussichtlich
       ohne kurdische Abgeordnete stattfinden. Weil einem der gewählten Kurden vom
       Hohen Wahlrat der Türkei seine Anerkennung als Parlamentarier verweigert
       wurde, haben die übrigen 35 Mitglieder der künftigen kurdischen Fraktion
       angekündigt, der Sitzung fernzubleiben.
       
       Hatip Dicle hatte in Diyarbakir als unabhängiger Kandidat mit der
       Rückendeckung der kurdischen BDP die höchste Zahl an Wählerstimmen
       bekommen. Doch Dicle sitzt wie fünf weitere gewählte Kurden in
       Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen wie mehr als hundert
       weiteren kurdischen Politikern vor, sie seien Mitglieder des zivilen Arms
       der PKK.
       
       Bei Dicle kommt allerdings noch eine bereits bestätigte Verurteilung hinzu.
       Wegen Propaganda für die PKK war er vor zwei Jahren zu eineinhalb Jahren
       Haft verurteilt worden. Gegen diesen Richterspruch lief ein
       Berufungsverfahren, als er als Kandidat zugelassen wurde. Inzwischen hat er
       das Verfahren verloren. Nachdem der stellvertretende Vorsitzende der
       Regierungspartei AKP beim Wahlrat Beschwerde eingelegt hat, wurde Dicle
       sein Mandat aberkannt und eine AKP-Politikerin als Nachrückerin nominiert.
       
       Die Mitglieder der Kurdenfraktion wollen das nicht hinnehmen. Sie
       befürchten, dass die anderen fünf in U-Haft sitzenden Angeordneten
       ebenfalls nicht als Parlamentarier zugelassen werden.
       
       Ahmet Türk, der Sprecher der Gruppe, und der BDP-Vorsitzende Nurettin
       Demirtas warfen der Regierung undemokratisches Verhalten vor. Eine mögliche
       neue Initiative zur politischen Lösung des Kurdenkonflikts ist so schon
       vorab überschattet. Hinter dem Boykottaufruf steht noch eine weitere
       Überlegung. Wenn über 28 Abgeordnete ihr Mandat nicht antreten, wird
       innerhalb von drei Monaten eine Nachwahl in den betreffenden Wahlbezirken
       stattfinden.
       
       Wenn die ganze kurdische Gruppe ihr Mandat nicht annimmt, kann sie
       Nachwahlen erzwingen - andernfalls würden einzelne Sitze an den
       zweitplatzierten gehen, der in aller Regel ein AKPler ist. In diesem Fall
       würde Erdogan wahrscheinlich doch noch das Quorum von 330 Stimmen im
       Parlament erreichen und hätte eine Mehrheit, um eine neue Verfassung den
       Wählern als Referendum vorlegen zu können.
       
       23 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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