# taz.de -- Journalisten in Italien: Sklavenarbeit für ein paar Cent
> Journalisten in Italien gelten inzwischen als billig und leicht zu
> ersetzen. Ihre Artikel sollen vor allem die Werbung unterbrechen. Nicht
> wenige lässt das verzweifeln.
(IMG) Bild: Schlecht bezahlt: Redakteure italienischer Zeitungen.
Es war einmal ein Land, in dem der Journalismus als wunderbarer Beruf
erachtet wurde. Es war ein Land, in dem die Arbeit in den Medien, etwa in
der Tradition des berühmten Journalisten Tiziano Terzani, ein Wunschtraum
vieler Jugendlicher war. Heute hat sich in diesem Land der Traum in einen
Albtraum verwandelt, und Journalisten begehen Selbstmord, weil sie keine
Zukunftsaussichten haben.
Das passierte wirklich: Im süditalienischen Brindisi hat sich vergangenen
Mittwoch der 41 Jahre alte Journalist Pier Paolo Faggiano an einem Baum in
seinem Garten erhängt. In einem Abschiedsbrief an seine Mutter schrieb
Faggiano, er könnte "seinen Schwebezustand als Zeitarbeiter nicht mehr
ertragen".
In Italien gibt es etwa 100.000 Journalisten, die im italienischen
Presserat eingeschrieben sind. Mehr als die Hälfte davon gilt als prekär
Beschäftigte. "Ihr Zustand ähnelt der Sklaverei", sagt Enzo Jacopino,
Präsident des Presserats. Diese Menschen unterliegen prekären
Arbeitsbedingungen, die ihrer Gesellschaft unwürdig sind: Sie verdienen
zwischen 50 Cent bis 8 Euro pro Artikel.
## Schonungslose Konkurrenz
Ein von der Mitte-links-Regierung beschlossenes Gesetz schuf 2006 die
Tariftabelle der Standesvertretungen ab, deshalb gibt es für die
Journalisten kein Grundgehalt mehr. Natürlich steht es ihnen frei, diese
Arbeitsbedingungen nicht zu akzeptieren, aber die Konkurrenz ist
schonungslos: Es gibt immer einen Kollegen, der ihre Stelle sofort und für
noch weniger Geld annehmen wird.
Paola Caruso, 41, ist Journalistin beim Corriere della Sera, der
auflagenstärksten Tageszeitung Italiens. Seit 2003 ist sie als freie
Mitarbeiterin in der Wissenschafts-, Wirtschafts-, Bildungs-, Sonder-,
Online-, und Lokalredaktion tätig. "Und manchmal, wenn ich Zeit habe,
schreibe ich für das Blog der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore", sagt
Caruso. "Damit verdiene ich ein paar Cent pro Seitenaufruf."
Im November 2010 tritt sie in einen Hungerstreik, um gegen ihren Zustand
als Zeitarbeiterin zu protestieren. "In der Redaktion ging ein Journalist
in Rente und ich dachte, dass meine Zeit gekommen wäre. Man kann meine
Frustration verstehen, als die Verwaltung der Zeitung die Stelle an einen
externen Zeitarbeiter vergab: Ich fühlte mich, als ob meine achtjährige
Erfahrung überhaupt nichts wert wäre - als ob ich verdammt wäre, keine
Zukunft zu habe", beschreibt sie ihre Motivation zu der Aktion.
## Zeitarbeiter mit niedrigen Löhnen
"In Italien finanziert der Staat die Verleger durch Subventionen", erklärt
Presseratspräsident Jacopino, "aber sie haben keine Rechtspflicht, diese
Finanzierung auch zu benutzen, um Arbeitsplätze zu sichern. Wenn also ein
Journalist in Rente geht, kann der Verleger Zeitarbeiter ohne Erfahrung zu
niedrigeren Löhnen einstellen und ausbeuten. Mit dem ersparten Geld können
die Verleger dann neue Projekte realisieren."
Jedes Jahr werden in Italien Hunderte von Medienprojekten neu gegründet,
die meisten gehen schnell wieder ein. Die typischen italienischen Verleger
seien Politiker und Unternehmer, die journalistische Texte als einen
Abstandhalter zwischen der Werbung in ihrem Produkt sehen, meint der
Präsident des Presserats weiter: "Wenn die Redaktionen ihren Geschäften
nicht mehr nutzen, werden sie geschlossen."
Corriere Pontino zum Beispiel war die Tageszeitung von Gianfranco
Sciscione, Bürgermeisterkandidat im Badeort Terracina südlich von Rom.
Nachdem Sciscione die Wahlen verloren hatte, wurde die Zeitung am 3. Juni
geschlossen. Das Ergebnis: 40 Journalisten waren plötzlich ohne Arbeit.
Ohne Perspektive.
Und wie sieht Paola Caruso ihre Zukunft? "Keine Ahnung", sagt sie. Nach
ihrem Hungerstreikprotest verdiene sie knapp 10 Euro mehr im Monat, sie
habe aber immer noch nur einen Jahresvertrag. "Aussichten?", lächelt sie
ironisch. "Ich lebe in den Tag hinein."
26 Jun 2011
## AUTOREN
(DIR) Riccardo Valsecchi
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