# taz.de -- Taz-Serie Sekundarschule Teil 5: Operation misslungen, Patient lebt
       
       > Für die neue Sekundarschule an der Skalitzer Straße ist das erste
       > Schuljahr zu Ende gegangen. Der Fusionsprozess ist nicht einfach: Manche
       > Lehrer haben resigniert, andere bleiben optimistisch.
       
 (IMG) Bild: Islamophobe Tendenzen? Familienmisterin Kristina Schröder.
       
       "Man hat es überlebt", sagt Heinz Preller auf die Frage, wie es gelaufen
       ist, das erste Sekundarschuljahr der Oberschule an der Skalitzer Straße.
       Das klingt bitter. Doch der Lehrer wirkt alles andere als resigniert.
       Vielleicht ein wenig müde am Ende dieses Schuljahrs, das der neuen
       Sekundarschule im Kreuzberger Wrangelkiez nicht nur die Fusion zweier
       Schulen, sondern auch die komplette Umstellung des Unterrichtsalltags
       abverlangte.
       
       An der Skalitzer Straße fusionierten zwei Schulen, die bei allen
       Ähnlichkeiten unterschiedlicher nicht sein könnten: Die
       Carl-Friedrich-Zelter-Schule, vormals an der Kreuzberger Wilhelmstraße
       gelegen, 2007 als eine der zehn besten Hauptschulen Deutschlands
       ausgezeichnet, praxis- und ausbildungsorientiert und mit strengen Regeln
       arbeitend, zog bei der Eberhard-Klein-Schule ein, einer Haupt-Realschule,
       die fast ausschließlich von SchülerInnen aus Einwandererfamilien besucht
       wurde und mit starker sozialpädagogischer Unterstützung arbeitete. Beide
       Schulen sollten ihre Kompetenzen vereinen: eine gute Idee, aber auch eine
       Zwangsehe, die von Beginn an problembelastet war.
       
       An einem der letzten Tage des Schuljahres steht Lehrer Preller nun vor der
       Tür des Mehrzweckraums und wartet mit den SchülerInnen der siebten Klassen,
       dem ersten Sekundarschuljahrgang, auf den Beginn einer Theateraufführung.
       Schülerinnen der Siebten haben das Stück entwickelt. Laut und wild sind die
       Kinder, es wird geschubst und gelärmt. Zwei Mütter, die die Aufführung
       besuchen wollen, stehen skeptisch und etwas verschüchtert am Rand. Doch
       Prellers Blick ruht freundlich und liebevoll auf seinen SchülerInnen: "Sie
       toben", sagt er gelassen.
       
       Zuvor haben die 13- bis 15-Jährigen ihre Klassenzimmer ordentlich
       aufgeräumt und geputzt. Einer durfte die kleine Wasserschildkröte der
       Klasse 7/3 mitnehmen, um sie über die Ferien zu betreuen. Während der
       kurzen Theateraufführung sind sie aufmerksam und still - es geht um Geld,
       um Eltern, die ihrer Tochter kein Taschengeld mehr zahlen können, weshalb
       die nach erstem Frust mit ihren Freundinnen andere Möglichkeiten der
       Freizeitgestaltung als Shopping entdeckt. Die jungen Schauspielerinnen,
       alle nichtdeutscher Herkunft, haben Erzählungen aus ihren Familien
       einfließen lassen - etwa die vom Vater, der erzählt, womit er gespielt hat,
       als er klein war, oder von der Tante, die als Kind gar nicht wusste, was
       Taschengeld überhaupt ist.
       
       Die SchülerInnen folgen der Aufführung konzentriert: "Wäre schön, wenn sie
       im Unterricht auch mal so ruhig wären!", sagt Preller. Viele Jahre hat der
       Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie in Istanbul unterrichtet, dann 13
       Jahre lang mit seinem eigenen Boot Schulklassen und andere Gruppen durch
       holländische Gewässer geschippert. Erst vor einem Jahr ist der 61-Jährige
       wieder in den Schuldienst eingestiegen - an der Skalitzer Straße. "Anders"
       als an seinen bisherigen Posten sei es hier, erklärt er freundlich: "Man
       muss lernen, den Unterrichtsstil an die Kinder anzupassen, nicht die Kinder
       an den Unterrichtsstil." Viele brächten große Lerndefizite mit, manche
       müssten grundlegende Dinge wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erst
       lernen: "Mit dem normalen Schulsystem kommen Sie da nicht weiter!" Den
       Kindern lastet er das nicht an: "Sie haben sich das ja so nicht ausgesucht.
       Sie sind ein Produkt dieser Gesellschaft."
       
       Preller befürwortet deshalb die Grundidee der Sekundarschule, mit
       individueller Förderung jedem Kind gerecht zu werden: "Sie müssen in ihrem
       eigenen Tempo lernen können." Er habe "den Ehrgeiz, das zu stemmen". Nicht
       allen seiner KollegInnen gelingt das. Einige Lehrkräfte, vor allem aus dem
       Kollegium der Carl-Friedrich-Zelter-Schule, verlassen die Sekundarschule
       zum Schuljahresende. Vom "Team 7", den LehrerInnen des ersten
       Sekundarschuljahrgangs, sind es zwei - beides Lehrkräfte der früheren
       Vorzeige-Hauptschule.
       
       Die Klasse 7/3 wurde im ersten Oberschuljahr von zwei Lehrkräften und einem
       Sozialpädagogen betreut: Johannes Neuwirth, Alev Sönmez und Heiner Meise.
       Ab August wird Alev Sönmez an einer Charlottenburger Grundschule arbeiten.
       "Ich bin hier an meine Grenzen gekommen", sagt die junge Lehrerin, die
       selbst in Kreuzberg aufgewachsen ist. Sechs der 20 SchülerInnen ihrer
       Klasse werden mit ihren Familien vom Jugendamt betreut, bei einem weiteren
       ist die Betreuung beantragt. "Es tut mir so leid, wegzugehen", sagt Sönmez:
       "Diese Schüler bräuchten eigentlich die besten Lehrer. Aber viele wollen
       sich das hier nicht antun."
       
       "Frau Sönmez ist zu streng", sagt eine Schülerin, als die Lehrerin das
       Klassenzimmer kurz verlässt. Gedankenverloren putzt das Mädchen die Tafel -
       mit der Hand, die es nachher an der Wand abwischt. Ein Schüler nutzt die
       lehrerfreie Zeit zum Musikhören auf dem Handy: "Ey, wenn Lehrer kommt,
       Handy ist weg, weißt du", sagt eine Schülerin zu ihm. Zuvor hatte sie sich
       in akkuratem Deutsch erkundigt, wie viel man als Journalistin verdient und
       wie viel Steuern man zahlen muss.
       
       Johannes Neuwirth und Heiner Meise spülen in der kleinen Küche mit einigen
       Schülern das Geschirr vom Elterncafé am Vortag. Eigentlich haben die Jungen
       schon frei, doch sie nutzen die Gelegenheit zum Plausch mit ihren Pädagogen
       beim gemeinsamen Abtrocknen. Kadirs* Schuljahr ist schon vorbei: Am
       nächsten Tag fährt er mit seiner Familie in deren Herkunftsland,
       Mazedonien. "Gute Reise und Grüße zu Hause!", richten Neuwirth und sein
       Kollege Meise aus: "War sehr schön, das Gespräch mit deinen Eltern
       gestern!"
       
       ## Fusion schiefgelaufen?
       
       Ist die Fusion der zwei Schulen schiefgelaufen? Dass ihre Kollegin Sönmez
       geht, sehen Neuwirth und Meise mit großem Bedauern. "Sie hat sich sehr für
       die SchülerInnen eingesetzt", sagt Neuwirth. Einige Lehrkräfte hätten sich
       nur mit Vorbehalt auf die Reform eingelassen, "aus beiden Kollegien", sagt
       Meise vorsichtig: "Solche Reformen erfordern eben sehr viel Engagement von
       jedem Einzelnen."
       
       Die Sekundarschule sehen die beiden dennoch nicht am Ende: "Jetzt geht es
       ja erst richtig los!", sagt Neuwirth. Die Umgestaltung des Schulalltags zum
       Ganztagsbetrieb, die "Rhythmisierung" durch den Wechsel von Unterricht und
       Freizeitangeboten, die individuelle Förderung der SchülerInnen: "Da gibt es
       noch viele Baustellen, da müssen wir noch viel dazulernen." Das sei in
       einem Jahr gar nicht alles zu stemmen: zum Beispiel, weil Schulen, die
       bereits Erfahrung mit Unterricht im individuellen Lerntempo haben, gar
       nicht allen Anfragen der vielen neuen Sekundarschulen nach Unterstützung -
       etwa durch Unterrichtsbesuche und Lehrerhospitationen - nachkommen konnten.
       Und die 80-minütigen Unterrichtsblöcke oder das "Service Learning"
       außerhalb der Schule, bei dem SchülerInnen in sozialen Einrichtungen
       mithelfen sollen, erfordern eben nicht nur eine Änderung des Stundenplans
       der Siebtklässler, sondern der Planung für die ganze Schule: "Das müssen
       alle mittragen", sagt Neuwirth. Nur alle wollen eben nicht. Die von der
       Zelter-Schule in die Fusion eingebrachte "Assembly", die wöchentliche
       Vollversammlung aller SchülerInnen, immerhin hat sich auch in der
       gemeinsamen Schule bewährt.
       
       Der frühere Gymnasiallehrer Preller gehört als Neuzugang keinem der beiden
       zwangsfusionierten Kollegien an. "Ich sehe sie hier alle kämpfen", sagt er
       über seine KollegInnen. "Und keiner hat ein Patentrezept."
       
       *Name geändert
       
       27 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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