# taz.de -- Panter-Preis-Kandidat: Gegen die Zeit
       
       > Sexuelle Gewalt darf nicht verjähren, findet Norbert Denef. Dafür setzt
       > er sich seit Jahren ein – am Schreibtisch und vor Gericht.
       
 (IMG) Bild: Norbert Dennef wehrt sich gegen das Verleugnen sexueller Gewalt
       
       Die Ostsee liegt ruhig da, ein blauer Teppich im Sonnenschein. Norbert
       Denef lehnt sich in seinem Strandkorb zurück und blickt zum Horizont. Vor
       zweieinhalb Jahren ist er mit seiner Frau Veronika nach Scharbeutz gezogen,
       direkt ans Meer. Braun gebrannt, in Poloshirt, Jeans und Sandalen fühlt
       sich der 62-Jährige wohl am Wasser. "Hier kann ich Kraft auftanken." Mit
       seiner Kraft geht der Vater zweier erwachsener Kinder oft verschwenderisch
       um. Achtzig Arbeitsstunden die Woche sind für ihn keine Seltenheit.
       
       Waren es noch nie. Früher hat Denef als technischer Leiter am Theater
       gearbeitet. Er trug die Verantwortung für den reibungslosen
       Produktionsablauf. Der Stress und sein Pflichtbewusstsein ließen ihn auf
       Hochtouren arbeiten. "Am Theater muss man ständig auf alle Eventualitäten
       vorbereitet sein. Ich konnte erst abschalten, wenn abends der Vorhang
       hochging." Erschöpfung und Aggression, die ihn überfielen, erklärte er sich
       mit seinem Hang zum Perfektionismus. Er funktionierte - und er
       funktionierte gut - und litt dabei, ohne es zu ahnen, unter Depressionen.
       
       Wolkenberge türmen sich am Himmel, der Wind frischt auf, die Ostsee wirkt
       jetzt rau. "Mit 40 hatte ich einen Zusammenbruch". Denef schaut immer
       weiter aufs Meer hinaus. Scheint mit sich selbst zu sprechen.
       Schlafstörungen, Schweißausbrüche, schließlich die Klinik. Langsam kamen
       verdrängte Erinnerungen seiner Kindheit wieder an die Oberfläche. Bilder,
       die er am liebsten nie mehr gesehen hätte. Bilder von zwei Männern, die ihn
       über acht Jahre missbraucht hatten, der eine war Pfarrer, der andere
       Chorleiter der katholischen Kirche.
       
       "Ich fühlte nichts mehr, war nur noch eine Hülle."
       
       2010 gründete Norbert Denef den gemeinnützigen Verein [1][netzwerkB],
       netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt. Um sich gegen das Verschweigen
       zu stemmen, das ewige Vertuschen. Das Verjähren. Das Schwerste sei, das
       Schweigen zu brechen. Dass man es alleine nicht hinkriege. Man auf die
       Öffentlichkeit angewiesen sei, auf andere Menschen, die sich auch gegen das
       Verleugnen sexueller Gewalt stemmen.
       
       ## Schweigemauer aus Scham
       
       Oft sitzt Denef stundenlang am Telefon oder vor dem Computer. Organisiert
       Kongresse, schreibt Artikel, versucht Spenden für den Verein aufzutreiben.
       Er will eine Reform des Zivilrechts, kämpft dafür, dass die
       Verjährungsfristen aufgehoben werden. Wenn das Opfer die Schweigemauer aus
       Scham und vermeintlicher Mitschuld endlich durchbricht, ist es in den
       meisten Fällen zu spät.
       
       2008 lehnte der Bundestag das Anliegen von Denefs Petition ab, die
       Verjährung wurde nicht aufgehoben. Also legte er [2][Beschwerde ein beim
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte]. Mit einer
       Unterschriftenliste, die knapp 18.900 Menschen zählt - und immer länger
       wird.
       
       Norbert Denef wurde in Delitzsch nahe Leipzig als fünftes Kind in eine
       katholische Familie geboren. Die Ehe seiner Eltern war da schon am Ende.
       Als er drei Monate alt war, verließ der Vater die Familie, die Mutter
       musste die fünf Kinder allein großziehen. Gefühle hatten im Hause Denef
       keinen Platz. Nähe, Aufmerksamkeit fand der Junge höchstens in der Kirche.
       Bei Pfarrer Kamphusmann, einem Freund der Familie, der in die Rolle des
       Ersatzvaters geschlüpft war.
       
       Norbert Denef war zehn Jahre alt und stolz darauf, endlich Messdiener zu
       sein. Er gehörte jetzt dazu. Zu einer Gemeinschaft. Dann nahm ihn der
       Pfarrer nach einem Gottesdienst mit in seine Wohnung. Er missbrauchte ihn.
       Immer wieder, mehrmals die Woche.
       
       ## Immer mehr, immer mehr
       
       Angst vermischte sich mit kindlicher Solidarität gegenüber dem Ersatzvater.
       Also schwieg der Junge. Vergrub alles ganz tief in sich.
       
       Als der Pfarrer nach Jahren in eine andere Gemeinde versetzt wurde, sollte
       sich für Denef trotzdem nichts ändern. Der Mann, der sich für die
       Versetzung des Pfarrers eingesetzt und den er für seinen Freund gehalten
       hatte, übernahm den Platz des Vergewaltigers. Auch er ein Mann der Kirche.
       Denef versuchte zu vergessen - immer mehr, immer mehr -, bis er selbst
       nicht mehr an seine Erinnerungen herankam.
       
       Es dauerte lange, bis sich das änderte. Pfarrer Kamphusmann war längst
       verstorben. Endlich war Denef stabil genug, um den zweiten Täter
       anzuklagen. Doch zu diesem Zeitpunkt war alles längst verjährt.
       
       Der Himmel ist jetzt wolkenverhangen, die Ostsee grau und wild. Norbert
       Denef atmet die Seeluft ein. Kraft tanken.
       
       8 Jul 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://netzwerkb.org/
 (DIR) [2] http://netzwerkb.org/petition
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie-Claude Bianco
       
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