# taz.de -- Wahn-Morde nach 11. September 2001: Die Überlebensaufgabe
       
       > Nach dem 11. September 2001 erschoss ein Mann zwei asiatische Männer in
       > Texas, einen dritten verletzte er schwer. Nun kämpft das Opfer weltweit
       > gegen die Hinrichtung des Täters.
       
 (IMG) Bild: In der Wahnwelt eines Gescheiterten lösten die 9/11-Attentate das Bedürfnis aus, drei Männer dunkler Hautfarbe zu töten.
       
       BERLIN taz | Eigentlich hätte er gar nicht da sein sollen. Rais Bhuiyans
       Frühschicht an der Tankstelle in Dallas war seit einer halben Stunde
       vorbei, aber seine Ablösung kam nicht. Ein tätowierter Mann stürmte herein,
       mit Baseballkappe, Sonnenbrille - und einer Pistole. Wieder ein Überfall,
       dachte der schmale dunkelhäutige Mann, der dritte in seinen drei Monaten
       hinterm Tresen. "Nicht schießen", rief er, "hier ist das Geld."
       
       Dann aber stellte der Angreifer mit der Waffe eine Frage, die der Verkäufer
       noch nie von einem Räuber gehört hatte: "Woher stammst du?" Er sagte noch:
       "Wie bitte?" Dann fiel ein Schuss. Seit diesem Tag, dem 21. September 2001,
       ist in Rais Bhuiyans Leben nichts mehr wie zuvor.
       
       Heute, fast zehn Jahre nach dem Ereignis, das ihn das rechte Augenlicht
       kostete und seinen Kopf bis heute schmerzen lässt, kämpft er um das Leben
       des Schützen: Bhuiyan reist zur dänischen Firma, die die Chemikalie für den
       staatlich angeordneten Gifttod herstellt. Auf seiner Internetseite
       [1][WorldWithoutHate.org] sammelt er mit einer Petition Stimmen, um eine
       Umwandlung des Todesurteils in eine lebenslange Haftstrafe ohne Bewährung
       zu erreichen. Und deshalb sitzt er an diesem sonnigen Mittwochmittag in
       einem kargen Besprechungsraum in Berlin-Mitte und redet.
       
       Raum 2.501 im Paul-Löbe-Haus, einer Kathedrale aus Glas, Stein und Stahl
       mit Büros für Bundestagsabgeordnete. Bhuiyan, ein kleiner Mann im schwarzen
       Anzug und mit schwarzer Aktentasche, macht Station in der deutschen
       Hauptstadt. Die immer gleichen Journalistenfragen beantwortet er mit Geduld
       und in Worten, die er seit Beginn seines Engagements oft wiederholen
       musste: "Ich habe Herrn Stroman schon vor Jahren vergeben, und ich habe ihn
       nie gehasst. Er war unwissend." Seine Hinrichtung könne nichts wieder
       gutmachen. Dann liest Bhuiyan aus einem hoffnungsvollen Brief, den "Mark",
       wie er ihn nennt, ihm kürzlich geschrieben habe. Doch die Zeit für Mark
       Stromans Rettung läuft ab.
       
       Am 20. Juli soll der Häftling des Gefängnisses von Livingston, Texas,
       hingerichtet werden. Seit 2002 ist Stroman ein Todeskandidat, verurteilt
       wegen des Mordes am indischstämmigen Vasudev Patel, einem US-Staatsbürger,
       erschossen in Mesquite, Texas am 4. Oktober 2001. Die Staatsanwaltschaft
       legte ihm auch die Tötung von Waqar Hasan zur Last, einem pakistanischen
       Einwanderer, am 15. September 2001 in Dallas.
       
       Hinzu kommt der Angriff auf Bhuiyan. Drei Männer mit dunkler Hautfarbe, die
       ein verwirrter, wütender Mann vernichten wollte. Drei Menschen, die in der
       Wahnwelt eines Gescheiterten irgendwie Mitschuld trugen an den
       9/11-Attentaten von New York, Washington und Pennsylvania. Seine Schwester,
       so wird Stroman sich später rechtfertigen, sei bei den Flugzeugangriffen
       aufs World Trade Center gestorben. Ob das stimmt, wussten nicht einmal
       seine Strafverteidiger. Den Ruhmestitel "Arab Slayer", Araberschlächter,
       soll er sich nach seinen Taten gegeben haben. "Ich tat, was jeder
       Amerikaner tun wollte", sagte Stroman später in einem TV-Interview, "aber
       wozu andere nicht die Nerven hatten."
       
       ## Geschädigtes Hirn
       
       Sein einziges überlebendes Opfer Bhuiyan sagt heute: "Durch die Gnade
       Gottes habe ich überlebt." Er ist gläubiger Muslim. Als sein Gesicht
       blutete und er fürchtete zu sterben, habe er Gott ums Überleben angefleht
       und versprochen, Gutes zu tun. Die Idee, selbst etwas gegen Stromans
       Hinrichtung zu unternehmen, sagt er, sei ihm während einer Pilgerreise nach
       Mekka im Jahr 2009 gekommen. "Der Islam lehrt: Wer ein Leben rettet, rettet
       die ganze Welt."
       
       Ende vergangenen Jahres schließlich sprach er Professor Rick Halperin von
       der Southern Methodist University an, einen Menschenrechtsaktivisten und
       Mitglied bei Amnesty International. Halperin begleitet Bhuiyan auf seiner
       Reise durch Europa.
       
       Eingeladen hat beide Tom Koenigs. Der Grünen-Politiker war mal
       UN-Sonderbeauftragter in Afghanistan und davor im Auftrag der UN im Kosovo,
       um beim Aufbau der Zivilverwaltung mitzuarbeiten. Heute ist er Vorsitzender
       des Bundestagsausschusses für Menschenrechte. Koenigs hat also einen Hang
       zu aussichtslos erscheinenden Fällen. Der Fall des Mark Anthony Stroman ist
       so einer.
       
       Vergeblich haben seine Verteidiger immer wieder versucht, das Gericht von
       der Schuldunfähigkeit ihres Mandanten zu überzeugen. Stroman habe so gut
       wie keine Chance im Leben gehabt: Schläge vom Stiefvater; eine lieblose,
       alkoholkranke Mutter, die ihrem Sohn sagte, er sei nur auf der Welt, weil
       ihr 50 Dollar zur Abtreibung gefehlt hätten; schließlich eine 17 Jahre
       währende Abhängigkeit von Methamphetamin, die Stromans Hirn geschädigt
       habe. 12 bis 13 Tage habe ihr Mandant schlaflos auf Droge verbracht, als er
       im Wahn loszog und Menschen töten wollte. Das Fazit der Anwälte: "Er
       glaubte tatsächlich, er handele im Auftrag des amerikanischen Volkes, um
       die Ereignisse des 11. September 2001 zu rächen."
       
       ## 35 Geschossteile in der rechten Gesichtshälfte
       
       In der Haft schreibt Stroman einen Blog. Anfangs rühmte er sich seiner
       Taten. Heute bedauert er sie: "Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht:
       aus Liebe, Trauer und Wut." Bis heute lautet seine Mailadresse
       proudamerican2001@yahoo.com.
       
       Dass Bhuiyan für diesen Mann um die Welt reist, erscheint noch
       erstaunlicher, wenn man weiß, wie es dem Attentatsopfer erging. Zwei
       Operationen schafften es nicht, sein rechtes Augenlicht zu retten, doch sie
       waren teuer, und er hatte keine ausreichende Krankenversicherung. Seine
       Verlobte in der alten Heimat Bangladesch trennte sich von ihm. Eigentlich
       hatte er bereits eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für die USA, aber
       weil er sein Visum in Bangladesch nicht abholen konnte, verfiel es. Er
       konnte nicht reisen, sagt er, weil er habe fürchten müssen, dass sein
       verletztes Auge den Druckunterschied im Flugzeug nicht überstünde. Bis
       heute stecken 35 Geschossteile wie Spritzer aus Metall in seiner rechten
       Gesichtshälfte.
       
       Langsam rackerte sich Bhuiyan nach dem Anschlag wieder hoch. Seine
       Moscheegemeinde vermittelte ihm Zugang zu einer Informatikschule, an der er
       kostenfrei lernen konnte. Sein Lehrer dort sei "ein guter Muslim" gewesen.
       Heute kann der 37-Jährige ein Diplom als Luftfahrtingenieur vorweisen, er
       arbeitet als Techniker in Dallas. Aber seine Zukunft sieht er anderswo:
       "Ich will mehr über Menschenrechte erfahren und Journalismus." Unabhängig
       davon, ob er es schafft, Stromans Leben zu retten.
       
       Die Reise nach Deutschland wird ihn seinem Ziel wohl nicht näher bringen.
       In Berlin versuchen Bhuiyan und die ihn begleitenden
       Menschenrechtsaktivisten, die Bundesregierung für sich zu gewinnen. Sie
       soll alles dafür tun, dass Mark Stroman eine deutsche Staatsangehörigkeit
       zuerkannt wird. Stromans Vater sei Deutscher gewesen. Doch aus dem
       Auswärtigen Amt hieß es gegenüber der taz, zwar habe ein Vertreter des
       deutschen Generalkonsulats in Houston Stroman in der Haft besucht. Aber es
       hätten sich "nach intensiver Recherche keine belastbaren Hinweise auf eine
       deutsche Staatsangehörigkeit ergeben".
       
       Eine Mitarbeiterin des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung,
       Markus Löning (FDP), erklärte, dieser werde sich in einem Brief an den
       republikanischen Gouverneur von Texas wenden und bitten, Stromans
       Hinrichtung auszusetzen. Der Staat Texas hat seit Wiederanwendung der
       Todesstrafe 1977 mehr als 470 Menschen hingerichtet. Kein einziges
       Gnadengesuch hatte seither Erfolg.
       
       Am Freitag fliegt Rais Bhuiyan zurück in die USA. Kommende Woche will er
       den Todeskandidaten im Gefängnis besuchen. Zum ersten und vielleicht
       letzten Mal.
       
       7 Jul 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://worldwithouthate.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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