# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Die Pashminarisierung der Gesellschaft
       
       > Ein Tuch kann wärmen und ganz viel mehr. Hübscher macht es das nicht. Und
       > mal ehrlich: Braucht man im Sommer wirklich einen Schal?
       
       Neulich radelte ich durch einen schattigen Teil des Berliner Tiergartens.
       Es war noch früh am Morgen und nicht besonders warm. Die Vögel zwitscherten
       und ich war ganz in Gedanken versunken, als sich eine Dame mit
       Longchamps-Tasche und Loafers an mich heranpirschte und überholte. Das
       Erstaunliche war aber nicht der Eindruck, den ihre Schuhe oder ihr Sportrad
       auf mich machten, sondern ein Tuch, das sie über die Schultern gelegt
       hatte: "Das gleiche habe ich auch", fühlte ich mich gedrängt zu sagen.
       
       Das war schon etwas Besonderes, denn dieses Tuch hatte ich nicht bei
       Karstadt oder H&M gekauft, sondern in einer Bretterbude in Bombay. Die Frau
       anscheinend auch, denn sie sagte: "Ich habe es aus Indien", und fügte aus
       einem mir je bekannten Erklärungsdrang hinzu: "Diese Tücher sind dort sehr
       günstig." Ich weiß nicht, ob die Frau in letzter Zeit in einer
       Fußgängerzone oder einem Einkaufszentrum gewesen ist, aber diese Tücher,
       sind auch hier sehr günstig.
       
       Trugen früher nur alte Oberstudienrätinnen außerhalb der Wintermonate und
       innerhalb von geschlossenen Räumen Schals, tun das die meisten Frauen heute
       auch bei 25 Grad im Schatten. Entweder bin ich nun auch schon alt und
       zugluftempfindlich oder ein Fashion-Victim. Oder noch schlimmer: ein Opfer
       eines vermeintlichen Modetrends. Ich packe Schals ein wie andere Leute
       Taschentücher. Gut, ein Händchen für die Garderobe wurde mir ebenso wenig
       in die Wiege gelegt wie eins für Schönschrift oder Singen. Aber ganz so
       übel kann es doch nicht sein! Oder?
       
       ## Schließlich komme ich aus Krefeld
       
       Heute ist es nichts Besonderes, wenn Frauen mit einem Schal in der Tasche
       aus dem Haus gehen. Vielleicht liegt es dran, dass inzwischen jeder
       Zeitungskiosk eine Klimaanlage betreibt, mich fröstelt es einfach häufig.
       Ich bin eben ein Opfer der Pashminarisierung der Gesellschaft. Mein Mann
       sieht das anders und meint, langsam färbe mein taz-Milieu auf mich ab, und
       wenn ich nicht aufpasste, sähe ich bald aus wie Claudia Roth. Dann wäre es
       zwar noch nicht vorbei mit uns, die Sache würde aber schwierig werden.
       
       "Das ist Lokalpatriotismus!", verteidige ich mich dann, schließlich komme
       ich aus Krefeld, der Stadt aus Samt und Seide. Er kommt aus Lübeck und weiß
       deswegen nicht, dass ich Quatsch rede. In meiner ganzen Jugend habe ich
       niemals Tücher getragen, weder welche von Hermes noch Palästinensertücher.
       Die Einzige aus unserer Klasse, die das tat, hatte zuhause eine Fabrik für
       diese Dinge stehen. "Warum trägt dann Manja auch immer Tücher?", fragt mein
       Mann. Das ist eine Freundin aus Leipzig. "Sie kommt aus dem Osten",
       entschuldige ich sie. "Die wurde zum Pioniertuch gezwungen und hat den
       Absprung nicht geschafft." Ein Pashmina sei extrem anpassungsfähig. "Mal
       machst du einen Schal draus, mal eine Picknickdecke. Mal legst du ihn dir
       um die Schulter und mal kannst du ihn sogar als Gürtel benutzen!"
       
       Wenn das so weitergeht, werden Manja und ich uns später im Altenheim ein
       Zimmer teilen und es kuschelig einrichten. Mit unseren gesammelten Werken
       an der Wand, über Lampenschirmen und als Tagesdecken. Sie freut sich schon.
       
       12 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Natalie Tenberg
       
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