# taz.de -- Algerier beschuldigen Tunesien: Bootsflüchtlinge in Haft verschwunden
> Rund 300 algerische Bootsflüchtlinge sollen in Tunesien verschwunden
> sein. Ihre Angehörigen fordern Auskunft über ihr Schicksal und erheben
> schwere Vorwürfe.
(IMG) Bild: Endstation Tunis. Wo sind die algerischen Flüchtlinge?
Angehörige verschwundener algerischer Bootsflüchtlinge haben schwere
Vorwürfe gegen die tunesischen Behörden erhoben. Bei einer Pressekonferenz
in Tunis am Montag beklagten sie, dass etwa 300 Algerier in den letzten
Jahren beim Versuch der illegalen Ausreise nach Italien festgenommen
wurden. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt.
Die Familien hätten Nachrichten über die Verhaftung der "Harraga", wie die
Bootsflüchtlinge in der Region genannt werden, erreicht. Die Menschen seien
demnach nicht ertrunken, sagte der Sprecher der Angehörigeninitiative Kamel
Belabed nach Berichten algerischer und tunesischer Medien.
Er gehe davon aus, dass sie sich bis heute in tunesischen Gefängnissen oder
Internierungslagern befinden. Deren Insassen würden häufig gefoltert.
Deswegen haben sich die Harraga-Familien mit dem tunesischen
Anti-Folter-Komitee zusammengeschlossen.
"Wir appellieren an die tunesischen Behörden, uns bei der Untersuchung zu
unterstützen, um das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären", sagte die
Komitee-Sprecherin Radhia Nasraoui. Tunesien hat auf Druck der EU 2004 die
Strafen für den Versuch der illegalen Ausreise drastisch erhöht.
Nach Darstellung des Revolutionsrates wurden nach dem Sturz Ben Alis im
Januar alle politischen Gefangenen in Tunesien entlassen. Die Harraga sind
jedoch nicht unter diese Amnestie gefallen. Ein Sprecher des Roten
Halbmonds erklärte gegenüber algerischen Medien, dass Anfragen über den
Verbleib von Harraga unbeantwortet geblieben seien.
"Vor der Revolution haben wir von der Polizei keinerlei Informationen über
die verhafteten Harraga bekommen", sagte Amour Bobakri, Professor für
öffentliches Recht an der Universität von Sousse zur taz. Er ist der
tunesische Mitarbeiter des Global Detention Project, das die Internierung
papierloser Migranten weltweit dokumentiert.
Nun sei es zwar möglich, Auskünfte zu erhalten, doch bislang schweige auch
die Interimsregierung . "Ob es wirklich noch 300 Algerier sind, weiß ich
nicht", sagte Bobakri. Es gelte aber als sicher, dass noch viele Ausländer
in tunesischen Gefängnissen sitzen, die sich lediglich des Versuchs der
illegalen Ausreise schuldig gemacht hätten.
12 Jul 2011
## AUTOREN
(DIR) Christian Jakob
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Europa wehrt Flüchtlinge ab: Afrikanische Odyssee im Mittelmeer
Die EU wehrt sich mit Händen und Füßen gegen eine Aufnahme von
schiffbrüchigen Afrikanern. Und offenbart dabei nur eins: eine brutale
Erbarmungslosigkeit.
(DIR) Aufstieg und Fall der al-Qaida: Der Sturz des Phönix
Mit den Anschlägen von 9/11 hatte Osama bin Laden bereits alles verspielt
und seinen Untergang besiegelt. Aufstieg und Fall einer
Provinzorganisation.
(DIR) Tunesische Flüchtlinge in Frankreich: "Wir sind wie ein Spielball"
Rund 400 tunesische Flüchtlinge halten sich in einer Gartenanlage am Rande
von Paris auf. Jetzt werden sie nach und nach festgenommen.
(DIR) Flüchtlinge aus Libyen: Auf der Flucht und vor dem Nichts
Hunderttausende sind bereits vor Gaddafis Gewalt geflohen. Jetzt kommt der
Krieg dazu. Dramatisch ist die Lage vieler Migranten aus Afrika südlich der
Sahara.
(DIR) Tage des Zorns: Algeriens kleine Revolten
Im Nachbarland Tunesiens gärt es schon lange. Allein im vergangenen Jahr
kam es zu mehr als zehntausend Demonstrationen gegen die Regierung.