# taz.de -- Debatte EU-Schuldenkrise: Schuldenerlass jetzt
       
       > Es gibt keine Alternative. Betreiben wir weiter rückhaltlos die
       > Umverteilung nach oben, dann wird der Euroraum schon bald kollabieren
       
 (IMG) Bild: Einen Kapitalschnitt und ein Verbot der Ratingagenturen. fordert Heinz-Josef Bontrup.
       
       Wann endlich benennt die Politik die Krisenursache für die schlimmste
       Finanz- und Weltwirtschaftskrise seit 1929 und beseitigt sie? Diese ist
       ausschließlich im neoliberalen Paradigma zu finden, das sukzessive seit den
       1970er Jahren weltweit immer stärker sein Unwesen trieb und über mehrere
       kleine und mittelschwere Finanzkrisen mit dem Ausbruch der
       US-Subprime-Krise im August 2007 ihren Höhepunkt fand.
       
       ## Havarierte Realwirtschaft
       
       Die Neoliberalen, die die Welt angesteckt haben, predigen immer noch ihre
       unheilvolle Ideologie: Diese läuft letztlich auf eine Privatisierung und
       damit auf eine Zurückdrängung des Öffentlichen, des Staates, hinaus.
       Märkte, selbst die Finanzmärkte, wurden dereguliert und liberalisiert.
       Ungezügelter Wettbewerb soll herrschen, an dessen Ende noch mehr
       privatwirtschaftliche Macht steht. Die Lohnkosten in den Unternehmen wurden
       gesenkt und gleichzeitig die Gewinn- und Vermögensteuern minimiert. Also
       eine doppelte, eine Brutto- und Nettoumverteilung von den Arbeits- zu den
       Besitzeinkommen. Das gesamtwirtschaftlich verhängnisvolle Ergebnis für die
       Realwirtschaft wurde hingenommen: Kaufkraft- und Wachstumsverluste,
       Investitionsattentismus und Arbeitslosigkeit. Am Ende immer mehr Arme, aber
       auch mehr Reiche, die die zu ihren Gunsten umverteilten Einkommen an die
       Finanzmärkte spülen und dadurch regelmäßig spekulativ aufblähen.
       
       Die geldmächtigen und spekulierenden Gläubiger an den Finanzmärkten haben
       so mit ihren zweistelligen Renditeforderungen die Herrschaft - mit ihrem
       Shareholder-Value-Denken auch über die Realwirtschaft - übernommen, und
       eine ohnmächtige, demokratisch gewählte Politik lässt sich jeden Tag
       vorführen.
       
       Kurzfristig allerdings machte weltweit die Politik in Anbetracht einer
       drohenden "kapitalistischen Kernschmelze" alles richtig. Man besann sich
       2009 und entdeckte den keynesianischen Staat wieder. Deficit Spending war
       über Nacht en vogue. Selbst die zuvor radikalsten Neoliberalen pumpten auf
       Kredit Milliarden an Staatsausgaben in den realwirtschaftlichen Kreislauf,
       unterstützt von einer extrem expansiven Geldpolitik. Hierzu gab es keine
       Alternative. Mit diesem kurzfristigen Rettungsakt wurde aber gleichzeitig
       in fast allen Volkswirtschaften die größte Umbuchung in der Geschichte
       vollzogen. Diese Umbuchung ging - und das ist jetzt das Problem - zum
       Vorteil der Geldmächtigen auf das Konto Staatsverschuldung, die im Nachgang
       den Staaten vor die Füße fällt.
       
       ## Reiche haben kaum verloren
       
       Die Reichen haben in der Krise kaum an Vermögen eingebüßt. Sie haben,
       obwohl sie vor der Krise die Umverteilungsprofiteure waren, bis heute nicht
       für die Krise bezahlt und suchen mit ihrem überschüssigen Geld weiter nach
       profitablen Anlagen. Die Summe der weltweit zirkulierenden Finanzvermögen
       übersteigt weiter mit dem Faktor 3 die Summe der realen Weltproduktion. Nur
       die Deutschen konnten selbst 2009, bei einem Rückgang der realen Wirtschaft
       um 4,7 Prozent, weiter gut 176 Milliarden Euro sparen und damit ihr
       Finanzvermögen steigern. So geht das Zocken und Wetten an den Börsen
       weiter, als sei nichts geschehen.
       
       Das Perverse zudem an der Krise ist, dass die eh schon Vermögenden jetzt
       den notleidenden, hochverschuldeten Staaten ihre nicht in der Krise
       entwerteten Vermögen als Kredite anbieten und so weiter Kasse machen. Sie
       treiben die Renditen für Staatsanleihen sogar in astronomische Höhen.
       Gleichzeitig bürdet eine weiter neoliberal tickende Politik den
       Schuldenstaaten drastische Kürzungsprogramme auf, die die arbeitende und
       wertschaffende Bevölkerung sowie die heute schon Armen ins Mark treffen und
       die schwache Wirtschaft nicht gesunden lässt. Ein völlig kontraproduktives
       Unterfangen, das am Ende die Schulden der Staaten und die Krise aufgrund
       des Sparparadoxons noch größer und langfristiger macht.
       
       ## Ratingagenturen verbieten
       
       So wird das nichts. Alle bisher praktizierten und geplanten
       finanzpolitischen Maßnahmen springen zu kurz. Sicher war es richtig,
       kurzfristig über "Rettungsschirme" den Griechen, Iren und Portugiesen zu
       helfen. Borniert sind dagegen von Neoliberalen vorgetragene
       Euro-Ausstiegsszenarien von Krisenländern oder auch der Euro-Ausstieg von
       Deutschland. Die EU würde dies weder ökonomisch noch politisch überleben.
       Auch helfen Aufstockungen von "Rettungsschirmen" oder Umschuldungen sowie
       Eurobonds nicht wirklich weiter. Sie verschaffen sicher kurzfristig Luft
       und senken die Steuerlasten, am Ende steht aber ein langer Leidensweg ohne
       Aussicht auf ökonomischen Erfolg.
       
       Was jetzt in der bedrohlichen Krise, die auch die USA massiv erfasst hat,
       nottut, sind zwei weltweit abzustimmende politisch konzertierte Aktionen.
       Erstens muss demokratisch gewählte und legitimierte Politik, die der ganzen
       Gesellschaft verpflichtet ist, die Vermögenden zur Kasse bitten. Durch
       einen Kapitalschnitt, den alle Staaten gleichzeitig vollziehen, müssen die
       Gläubiger auf 30 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Machen es alle
       Staaten, so ist auch eine Kapitalflucht ausgeschlossen. Werden durch den
       Kapitalschnitt einzelne Banken und Versicherungen als Institution bedroht,
       ist eine Substanz- und Bestandsüberprüfung vorzunehmen.
       
       Parallel zum Kapitalschnitt sind die privaten Ratingagenturen sofort zu
       verbieten. Wer als Vermögender Geld anlegt, soll gefälligst selbst
       entscheiden und sich sachkundig machen, wo er es tut, und auch die Risiken
       seiner Anlage verantworten.
       
       Zweitens, und das ist genauso wichtig, muss weltweit mit dem nach wie vor
       bestehenden neoliberalen Regime der Privatisierung und der Umverteilung von
       unten nach oben in den einzelnen Ländern Schluss gemacht werden. Dabei
       müssen auch die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen zwischen den
       Staaten abgebaut werden, ansonsten hilft in Europa nur eine Transferunion.
       
       Geschieht dies alles nicht, wird sich auch die ökonomisch entscheidende
       Realwirtschaft nicht entwickeln können, und es drohen zukünftig noch
       schlimmere weltweite Krisen.
       
       18 Jul 2011
       
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