# taz.de -- Juristin Christine Graebsch über Abschiebe-Häftlinge: "Diese Leute haben nichts verbrochen"
       
       > Weil sich niemand sonst fand, der es machen wollte, begann Christine
       > Graebsch vor 17 Jahren, Abschiebehäftlinge in Bremen juristisch zu
       > beraten. Nun verlässt sie die Stadt und wird Jura-Professorin in
       > Dortmund.
       
       taz: Frau Graebsch, 17 Jahre lang haben Sie in Bremen Abschiebehäftlinge
       betreut und sich mit den Behörden gestritten. Nun sind Sie in Dortmund
       verbeamtete Professorin geworden und mussten dem Staat Treue schwören. Fiel
       Ihnen das schwer? 
       
       Christine Graebsch: Ich muss zwar meine Zulassung als Anwältin zurückgeben,
       darf aber bestimmte Mandate, etwa die zur Abschiebehaft, weitermachen. Das
       werde ich auch tun.
       
       Sie haben erst mit Freiwilligen, später mit Studierenden eine bundesweit
       einmalige Form von Rechtsberatung in der Abschiebehaft aufgebaut. 
       
       Als Studentin habe ich mich einem Verein angeschlossen, der Strafgefangene
       im Gefängnis berät. Nach dem Asylkompromiss von 1993 stieg die Zahl der
       Abschiebehäftlinge stark an. Das Abschiebegefängnis war damals mitten in
       der Stadt. Auf Initiative des Stadtteilbeirates haben wir uns das 1994
       angesehen.
       
       Ich war erschüttert. Als jemand, der Knäste von innen schon kannte, hätte
       ich nicht für möglich gehalten, dass es so was in Deutschland gab. Wir
       wollten dann auch die Gefangenen dort juristisch beraten. Weil ich keine
       Ahnung von Ausländerrecht hatte, habe ich mich bereit erklärt, wenigstens
       jemanden dafür zu suchen.
       
       Vergeblich. 
       
       Ja. Es fand sich niemand. Also habe ich es selbst gemacht.
       
       Was hatte Sie so erschüttert? 
       
       Die Leute waren teils über ein Jahr dort eingesperrt, vier bis sechs
       Gefangene in einer Zelle. Teils waren die Toiletten nicht abgetrennt, statt
       Fenstern gab es nur einen einzelnen drehbaren Glasbaustein zum Lüften. Es
       gab keine Sozialarbeiter, keine Rechtsberatung, keine Versorgung. Wer
       selbst keine Zahnbürste oder Rasierzeug mitbrachte, hatte eben keins. Auch
       das Taschengeld wurde nicht ausgezahlt.
       
       Gefangene bekommen Taschengeld? 
       
       Gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz haben auch Abschiebehäftlinge einen
       Anspruch auf etwa 28 Euro Bargeld im Monat. Das Bremer Sozialamt zahlte das
       damals nicht aus, weil die Gefangenen dort keinen Antrag stellten. Das
       konnten sie aber natürlich im Gewahrsam gar nicht. Das Amt sagte nur, es
       sei nicht verpflichtet, den Leuten Geld hinterher zu tragen.
       
       Was haben Sie unternommen? 
       
       Wir sind mehrfach zum Ausländerausschuss der Bürgerschaft gegangen. Die
       fanden es erst auch alles ganz schlimm. Es gab jahrelang einen Runden
       Tisch, aber rausgekommen ist dabei absolut nichts. Ganz am Ende hat der
       Innen-Staatsrat vorgeschlagen, dass er ein paar private Spenden für einen
       Basketballkorb auftut.
       
       So wichtig hat die Politik das genommen. Jahrelang dieser "Dialog", in dem
       es darum geht, dass der Staat verpflichtet ist, Leute ordentlich zu
       behandeln, wenn er sie schon einsperrt - und dann das. Es wurde dann nicht
       einmal dieser Basketballkorb aufgestellt.
       
       Wie hat die Polizei reagiert? 
       
       Das waren alles Beamte, die dort nicht sein wollten. Sie waren auch nicht
       für den Vollzug ausgebildet und wussten gar nicht, wie sie mit den
       Gefangenen umgehen sollten. Es gab da einen unglaublichen Rassismus, der
       auch uns entgegenschlug. Einmal lag auf unserem Tisch ein Zettel: "Die
       Asylgruppe Ostertor schützt Mörder und Drogenhändler."
       
       Dabei gab es für diese Behauptung überhaupt keine Grundlage. Sie kam nur
       auf, weil die Gefangenen schwarz waren. Allerdings ist es auch das
       Verdienst der Polizei selbst, dass sich die Verhältnisse seit einigen
       Jahren deutlich verbessert haben.
       
       Wie das? 
       
       2003 wurde bekannt, dass mindestens ein Polizeibeamter mehrere Frauen im
       Abschiebegewahrsam sexuell missbraucht und dabei Fotos gemacht hat.
       Daraufhin wurde ein neuer Leiter eingesetzt. Der sagte zu uns: "Ich will
       die Abschiebehaft aus den Schlagzeilen raushaben." Das hat er ernst
       gemeint, es war die Wende.
       
       Ein Teil der Forderungen, die seit zehn Jahren auf dem Tisch lagen, wurden
       umgesetzt, etwa die nach einem Sozialarbeiter. Seitdem wurden auch wir dort
       vorübergehend freundlicher empfangen.
       
       Warum vorübergehend? 
       
       Ich habe 2007 die Zulassung als Anwältin bekommen. Damals waren fünf oder
       sechs Nordafrikaner von der Wasserschutzpolizei in Bremerhaven in einem
       Schiffscontainer entdeckt worden. Sie konnten ihn nicht von innen öffnen
       und wären fast gestorben. Sie wollten eigentlich gar nicht nach
       Deutschland, einer von ihnen war psychisch krank und hatte überall Spuren
       von Selbstverstümmelung.
       
       Als ich sie anwaltlich vertreten wollte, versuchte mir die Polizei das zu
       untersagen: Es sei unvereinbar mit meiner Beratungstätigkeit, für die ich
       ja "exklusiven Zugang" zum Gewahrsam bekäme.
       
       Die Polizei fürchtete Wettbewerbsverzerrung? 
       
       Ich habe mich kaputt gelacht. Seit Jahren habe ich nach anderen Anwälten
       gesucht, die Tür war offen, jede Hilfe wäre höchst willkommen gewesen. Aber
       kein normaler Mensch macht so was. Die Polizei hat ihren - sicher nur
       vorgeschobenen - Einwand erst fallengelassen, als die Anwaltskammer erklärt
       hat, dass sie kein Problem sieht.
       
       "Kein normaler Mensch macht so was'" - Sie schon. 
       
       Ich wollte es ja, wie gesagt, gar nicht machen. Aber es hat sich niemand
       sonst gefunden. Wenn man so was sieht, kann man sich auch umdrehen und
       weggehen.
       
       Aber dann ändert sich an der Situation nichts. Finanziell konnte ich mir
       das anfangs nur leisten, weil ich gleichzeitig an der Uni gearbeitet habe.
       Ich habe mir da nie viele Gedanken drüber gemacht, aber ich musste woanders
       Geld verdienen, um die Kanzlei betreiben zu können.
       
       Sie haben sich sogar ein Strafverfahren eingehandelt. 
       
       "Rechtsmissbräuchliche Verleitung zur Asylantragstellung": Drei Tansanier
       hatten in ihrer ersten Befragung nicht um Asyl gebeten. Nachdem ich mit
       ihnen gesprochen hatte, haben sie es getan. Das Problem war einfach, dass
       sie nur sehr schlecht Englisch sprachen. Bei der ersten Befragung war nur
       ein Englischdolmetscher da. Erst bei der zweiten wurde in Suaheli
       übersetzt. Deshalb haben sie den Antrag erst dann stellen können.
       
       Was ist aus Ihrem Verfahren geworden? 
       
       Es wurde eingestellt. Allerdings nur wegen "geringer Schuld": Der
       Staatsanwaltschaft war es zu kompliziert, den Sachverhalt genau
       aufzuklären.
       
       Wie hat Ihre Arbeit den Inhaftierten konkret genützt? 
       
       Wir haben, grob geschätzt, etwa ein Drittel der Leute aus der Haft
       gekriegt. Wie viele das insgesamt waren, weiß ich nicht.
       
       Die Asylgruppe, mit der Sie die Beratung gestartet haben, ist nach einigen
       Jahren zerfallen. Weshalb? 
       
       Einer der Ehrenamtlichen hat in einem Zeitungsinterview eingeräumt, in der
       Hitlerjugend aktiv gewesen zu sein. Er hatte uns das nie gesagt - auch
       nicht, als wir den "Erich-Mühsam-Preis" erhalten und uns im Rahmen unserer
       Arbeit mit der NS-Zeit beschäftigt haben.
       
       Der Bremer Abschiebegewahrsam war in einem Gebäude untergebracht, das schon
       die Gestapo als Gefängnis genutzt hatte. Wir fühlten uns hintergangen.
       Hätte er es früher gesagt und sich damit auseinandergesetzt, wäre es
       vielleicht okay gewesen. So war das Vertrauen gestört.
       
       Sie verlassen die Stadt. Gibt es jemanden, der weitermacht? 
       
       Es gibt zwei Studierende, die voll eingestiegen sind und das wirklich sehr
       gut machen. Außerdem wollen Kollegen aus dem Jura-Fachbereich vielleicht
       das Projekt als Ganzes fortführen.
       
       Die Grünen haben nun in den Koalitionsvertrag geschrieben, Abschiebehaft
       solle weitgehend abgeschafft werden. 
       
       Ich habe nach der rot-grünen Regierungsübernahme 2007 überhaupt keinen
       Unterschied festgestellt. Die Grünen haben immer gesagt: "Wir können nichts
       machen - die SPD will nicht."
       
       Sie halten nichts von Parteien? 
       
       Ich war nie Mitglied in einer. Mich hat die Arbeit im Gefängnis
       politisiert. Ich war 24, als ich angefangen habe, im Gefängnis mit den
       Gefangenen zu reden. Vorher wollte ich Richterin werden, ich dachte, mit
       dem Rechtsstaat ist alles in Ordnung, das wird auch im Knast so sein. Dann
       habe ich gesehen, dass das nicht so war.
       
       War Ihre Arbeit erfolgreich? 
       
       Eigentlich will ich, dass die Abschiebehaft abgeschafft wird. Es gibt
       keinen Grund, diese Leute einzusperren. Sie haben nicht einmal ein
       Verbrechen begangen. Das wird immer wieder vergessen.
       
       24 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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