# taz.de -- Wehrmachtslegende in Serbien: "Sie wollen die Geschichte glauben"
       
       > In Serbien wird ein Wehrmachtssoldat als Held gefeiert, der im Zweiten
       > Weltkrieg einen Schießbefehl verweigert haben soll. Die Geschichte stimmt
       > nicht, wie Buchautor Martens herausfand.
       
 (IMG) Bild: Foto mit Wehrmachtsoldat Schulz (m): Alles nur ein Mythos.
       
       taz: Herr Martens, in Serbien gilt der Wehrmachtsgefreite Josef Schulz als
       Held. Warum ist der Soldat, der nicht töten wollte, in Deutschland quasi
       unbekannt? 
       
       Michael Martens: Der Balkan ist in der Erinnerung der Deutschen an den
       Zweiten Weltkrieg ein Nebenkriegsschauplatz. Sie interessieren sich für
       Frankreich und Italien, weil sie dorthin in Urlaub fahren. Und für
       Russland, weil ihre Großväter dort waren. Das Massaker im französischen
       Oradour-sur-Glane ist vielen bekannt - aber mit Kragujevac in Serbien kann
       kaum jemand etwas anfangen, obwohl dort 2.800 Zivilisten ermordet wurden.
       In Serbien und in ganz Exjugoslawien war der Krieg dagegen der große Kampf
       gegen das mächtige Deutschland, der gewonnen wurde. Daher ist die
       Erinnerung so ungleich verteilt.
       
       Wann haben Sie das erste Mal von Schulz gehört? 
       
       Nach einem Lokaltermin in Kragujevac wurde ich gefragt, ob ich das Denkmal
       für Schulz sehen wolle. Ich fragte: Ein Denkmal für einen deutschen
       Soldaten? Hier? Ich glaubte, einer historischen Sensation auf die Spur
       gekommen zu sein. Dass die Galerie des Widerstandes gegen Hitler erweitert
       werden müsse.
       
       Wie ist der Mythos vom Soldaten, der nicht töten wollte, entstanden? 
       
       Als mir klar wurde, dass die Geschichte sich nicht so ereignet haben
       konnte, wie sie mir geschildert worden ist, dachte ich, sie sei erfunden
       worden, um zur Verbesserung der deutsch-jugoslawischen Beziehungen
       beizutragen. Aber dieser verschwörungstheoretische Ansatz war falsch. Es
       gab eben keinen Regisseur, da haben viele verschiedenen Faktoren
       zusammengewirkt.
       
       Sind diese Unstimmigkeiten, auf die Sie beim Recherchieren gestoßen sind,
       denn vorher niemandem aufgefallen? 
       
       Doch, das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg etwa hat den
       Mythos Schulz schon in den siebziger Jahren widerlegt. Dort erfuhr ich,
       dass die Todesmeldung des Gefreiten schon in der Nacht vor dem Tag
       eingegangen war, an dem er angeblich erschossen wurde. Aber das hat der
       Lebensfähigkeit des Mythos nichts anhaben können.
       
       Und wer hat warum an der Legende mitgewirkt? 
       
       Das Wichtigste ist, dass viele Menschen an die Geschichte glauben wollten.
       Sie ist ja auch - in all ihrer Schrecklichkeit - ermutigender als die
       Wahrheit. Das war praktisch für die Politik. Nach 1945 gab es - von
       deutscher wie jugoslawischer Seite - einen starken Willen, sich wieder
       anzunähern. Wenn es Schulz nicht gegeben hätte, man hätte ihn erfinden
       müssen. Und das ist ja auch passiert. Konkret waren jugoslawische und
       deutsche Journalisten, Diplomaten, ein Bundestagsabgeordneter und ein
       Kanzleramtschef daran beteiligt - und Bewohner der Gegend, in der sich der
       Fall vermeintlich ereignet hat und die als Zeugen für etwas auftraten, das
       sich nie ereignet hat. Und das aus ganz unterschiedlichen Gründen.
       
       Und die wären? 
       
       Bei den Journalisten geht es vor allem um ein sehr liberales Verhältnis zu
       den Tatsachen. Und schlechte Recherche. In Deutschland etwa wurde der Fall
       1961 in der damals populären Neuen Illustrierten publiziert. Die Fotos
       zeigen eine Erschießung, auf denen ein Wehrmachtssoldat etwas näher bei den
       zu Exekutierenden steht als seine Kameraden. Daraus wurde gefolgert, es
       handele sich um Schulz, der auf die Todeskandidaten zugeht, um mit ihnen zu
       sterben. Der Autor des Textes hat die Szene so beschrieben, als sei er
       selbst dabei gewesen.
       
       Und was passierte dann? 
       
       Dieser Artikel fiel dem damaligen Leiter der Zentralen Stelle zur
       Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg in die Hände. Der konnte sich
       wohl nicht vorstellen, dass Journalisten so arbeiten - und löste eine der
       größten Fahndungsaktionen in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Dabei
       ging es nicht um Schulz, sondern um den Befehlshaber des
       Erschießungskommandos. Der hätte nach Wehrmachts-Strafrecht niemals einen
       Befehlsverweigerer zum Tode verurteilen dürfen. Wäre das doch geschehen,
       dann hätte das die Existenz des sogenannten Befehlsnotstands bewiesen -
       also dass Befehlsverweigerung mit der Todesstrafe geahndet wurde. Darauf
       beriefen sich viele als Kriegsverbrecher angeklagte ehemalige Soldaten.
       
       Dass sich Deutsche nach 1945 nach "guten Deutschen" sehnten, ist
       verständlich. Aber warum gab es diese Sehnsucht auch bei den Siegermächten,
       zu denen auch Jugoslawien gehörte? 
       
       Schreckliche Ereignissen sind besser zu verarbeiten, wenn es Ausnahmen
       gibt. Und Millionen Holocaust-Tote sind sind schwerer fassbar als Primo
       Levi oder Anne Frank. In Serbien war der Mythos Schulz ein Teil der
       Verarbeitung der deutschen Besatzungszeit.
       
       Beim Schreiben von "Heldensuche" sind Sie auf eine aktuelle
       Legenden-Macherin gestoßen: Daniela Matijevic, eine Exsoldatin der
       Bundeswehr, die ein Buch über ihre Zeit im Kosovo geschrieben hat, in dem
       nichts stimmt. Trotzdem geistert sie durch die Medien. Sind Mythen
       mächtiger als die Wahrheit? 
       
       In vielen Redaktionen verhindert Zeitdruck seriöses Recherchieren. Im
       Talkshow-Bereich, wo Frau Matijevic vor allem auftaucht, ist das besonders
       schlimm. Es werden Leute ungeprüft ins Programm genommen, wenn ihre
       Geschichte ins Konzept passt - und das heißt Unterhaltung. Und Matijevic
       hat Unterhaltungswert, nicht obwohl, sondern gerade weil sie sehr ernste
       Dinge behauptet. Wer weiß, wie viele solcher Geschichten durch die Medien
       geistern? Ich habe die vom Helden Schulz ja auch lange für wahr gehalten -
       bis ich so tief eingestiegen war, dass mir klar wurde, dass ich es mit
       einem Mythos zu tun habe. Insofern hoffe ich, dass Leute, die mein Buch
       gelesen haben, in Zukunft alle Geschichten mit einer gewissen Skepsis
       behandeln.
       
       Wie lange haben Sie - neben Ihrer Arbeit als Korrespondent - an
       "Heldensuche" gearbeitet? 
       
       An dem Fall herumgepuzzelt habe ich viereinhalb Jahre. Aber so kann man das
       nicht rechnen. Am Anfang dachte ich ja, das sei eine tolle Reportage. Erst
       als ich begriff, dass das eine paradigmatische Geschichte ist, weil sie uns
       erzählt, wie Legenden entstehen, habe ich mit der intensiven Arbeit
       begonnen. Diese Phase dauerte zwei Jahre.
       
       27 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rüdiger Rossig
       
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