# taz.de -- 75 Jahre Berliner Olympiageschichte: Hitlers Stadion
       
       > Vor 75 Jahren wurden die Olympischen Spiele eröffnet. Die Arena war
       > zentrale Kulisse für Hitlers Propagandaschau. Bis heute hat sie
       > zahlreiche Häutungen vollzogen.
       
 (IMG) Bild: Zum zweifelhaften Jubiläum gibt es Dauerregen: Das Olympiastadion in Berlin
       
       Zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele am 1. August 1936 inszenierte
       sich Adolf Hitler auf verräterische Weise: Bevor er mit knarzender Stimme
       um 17 Uhr auf der Ehrentribüne des Stadions "die XI. Olympischen Spiele als
       eröffnet" erklärte, hatte er in der Langemarckhalle unter dem nahen
       Glockenturm meditiert. Aus dem von den Nazis zur Verklärung des Todes
       tausender Kriegsfreiwilliger von 1914 gebauten Kriegerdenkmal trat er dann
       hinaus auf das Maifeld, überquerte mit SS und Militärs im Schlepptau das
       riesige Areal und schritt, soldatisch assistiert von IOC-Cheforganisator
       Carl Diem, die Marathontreppe hinunter in das mit über 100.000 Menschen
       gefüllte Oval.
       
       Es war keine sportliche Botschaft, die von Hitler bei der Eröffnung der
       Olympischen Spiele an diesem Tag ausging. Es war eine martialisch
       stilisierte Kampfansage aus einem quasimilitärischen Aufmarschgelände
       heraus. Es war der Beginn der "Spiele in gebauter NS-Ideologie", wie der
       Kunsthistoriker Dieter Bartetzko einmal schrieb.
       
       Heute, 75 Jahre später, gibt der Blick von der Langemarcktribüne aus noch
       immer die klarste Sicht hinüber zum größten erhaltenen
       nationalsozialistischen Bau- und Flächendenkmal Deutschlands: Das weite
       Maifeld, das kriegerische Skulpturenprogramm aus "Rosseführer" und
       "Kämpfer" der Nazi-Bildhauer Josef Wackerle und Arno Breker und nicht
       zuletzt die monumentalen Pfeilerreihen an der Außenhaut des Stadions bilden
       die deutlichen Chiffren von dessen Geschichte.
       
       Die Spiele von 1936 waren die Spiele Adolf Hitlers und eine Demonstration
       der Macht des nationalsozialistischen Staats und seiner rassistischen
       Ideologie. Das Naziregime hatte ab Herbst 1933 die Organisation,
       Finanzierung und "PR" der Olympiade zur Chefsache erklärt. Sportlicher
       Drill und Gigantismus waren oberste Maxime im Reich, wie Wolfgang Schäche
       und Norbert Szymanski in ihrem Buch zur Geschichte des Stadions darlegen.
       
       Sahen erste Entwürfe noch vor, das bestehende "Deutsche Stadion" von 1916
       zur Wettkampfstätte umzubauen, griff Hitler ab 1934 aktiv in die Planung
       ein. Architekt Werner March wurde beauftragt, eine Stadion- und
       Schwimmanlage auf der Ost-West-Achse des "Reichssportfeldes" zu bauen, die
       sich an der geometrischen Ikonografie antiker Sportstätten orientierte. Das
       Oval erhielt keine Überdachung, um die mythische Verbindung zwischen
       Architektur und Himmel zu symbolisieren.
       
       Die moderne Stahlbetonkonstruktion ließ Hitler unter groben
       Natursteinplatten verschwinden. Die funktionale Architektur musste March
       mit wuchtiger Ornamentik und Bauschmuck überformen. Bis heute hängen in den
       Wandelgängen der Arena die berühmten Lichtschalen wie Fackeln für einen
       Totenkult.
       
       Weil der Unterrang des Stadions in die Erde versenkt wurde, verlor der Bau
       zwar an äußerlicher übermächtiger Wirkung, der kluge Schachzug Marchs aber
       hob sich wieder auf, wenn die Besucher jene tiefe Sogwirkung im Innern der
       Arena zu spüren bekamen.
       
       Der exzessive Körperkult, die Propaganda von NS- und vielen
       IOC-Funktionären wie Diem und die mediale Inszenierung durch die
       Filmemacherin Leni Riefenstahl machten aus den Spielen eine "Huldigung
       Deutschlands", wie Joseph Goebbels notierte. André François-Poncet,
       Germanist und damals französischer Botschafter in Berlin, sah das bereits
       deutlicher: Das ideologische Spektakel der Spiele war für ihn "ein Vorbote
       des Krieges".
       
       Im Prozess der Geschichte steht das steinerne Symbol des "1.000-jährigen
       Reichs" heute keineswegs singulär, sondern auch als ein Zwischenspiel da:
       Die seit 1906 das Gelände prägenden Wandlungen - erst Pferdebahn, dann
       Deutsches Stadion, schließlich Reichssportfeld und Olympiastadion - setzten
       sich in vielfachen Häutungen der Nutzung und des Stadioninneren nach 1936
       fort. Noch während des Zweiten Weltkriegs als Kasernengelände und
       Munitionslager genutzt, sorgten nach 1945 massive bauliche Eingriffe für
       Überformungen des gesamten Reichssportfeldes und des Stadions.
       
       1947 wurden der Glockenturm und Teile der Langemarckhalle gesprengt (1962
       rekonstruiert). 1957 waren die "Führerloge" gekürzt und die Sitzreihen
       reduziert worden. Im November 1966 wurde gar eine neue Flutlichtanlage
       installiert, deren 88 Meter hohe Masten dem Ort ein anderes Gesicht gaben.
       Hinzu kam, dass in der Westberliner "Multifunktionsarena" immer häufiger
       nichtsportliche Veranstaltungen und Musikevents stattfanden.
       
       Den wohl härtesten baulichen Eingriff ließ der Denkmalschutz 1972 zu:
       Anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 erhielt das Stadion nach dem
       Entwurf der Architekten Dübbers und Krahe eine Teilüberdachung der Nord-
       und Südtribünen. Zwar hebt sich das Dach im Stil der Nachkriegsarchitektur
       ganz schlicht über den Oberring hinaus, es beendete aber einen wichtigen
       Wesenszug der NS-Architektur. Die offene (Opfer-)Schale wurde begrenzt.
       
       1998 ging der Senat noch einen Schritt weiter: Nach heftigen Debatten über
       die Zukunft der Arena entschied sich das Land Berlin, das Olympiastadion
       für die WM 2006 "denkmalgerecht" nach einem Entwurf der Architekten von
       Gerkan, Marg und Partner (gmp) zu renovieren. Gmp respektierten die
       historische Hülle, verwandelten jedoch den Innenraum des Olympiastadions zu
       einer supermodernen, blaugetönten Arena. Kaum etwas erinnert mehr an das
       Bauwerk von 1936. Über dem Rund schwebt das lichte Dach, das nicht zum Ring
       geschlossen wurde, um die Öffnung am Marathontor nicht zu verbauen.
       
       Mehr noch. Die Sichtbeziehung zum Maifeld und zum Glockenturm erinnert an
       die historischen Anfänge: Hitlers Weg zur Eröffnung der NS-Spiele am 1.
       August 1936.
       
       1 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rolf Lautenschläger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA