# taz.de -- Netzwerk gegen Belästigungen: Finger weg, sonst Hollaback
       
       > Frauen fühlen sich oft machtlos, wenn sie belästigt werden. Das, was
       > ihnen danach einfällt, können sie jetzt auf ihollaback.org loswerden.
       
 (IMG) Bild: Zurückpöbeln – zumindest virtuell – können Frauen jetzt im Netz.
       
       Und plötzlich stand er einfach mit dem Rücken an der Wand und meine Hand
       hatte sich um seine Kehle gelegt.
       
       Ich weiß selbst nicht, wie das passiert ist. Ich war mit einer Freundin auf
       einem Stadtfest, sie war sehr betrunken und diskutierte mit irgendwelchen
       Jungs. Die Jungs lachten meine Freundin aus. Ich sagte: "Komm, wir gehen",
       dann fasste mir einer von ihnen an den Po. Ich muss mich umgedreht und ihm
       an die Kehle gefasst haben. Doch dieses Stück Handlung fehlt in meiner
       Erinnerung, es war ein Reflex.
       
       Als er an der Wand vor mir stand, sagte ich noch: "Mach das nicht noch mal,
       oder du und ich haben ein Problem." Dann bin ich mit meiner Freundin
       weitergelaufen. Mit Herzklopfen.
       
       Wir Frauen machen uns oft klein, ohne es zu merken. Wir verstecken das
       Dekolletee abends in der U-Bahn, gehen lieber einen Umweg als durch den
       Park. Die Angst läuft mit. Manchmal werden wir bedrängt, vor den Augen
       anderer. Wie Jamila, die mit einer Freundin in einem Berliner Club tanzte.
       Zwei Jungs beobachteten sie, musterten sie, sprachen sie an: "Ihr seid doch
       bestimmt aus Afrika, weil ihr so geil tanzen könnt." Jamila kommt nicht aus
       Afrika. Überhaupt wollte sie mit den Jungs nichts zu tun haben und gab das
       auch zu verstehen. Doch sie ließen nicht locker. "Dann seid ihr Latinas …"
       Nein, auch falsch. Die Jungs starrten weiter. "Ich war so wütend, ich
       wollte meine Wut ablassen", erzählt die 26-Jährige. Nur wie? Wie wehrt man
       sich gegen Blicke? Wie schafft man es, in Ruhe gelassen zu werden, ohne
       dass eine Situation eskaliert?
       
       ## Zurückgebrüllt
       
       Jamila ist ihre Wut losgeworden, im Internet. Dort hat sich ein Netzwerk
       gegründet, das sich gegen Belästigungen aller Art wehren will. Es heißt
       "Hollaback", was sich als "Brüll zurück" übersetzen lässt. Auf der Webseite
       [1][ihollaback.org] hat Jamila ihre Geschichte erzählt, und sie ist nicht
       alleine. Jeden Tag gibt es neue Einträge über nächtliche Pöbeleien und
       Verfolgungen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht von einer
       hohen Dunkelziffer bei sexueller Belästigung aus. Meistens ist es die
       mangelnde Beweislage, die Frauen einfach verstummen lässt. Hollaback
       verleiht ihnen eine Stimme.
       
       Gegründet wurde das Blog, weil die Polizei nichts tat, damals, 2005. Thao
       Nguyen war mit der Bahn unterwegs, ein Mann, der ihr gegenüber saß,
       masturbierte. Thao fotografierte ihn und brachte das Foto zur Polizei.
       Nichts geschah. Sie lud das Foto auf Flickr hoch und es entwickelte ein
       Eigenleben: Man sprach darüber, über Exhibitionisten, Sprüche oder
       Berührungen, die kein Zufall waren. Auch Emily May sprach darüber und
       gründete mit Freunden in New York ein Blog. Daraus entstand Hollaback, Thao
       ist Vorstandsmitglied.
       
       Mittlerweile ist Hollaback eine Webseite mit 24 Blogs in elf Ländern, 30
       neue sollen noch im August starten. Viele der Frauen sind jung, sie
       erzählen unterschiedliche Geschichten, die im gleichen Gefühl enden: Scham
       oder Ekel. In Deutschland gibt es Blogs für Berlin und Dortmund, doch hier
       findet man auch Geschichten aus München.
       
       In Amerika hat man längst weitergedacht: Dort hat Hollaback eine App für
       das iPhone. Damit kann man die Belästigung in mehrere Kategorien einordnen
       -verbal, Stalking oder tätlicher Angriff -, man kann den Vorfall schildern
       und direkt per Mail an Hollaback senden.
       
       ## Neue Rufmord-App?
       
       Der Clou ist, dass man auch ein Foto des Belästigers anhängen kann, nach
       dem Motto "Ich hab dich". Auf der Webseite kann durch Fotos von
       Menschengruppen, Cafészenerien und U-Bahn-Waggons geklickt werden. Manchmal
       weiß man nicht, wer der Täter war, weil zu viele Menschen zu sehen sind
       oder das Bild verwackelt ist. Emily findet das Foto trotzdem wichtig. "Oft
       ist das Handy die einzige Waffe der Frauen im öffentlichen Raum, um die
       Männer zur Verantwortung zu ziehen." Ein Foto gibt Sicherheit. Gern hätte
       ich diese Sicherheit gehabt, ein Foto von dem Typen hochgeladen, der mir
       damals an den Po gefasst hat. Ich hätte mich irgendwie erleichtert gefühlt.
       
       Das Ganze ist in Deutschland nicht möglich. Fotos von Menschen ohne deren
       Einverständnis zu machen, verstößt gegen den Schutz der Privatsphäre.
       Dietmar Müller vom Büro des Bundesbeauftragten für Datenschutz und
       Informationsfreiheit, findet die Webseite Hollaback problematisch: "Sich
       über das Verhalten anderer im Internet zu beschweren, birgt große Risiken,
       denn ein Foto kann leicht missbraucht werden und zu einer Art Selbstjustiz
       führen. Unter Umständen setzt man sich auch zivilrechtlichen und
       strafrechtlichen Ansprüchen aus."
       
       Welches Recht wiegt hier mehr: das am eigenen Bild oder das am eigenen
       Körper? Natürlich kann ein solches Blog missbraucht werden, die
       Handyfunktion zur Rufmord-App mutieren. "Fotos können manipuliert werden
       und sind keine tatkräftigen Beweise", meint auch Müller. Es sei Aufgabe der
       Ermittlungsbehörden, strafbaren Handlungen nachzugehen. Anstatt ein Bild
       online zu stellen, solle man bei der Polizei Anzeige erstatten - sofern man
       weiß, wer auf dem Bild zu sehen sei. Bloß: Was erzählt man der Polizei? "Er
       hat gegafft"?
       
       Anzeige kann nur erstattet werden, wenn eine strafbare Handlung vorliegt.
       Beleidigung, sexuelle Nötigung oder Nachstellung. Damit es dazu gar nicht
       erst kommt, haben Julia Brilling und Claudia Johann, Aktivistinnen mit
       einem Abschluss in Gender Studies, Hollaback Berlin gestartet. Julia
       findet: "Unsere Körper sind keine Ware, wir wollen nicht konsumiert
       werden."
       
       Es geht um die Angst, die einem die Kehle zuschnürt. Gewalt ist nicht nur,
       was man sieht, Gewalt ist, was man spürt. Die Blicke auf der Brust, den
       Angstschweiß im Nacken. Das Herzklopfen, wenn man sich wehrt.
       
       5 Aug 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://ihollaback.org
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Volk
       
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