# taz.de -- Der "Gärtnerhof" in Bienenbüttel nach Ehec: "Ich hatte Angst"
       
       > Im Nachhinein stellte sich heraus: Keine Probe vom "Gärtnerhof" in
       > Bienenbüttel war mit Ehec kontaminiert. Doch für die Leute auf dem Hof
       > ist nichts mehr, wie es war.
       
 (IMG) Bild: Als alle über Ehec sprachen, musste der Hof geschützt werden – jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt.
       
       BIENENBÜTTEL taz | Es war eine Belagerung, die am Abend des 5. Juni in der
       niedersächsischen Gemeinde Bienenbüttel begann: Dutzende Journalisten
       harrten dort tagelang vor dem Bio-Bauernhof aus, der Sprossen mit tödlichen
       Ehec-Bakterien verkauft haben soll.
       
       Reporter überflogen den "Gärtnerhof" mit dem Hubschrauber, andere
       versuchten, über den Zaun zu klettern. "Ich hatte Angst", sagt
       Geschäftsführerin Uta Kaltenbach heute.
       
       Den Run auf den mittelständischen Betrieb mit 600.000 Euro Jahresumsatz
       hatte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann ausgelöst. Am Nachmittag
       erklärte der CDU-Politiker, dass der Hof alle damals bekannten größeren
       Ausbruchsorte des Erregers beliefert habe. Zudem sei eine Mitarbeiterin
       infiziert gewesen. Die Ursache für ihre Ansteckung war aber unklar, und ein
       Labornachweis des Erregers auf Produkten des Gärtnerhofs fehlte. Dennoch
       betonte der Minister, dass es sich um eine "sehr deutliche Spur für die
       Infektionsquelle" handele. Lindemann bezeichnete den Hof sogar als die
       "Spinne im Netz". Da er den Sitz des Erzeugers – Bienenbüttel – nannte und
       es dort nur einen Sprossenhersteller gibt, konnte jeder Google-Nutzer
       schnell den Gärtnerhof als den verdächtigten Betrieb ermitteln – auch die
       Journalisten.
       
       ## Morddrohungen, Angst, Sorgen
       
       Die Folgen waren für das von Pionieren der Biobranche geführte, 33 Jahre
       alte Unternehmen verheerend. "Super Bio-EHEC-Erreger", kommentierte am 10.
       Juni jemand den Eintrag des Betriebs im Google-Firmenverzeichnis. Die
       Gärtnerhof-Mitarbeiter erhielten Morddrohungen. Der öffentliche Druck
       belastete die alternative Hofgemeinschaft zusätzlich. Dabei plagte sie
       sowieso schon der Gedanke, dass ihre Produkte für den Tod von 50 Menschen
       verantwortlich sein könnten.
       
       "Wir haben Bio gemacht, weil wir gesunde Lebensmittel produzieren wollten.
       Und jetzt sollen Menschen wegen unserer Sprossen gestorben sein. Wir sind
       einfach erschüttert", sagen Kaltenbach und ihr Partner Klaus Verbeck in
       ihrem ersten ausführlichen Interview zu den Vorwürfen gegen sie. "Ehec
       kommt vor allem in der Tierhaltung vor. Wir benutzen keine tierischen
       Dünger. Und dann trifft es uns. Das ist schon eine bittere Ironie." Jetzt
       ließen sie sich von einer Psychologin therapieren.
       
       ## 9 von 15 Mitarbeitern wurden entlassen
       
       Auch wirtschaftlich hat der Verdacht den Hof hart getroffen. Sechs Wochen
       durfte der Betrieb nichts liefern, weil die Behörden ihn gesperrt hatten.
       Jetzt verkauft er wieder Tomaten und anderes Gemüse – aber nur in minimalen
       Mengen, denn die Hofleute hatten in den Ehec-Wochen kaum Zeit, die Pflanzen
       zu pflegen. Außerdem ist ihr Ruf beschädigt. "Wir machen nur noch fünf
       Prozent unseres normalen Umsatzes", berichtet Verbeck. Die
       Sprossenproduktion – ihre Haupteinkunftsquelle – hätten sie bis auf
       weiteres stillgelegt. Neun der 15 Mitarbeiter wurden Verbeck zufolge
       entlassen. Zahlungsunfähig sei der Hof vor allem deshalb nicht, weil er
       keine Schulden habe.
       
       "Uns ist bis heute nicht klar, wie der Minister Lindemann am 5. Juni unter
       Namensnennung unseres Betriebs diesen Verdacht aussprechen konnte, als ob
       er schon festgestanden hätte", sagt Kaltenbach. "Wir wurden vorverurteilt,
       obwohl es bis heute keinen Beweis gibt, dass unser Hof eine Quelle der
       Ehec-Epidemie war."
       
       Ministeriumssprecher Gert Hahne betont: "Wir mussten schnell handeln, um zu
       verhindern, dass Verbraucher noch Sprossen des Betriebs essen." Aber dafür
       hätte Experten zufolge die Warnung vor Sprossen allgemein gereicht, die
       Lindemann ebenfalls am 5. Juni aussprach.
       
       ## Keine Probe war Ehec-positiv
       
       Tatsächlich ist bisher keine Probe aus dem Betrieb bekannt, die im Labor
       positiv auf den aggressiven Ehec-Typ O104:H4 getestet wurde. Obwohl die
       Behörden Hunderte Proben aus dem Gärtnerhof analysiert haben. Von den
       Sprossen über die Samen bis zu den beiden Hunden des Hofes wurde alles
       untersucht, was den Keim tragen konnte. Nur Nordrhein-Westfalen fand auf
       einer Sprossenpackung aus Bienenbüttel den Erreger. Aber die Packung wurde
       im Küchenabfall einer erkrankten Person sichergestellt. Deshalb kann es
       sein, dass die Infizierte den Erreger auf die Sprossen übertrug und nicht
       umgekehrt. Mangels harter Laborergebnisse stützen sich die Behörden vor
       allem auf eine Analyse der Speisepläne von Reisegruppen, die in einem
       Lübecker Restaurant gegessen hatten. Ergebnis: Gesund blieben nur Gäste,
       die keine Sprossen aus Bienenbüttel verzehrt hatten. Doch
       Gärtnerhof-Inhaber Verbeck sagt: "Das waren nur etwa 30 Infizierte und die
       haben in den Tagen vor ihrer Erkrankung ja auch noch woanders als in dem
       Restaurant gegessen. Das finde ich nicht sehr durchschlagskräftig."
       
       Hinzu kommt: Die Behörden können nur für über 300 der rund 4.000
       Erkrankungen nachweisen, dass die Betroffenen wahrscheinlich Sprossen aus
       Bienenbüttel gegessen haben. Das geht aus einem Bericht des bundeseigenen
       Robert-Koch-Instituts vom 30. Juni hervor. Die restlichen Infektionen
       erklären die Ermittler zum Beispiel damit, dass durch Sprossen Angesteckte
       andere Personen infiziert haben.
       
       ## Bockshornklee-Theorie "unglaubwürdig"
       
       Gärtnermeister Verbeck reicht das nicht: "Mit so einer Argumentation könnte
       man alles beweisen. Das Ganze ist einfach nicht schlüssig." Unglaubwürdig
       findet er auch die offizielle Theorie, wie der Erreger auf den Hof gekommen
       sein soll: über ägyptische Bockshornklee-Samen, aus denen die
       Bienenbütteler Sprossen gezogen haben. Doch von der betroffenen 15.000
       Kilogramm schweren Lieferung aus Ägypten bekam der Gärtnerhof nur einen
       kleinen Teil. Den Rest erhielten andere Abnehmer in mindestens zwölf
       EU-Ländern. "Wenn die Samen verseucht waren, müsste der Ausbruch in ganz
       Europa sein", meint Verbeck. Tatsächlich haben sich aber nur Menschen in
       Deutschland und einige wenige in Frankreich angesteckt.
       
       Warum die Ämter dennoch an der Sprossen-Theorie festhalten?
       Gärtnerhof-Inhaberin Kaltenbach weist auf den immensen Zeitdruck hin, unter
       dem die deutschen Behörden standen, die Ursache der Epidemie zu finden. Am
       1. Juni forderte sogar die EU-Kommission Deutschland auf, seine
       Anstrengungen zu verstärken. Denn Bauern in mehreren europäischen Ländern
       verkauften damals weniger Gemüse als sonst, weil Verbraucher Angst hatten,
       es könnte verseucht sein. Da Hamburg fälscherlicherweise Gurken aus
       Andalusien als Quelle geoutet hatte und Spanien dagegen protestierte,
       entwickelte sich der Fall zur Staatsaffäre.
       
       ## Ideale Sündenböcke
       
       In dieser Situation waren die Sprossenbranche und speziell der Sprossenhof
       in Bienenbüttel ideale Sündenböcke: aus der Biobranche, klein, nicht
       organisiert, weder Erfahrung noch finanzielle Ressourcen, um sich wirksam
       durch Öffentlichkeitsarbeit und auf dem Rechtsweg zu wehren. Die
       Gärtnerhof-Leute schalteten erst spät einen Rechtsanwalt ein.
       
       Nun versuchen sie, ihre Zweifel an den Ermittlungsergebnissen der Behörden
       zu klären. Dazu wollen sie die Akten der Ämter einsehen. Doch das Bundesamt
       für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das die
       Ermittlungen koordinierte, hat abgelehnt.
       
       Immerhin bekommt der Gärtnerhof jetzt Unterstützung von Rebecca Harms,
       Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament. "Den Leuten müssen
       die Akten vorgelegt werden, damit sie überhaupt mal eine klare Begründung
       haben", sagt die Niedersächsin der taz. Die Behörden sollten weiter nach
       den wirklichen Ursachen der Epidemie suchen – auch wenn sie den Fall schon
       als aufgeklärt darstellen.
       
       Niedersachsens Agrarministerium dagegen weist die Vorwürfe des Gärtnerhofs
       zurück. "Völliger Unsinn" sei die Vermutung, die Behörden wären mit einem
       größeren konventionellen Betrieb sanfter umgegangen als mit dem kleinen
       Biohof, sagt Sprecher Hahne. "Wir hatten Tote und Schwerstkranke. Da ist
       uns die Betriebsform und -art egal." Auch das Bundesamt für
       Verbraucherschutz wehrt sich. Dass bisher kein Labornachweis auf Sprossen
       oder Samen gelungen sei, könne daran liegen, dass die kontaminierten Teile
       der Lieferungen schon verbraucht oder gegessen wurden, erklärt Sprecher
       Andreas Tief. Und den Streit über die Akteneinsicht für den Gärtnerhof will
       das BVL nicht kommentieren, da es "sich hierbei noch um ein laufendes
       Verfahren" handele.
       
       8 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Folgen des Ehec-Skandals: Die Triebe der Sprossen
       
       Zwei Betriebe im Norden gerieten 2011 in den Verdacht, die Quelle des
       Ehec-Erregers zu sein. Während der eine alles verloren hat, profitierte der
       andere von der Aufregung.
       
 (DIR) Ursache der Ehec-Infektionen geklärt: Der Sprossenhof ist unschuldig
       
       Dem Biobetrieb sei keine Fahrlässigkeit nachzuweisen, erklärt die
       Staatsanwältin. Samen für Sprossen wurden aus Ägypten in mindestens zwölf
       Länder in der EU geliefert.
       
 (DIR) Ehec-Keime durch Samen für Bockshornklee: Verdächtige Sprossen
       
       Die Samen aus Ägypten für Bockshornklee wurden an Ausbruchsorte des Keims
       in Deutschland und Frankreich geliefert. In Paderborn wird ein Massentest
       durchgeführt.
       
 (DIR) Meldesystem für Infektionen auf Prüfstand: Zu spät informiert
       
       Die obersten Krankheitsbekämpfer des Bundes möchten, dass Ärzte Infektionen
       künftig online melden. Experte klagt, er hätte zu spät von den
       Ehec-Infektionen erfahren.
       
 (DIR) Identische Erreger entdeckt: Gehäufte Ehec-Fälle in Frankreich
       
       In Bordeaux haben sich mehrere Menschen mit Ehec infiziert. Es handelt sich
       um den Erregerstamm, der auch die Epidemie in Deutschland ausgelöst hat.
       
 (DIR) Debatte Ehec: Bakterien sehen dich an
       
       Die letzten Wochen und der Umgang mit dem Ehec-Erreger haben gezeigt, wie
       weit es im Umgang mit Lebensmitteln in Deutschland schon gekommen ist.