# taz.de -- Frauenhäuser in Afghanistan: Narben im Gesicht
       
       > Die Frauenhäuser in Afghanistan zeugen von Rechtlosigkeit und
       > alltäglicher Gewalt. Sie bieten Frauen neue Möglichkeiten, aber ihre
       > Zukunft ist ungewiss.
       
 (IMG) Bild: Schutzunterkünfte für Mädchen und Frauen gibt es meist nur in der Hauptstadt.
       
       KABUL taz | Bebigil wagt kaum zu sprechen. Als ihr Vater 2007 starb, begann
       ihr Martyrium. Ihre Mutter heiratete erneut, der Stiefvater misshandelte
       das Mädchen. Bebigil hat noch Narben im Gesicht. Ihre Familie wollte sie
       loswerden. Bebigil wurde an einen alten blinden Mann verkauft. "Für viel
       Geld", sagt die Afghanin, die damals kaum zwölf Jahre alt war.
       
       Bebigil gelang die Flucht. Doch noch heute lebt sie in Angst, denn die
       Familie ihres 45-Jahre älteren Ehemannes will sie töten. Bebigil lebt in
       einem der 17 Frauenhäuser Afghanistans. Ihr Schicksal ist nur eines von
       vielen Tausenden in einem Land, in dem Gewalt, Missbrauch, Kinderehen und
       Zwangsheirat Alltag sind.
       
       Außer Bebigil leben 20 Frauen und Mädchen in dem unscheinbaren Haus in
       einem der besseren Viertel Kabuls. Drei Wachen kontrollieren Besucher. Auch
       der Ort wird geheimgehalten. Denn die meisten der Frauen und Mädchen müssen
       damit rechnen, dass ihre Familie sie töten, wenn sie erfahren, wo sie sich
       aufhalten. Auch droht anderer Ärger. "Die Öffentlichkeit hat eine schlechte
       Meinung von Frauenhäusern", sagt Naima Chairandesh von der Organisation
       "Women for Afghan Women", die das Frauenhaus betreibt.
       
       Die Schutzunterkünfte für Mädchen und Frauen gibt es meist nur in der
       Hauptstadt. Die Häuser werden fast alle von internationalen
       Hilfsorganisationen geleitet. Doch die Angst vor Übergriffen, Anschlägen
       oder Schikanen der Behörden wächst. Auch die Frage nach der Zukunft dieser
       Häuser ist offen. Wer finanziert sie, wenn der Westen sich aus Afghanistan
       zurückzieht? Und was geschieht, wenn die Taliban an der Regierung in Kabul
       beteiligt werden? Chairandesh ist sich sicher: "Wenn die Taliban
       zurückkommen, wird das Haus schließen müssen."
       
       Konservativen Politikern in Kabul sind die Frauenhäuser ein Dorn im Auge.
       Im August letzten Jahres startete der Talkshowmoderator Nasto Naderi eine
       Kampagne gegen die Schutzunterkünfte und brachte eine Reihe gefälschter
       Berichte. Sie legten nahe, dass die Häuser von Ausländern kontrolliert
       würden, um Afghaninnen zur Prostitution zu zwingen. "Wir leben in einem
       islamischen Land", hetzte der 27-Jährige, "doch manche Hilfsorganisationen
       kommen her und wollen das ändern."
       
       ## Angewiesen auf ausländische Hilfe
       
       Seit über zwei Jahren arbeitet eine Regierungskommission an einer Reform
       der Häuser. Im Februar schlug sie radikale Änderungen vor, die das Aus für
       die 17 registrierten Häuser bedeute hätte. Nach einem Aufschrei der
       internationalen Gemeinschaft wurde vieles wieder zurückgenommen.
       
       Chairandesh spielt den Konflikt herunter. Regierungsmitarbeiter würden zwar
       regelmäßig kommen, um die Arbeit zu kontrollieren, doch die Zusammenarbeit
       sei gut. Zudem bemühe man sich zusammen mit den Familien zunächst um eine
       einvernehmliche Lösung.
       
       Doch Naima räumt ein, dass dies manchmal kompliziert ist. "Es gibt sehr
       schwierige Fälle", sagt sie. Etwa die beiden acht und elf Jahre alten
       Mädchen, die seit ein paar Monaten im Haus wohnen. Ihre Familie hatte die
       Schwestern einfach vor dem Haus der afghanischen Menschenrechtskommission
       in Kabul ausgesetzt, weil sie angeblich Schmuck der Familie gestohlen
       hätten. Versuche, die Familie umzustimmen, schlugen fehl. Sie weigert sich,
       die Kinder wieder aufzunehmen. Die Menschenrechtskommission ist in viele
       solcher Fälle involviert. "Wir versuchen dann, eine Unterkunft für die
       Frauen zu finden", sagt der Leiter Nader Naderi. Afghanistan sei immer noch
       auf ausländische Hilfe angewiesen, um die Häuser weiterzuführen.
       
       Wenigstens für die Kindsbraut Bibi Aisha, deren zerstümmeltes Gesicht auf
       dem Titel des Time-Magazins erschien, gab es ein gutes Ende. Ihr Ehemann
       hatte ihr Nase und Ohren abgeschnitten, weil sie weggelaufen war. Aisha
       konnte mit Hilfe von "Women for Afghan Women" in den USA operiert werden
       und kann nun wieder ihr Gesicht zeigen.
       
       Nargis ist froh, im Frauenhaus zu leben. "Nun bin ich frei", sagt sie. Die
       zwangsverheirate 30-Jährige floh vor ihrem Mann. Sie weiß nicht, ob sie die
       zurückgelassene eineinhalbjährige Tochter je wiedersehen kann. Doch Nargis
       ist froh, dass sie hier lesen, schreiben und nähen lernt: "Ich habe kein
       Haus mehr, doch eine Menge Möglichkeiten."
       
       12 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Agnes Tandler
       
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