# taz.de -- Die kleine taz-Fiktion: Ein Tag mit dem ARD-Talk-Koordinator
       
       > Als Leiter der fiktionalen Koordinationsstelle für die politischen
       > Talkformate der ARD (Kopotard) achtet Westrowski darauf, dass sich
       > zumindest die Gäste unterscheiden.
       
 (IMG) Bild: Man hat's nicht leicht mit der Gästekoordinierung in der ARD.
       
       Westrowski hatte schon beim Mittagessen in der Kantine geahnt, dass der Tag
       übel enden würde. Ungefragt hatte sich Schwattke an seinen Tisch gesetzt
       und sofort zu stänkern angefangen. Ausgerechnet Schwattke, dessen Bruder
       als Anklatscher bei "Anne Will" arbeitete und der deshalb meinte, sich mit
       Polittalks auszukennen. Schwattke war Referent in der
       ARD-Programmdirektion, aus der auch Westrowski stammte und aus der er erst
       vor ein paar Wochen ausgezogen war.
       
       Noch vor dem eigentlich obligatorischen Kaffee flüchtete er wieder ins
       Büro, wo wegen der Ferienzeit noch gähnende Leere herrschte. Nur die Arbeit
       wuchs ihm schon über den Kopf, dabei ging die Talkshowsaison erst am 30.
       wieder los, mit "Menschen bei Maischberger". Und Jauch, auf den sie in der
       ARD so sehnsüchtig warteten wie Katholiken auf den Papst, hatte sogar erst
       am 11. September im Ersten Premiere, zehn Jahre nach 9/11, so viel Symbolik
       musste natürlich sein.
       
       Trotzdem war schon alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte. Röslers
       Büro zickte nur rum. Für den Euro mochte sich kein Banker mehr in die
       Bresche werfen. Und Arnulf Baring hatte noch Urlaub. Koordinationsstelle
       für die politischen Talkformate der ARD (Kopotard) hieß seine neue
       Abteilung, offiziell war zwar ARD-Chefredakteur Thomas Baumann zuständig,
       doch der tanzte schon auf genug anderen Hochzeiten.
       
       ## 
       
       ## Ausgerechnet München
       
       Missmutig blickte Westrowski aus dem Fenster des Funkhauses Richtung
       Hauptbahnhof. Da saß die ARD-weite Clearingstelle für Talkgäste und -themen
       ausgerechnet in München beim Bayerischen Rundfunk, dem Sender, der unter
       seinen letzten beiden Intendanten irgendwie vergessen hatte, dass er zur
       ARD gehörte und außer dem "Tatort" fast nichts mehr fürs Erste beisteuerte.
       Eigentlich, dachte Westrowski, ging das über das im öffentlich-rechtlichen
       Rundfunk zulässige Maß an Ironie deutlich hinaus.
       
       Dass ihn Schwattke jetzt auch noch wieder mit der famosen "Gäste-Datenbank"
       aufgezogen hatte, über die die Zeitungen schon seit Jahresanfang
       fantasierten, gab Westrowski den Rest. Denn die benötigte Software war
       immer noch nicht bewilligt, sondern hing irgendwo im Zustimmungsverfahren
       der ARD-Gremienvorsitzenden fest.
       
       Selbst bei der SPD waren sie da weiter gewesen, als der Kanzler noch
       Schröder hieß und sie im Bundespresseamt eine Art Excel-Tabelle mit allen
       TV-Talk-Auftrittsterminen angelegt hatten. So war man immer informiert,
       konnte aber den einen oder anderen Auftritt verstärken und gelegentlich
       auch verhindern, hatte der damalige Regierungssprecher eben erst wieder in
       einer Studie über Polittalkshows erzählt(1). Doch selbst das gab es hier
       nicht.
       
       Westrowski hatte sich daher mit Wendeplättchen beholfen, auf die sein
       Praktikant die Gesichter der üblichen Talk-Verdächtigen geklebt hatte -
       bevor er eiligst zu irgendeiner PR-Agentur geflüchtet war, weil er endlich
       mal journalistisch arbeiten wollte.
       
       Da lagen nun 137 Plättchen, von denen rund 30 schon ziemlich speckig
       aussahen, weil er sie ständig hin und her schob. "Plasberg", "Beckmann",
       "Maischberger", "Will" und natürlich immer wieder "Jauch", alle Redaktionen
       balgten sich um dieselben Nasen. Und natürlich wollten alle Sendungen mit
       der Eurokrise und dem unmittelbar bevorstehenden Untergang des Abendlandes
       in die neue Saison starten, nächste Woche wurde auch noch das neue Rating
       für Dänemark erwartet.
       
       Immerhin: Wenigstens Hans-Olaf Henkel und Hans-Werner Sinn hatten gleich zu
       allen Runden zugesagt und das entsprechende Feld "Sendungstitel" auf dem
       ARD-einheitlichen Anfrageformular einfach offengelassen. Mit denen war gut
       arbeiten.
       
       ## Gnadenlos guter Saniererheld
       
       Wenn wenigstens eine Großtalkerin darauf setzen würde, dass die Krawalle in
       Großbritannien wieder aufflammten! Aber nein: Die wirtschaftliche Lage in
       Eurozonien hatte alleinige Hochkonjunktur. Und das Gezerre um die wenigen
       Wirtschaftsbosse, die sich überhaupt in die Talkrunden trauten, würde also
       noch zunehmen. War es wirklich alles Kajo Neukirchens Schuld? Diese Frage
       hatte sich Westrowski schon oft gestellt. Nur weil der als gnadenlos guter
       Saniererheld gehypte Stahlmanager damals in der Talkrunde gestottert hatte,
       falsche Zahlen nannte und ins Schwitzen kam? Dabei war das noch bei "Sabine
       Christiansen" gewesen, zehn Jahre her, doch seitdem habe die Wirtschaft
       offenbar die Nase voll vom Talkkarussell, hatte Westrowski irgendwo
       aufgeschnappt(2). Und sein Chef Baumann hatte erst gestern wieder in der
       Welt gejammert, dass nun auch keine Banker mehr in die Sendungen kämen.
       
       Neben Wirtschaftsthemen ging ihm vor allem Stuttgart 21 auf den Nerv,
       genauer: Heiner Geißler. Zur großen geplanten Versöhnungsnummer bei Jauch
       war dem Sportgreis die Exbischöfin nicht genug, statt Versöhnerin Käsmann
       musste es natürlich der Dalai Lama höchstpersönlich sein.
       "Bergsteigerschwachsinn", dachte Westrowski und drehte das
       Geißler-Plättchen einfach um. Dann bekam eben bis auf Weiteres "Beckmann"
       die Bischöfin, ganz egal zu welchem Thema.
       
       Zu allem Überfluss waren bald auch Wahlen in Berlin, und weil Jauchs
       Redaktion noch nicht ganz fest im Sattel saß, hatte sich "Anne Will" schon
       Wowi, Gysi, Künast und diesen CDU-Kandidaten gesichert, dessen Namen
       Westrowski sich immer noch nicht merken konnte.
       
       Das würde noch Streit geben, das spürte er schon jetzt. Außerdem brauchten
       sie bei "Anne Will" ein neues Betroffenensofa, das alte war von den ganzen
       Hartzern durchgesessen. Aber dafür war ja gottlob der spendable NDR
       zuständig, da mussten keine Gremienvorsitzenden drüberhusten von wegen
       "Gemeinschaftsausgabe".
       
       ## Erstklassige Performer
       
       Westrowski spürte einen Anflug von Wut in sich aufsteigen: Dass Anne Will
       zum Streit um die Gäste lächelnd erklärte, der sei ja gar nicht wirklich
       hart, sondern einfach fair, kränkte ihn. Schwattke hatte das Interview (3)
       gelesen und ihm sofort unter die Nase gerieben. Will hatte auch gesagt, da
       gebe es ein Portfolio von vielleicht hundert Gästen, die sofort fähig
       seien, erstklassig in einer Talkshow zu "performen", daneben aber auch noch
       ungefähr 70 Millionen Leute, die dazu potenziell in der Lage seien. Und
       Schwattke hatte natürlich süffisant Westrowski gefragt, warum er dann
       eigentlich immer so rumstöhne. Pah, 70 Millionen! Nicht mal die hundert
       stimmten, dachte Westrowski. Es sei denn, man betrachtete die B-Prominenz
       der "Berliner Phoenix-Runde" als satisfaktionsfähig. Deren Wendeplättchen
       hatte er in einem Schuhkarton gebunkert - für den äußersten Notfall.
       
       Da waren ihm die "hart aber fair"-Macher lieber, schon weil die Sendung
       nicht so wie der Moderator hieß. Die lästerten auch selbst gern mal über
       "Talkshow-Möbel" und meinten damit garantiert keine Sofas. "Manchen tut man
       damit unrecht, weil sie einfach gute Gäste sind", hatte ein "hart aber
       fair"-Mensch mal gesagt(4), "manchen", das ging schon in Ordnung.
       
       Westrowksi seufzte. Immerhin "Maischberger" war schon eingetaktet: Dass
       Frank Schirrmacher geschrieben hatte, er "beginne zu glauben, dass die
       Linke recht hat", und dann ankündigte, als Politikchef zur taz zu wechseln,
       hatte die Sache stark vereinfacht. Hauptsache, Helmut Schmidt hielt
       gesundheitlich durch und der Rundfunkrat hob das Rauchverbot während der
       Sendung auf, und das Ganze würde ein Selbstläufer.
       
       ## Lammert calling
       
       Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Hatte Schwattke etwa noch mehr
       auf seine Kosten zu lästern? Westrowski ging erst beim achten Klingeln
       dran. Es war die ARD-Programmdirektion, die den Bundestagspräsidenten in
       der Leitung hatte. Programmdirektor Herres könne sich unmöglich schon
       wieder Lammerts Suada anhören von wegen "Für mich gibt es keine politische
       Talkshow. Es gibt entweder eine politische Sendung oder eine Talkshow.
       Beides schließt sich wechselseitig aus"(5), flötete die Dame am anderen
       Ende. Ob Westrowski vielleicht übernehmen könnte, Baumann sei ja auch gar
       nicht da.
       
       Westrowski sagte gar nichts. Dann legte er mitten in ihrem Redeschwall auf,
       nahm den Mantel vom Haken und ging.
       
       15 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Grimberg
       
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