# taz.de -- Frauenrechtlerin über Frauen im Islam: "Das ist islamischer Feminismus"
       
       > Auf den ersten Blick unvereinbar: Islam und die Gleichberechtigung der
       > Frau. Viele Muslima aber glaube, dass sie sich nicht entscheiden müssen,
       > sagt die Frauenrechtlerin Amina Wadud.
       
 (IMG) Bild: "Es hat eine Zeit lang gedauert, bis wir in der Lage waren, die Vereinbarkeit von Islam und den Menschenrechten klar zu formulieren."
       
       taz: Frau Wadud, seit wann gibt es eine Frauenbewegung im Islam? 
       
       Amina Wadud: Historisch sehe ich die ersten Schritte eines Feminismus im
       Islam etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Frauen bezogen sich mit
       ihrem Engagement nicht speziell auf den Islam. Sie waren Muslimas und
       setzten sich vor allem für die politische Partizipation von Frauen im
       öffentlichen Leben ein. Dazu gehörten das allgemeine Frauenwahlrecht,
       Bildungsfragen oder die Menschenrechte. Oft waren diese Frauen Teil einer
       nationalen Bewegung, die den Wandel zur Etablierung von Nationalstaaten
       vorantrieb.
       
       Mit Blick auf islamisch geprägte Länder war der Erfolg dieser Bemühungen
       aber mäßig? 
       
       Das vorläufige Ergebnis ihres Engagements war, dass ihre Anliegen -
       speziell zur Rolle der Frau im öffentlichen Leben - kaum berücksichtigt
       wurden. Teilweise gab es sogar Rückschritte.
       
       Inwiefern? 
       
       Als der politische Islam an Bedeutung gewann, also zu Beginn der 70er Jahre
       etwa, versuchten die Fundamentalisten den Islam als perfektes System zu
       vermitteln, auch was die Rolle der Frau betrifft. Diese Bewegung
       artikulierte eine klare Treue zum Islam und ebenso eine klare Opposition
       zum westlichen Imperialismus - diese Haltung war für viele recht attraktiv.
       Die Fundamentalisten konkurrierten aber bald mit den Frauenrechtlerinnen,
       insbesondere bei der Frage, inwieweit Frauen Bürger zweiter Klasse seien
       oder eben nicht.
       
       Feminismus und Islam ist kein Widerspruch in sich? 
       
       Für die Fundamentalisten war der Gedanke der Gleichberechtigung von Mann
       und Frau oder auch die Identifikation mit den Menschenrechten Teil
       westlichen Gedankenguts - und mit dem Islam unvereinbar. Die Feministinnen
       vertraten sehr schnell die Ansicht, dass das Problem in der Religion selbst
       liege, und plädierten dafür, die Religion aus dem Diskurs herauszuhalten.
       Muslimische Frauen standen also vor der Wahl: entweder die Treue zum Islam
       oder die Identifikation mit den Menschenrechten. Die Mehrheit muslimischer
       Frauen aber identifizierte sich sowohl mit dem Islam als auch mit der Idee
       der Menschenrechte. Und wir Feministinnen waren davon überzeugt, dass wir
       diese Wahl nicht brauchen.
       
       Die Mehrheit muslimischer Männer sieht das nicht so? 
       
       Es hat eine Zeit lang gedauert, bis wir in der Lage waren, die
       Vereinbarkeit von Islam und den Menschenrechten klar zu formulieren. Dass
       beides geht, am Islam festzuhalten und sich mit den Menschenrechten zu
       identifizieren, basiert auf dem Bewusstsein einer nationalen Identität und
       der Überzeugung, dass wir Frauen unseren eigenen Beitrag leisten müssen,
       den Islam zu interpretieren. Das heißt, eben auch mitzuwirken beim Auslegen
       islamischer Textquellen. In der Tat werden wir sehr oft missverstanden.
       Entweder man steckt uns in die Ecke der Islamisten oder man unterstellt uns
       säkulare Tendenzen.
       
       Worin unterscheidet sich islamischer Feminismus von der herkömmlichen
       Frauenbewegung? 
       
       Seit Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine Alternative für muslimische
       Frauen, die sich nicht zwischen den Menschenrechten und dem Islam
       entscheiden wollen. Und es gibt einen Namen für das, was wir tun:
       islamischer Feminismus. Denn wir ziehen den Islam heran, um die
       Gleichwertigkeit von Mann und Frau ins Bewusstsein zu rufen. In den letzten
       zehn Jahren ist eine neue Dimension hinzugekommen. Es geht uns nicht mehr
       nur um Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft, also im öffentlichen
       Leben, sondern auch um Gleichberechtigung innerhalb der Familie. Derzeit
       arbeiten wir sehr intensiv daran, unter anderem das Familienrecht zu
       reformieren. Es geht nicht darum, die Geschlechter einander anzugleichen,
       sondern Gleichberechtigung im öffentlichen wie im privaten Leben
       herzustellen. Wir wollen, dass Frauen die freie Wahl haben und dass diese
       Entscheidung respektiert wird - ganz egal ob sich Frauen beruflich
       engagieren oder zu Hause innerhalb der Familie. Das Bewusstsein der
       Vereinbarkeit von Islam und der Idee der Menschenrechte ist neu und die
       Zahl der Muslime, die das so sehen, wächst stetig.
       
       In Saudi-Arabien, wo es noch immer ein Fahrverbot für Frauen gibt, ist
       dieses Bewusstsein einfach noch nicht angekommen? 
       
       Ich kenne Frauen in Saudi-Arabien, die sich erst kürzlich im Rahmen einer
       Kampagne gegen das Fahrverbot engagiert haben. Wir haben Twitter-Messages
       aus den USA gesendet, um sie dabei zu unterstützen.
       
       Ein Tropfen auf dem heißen Stein? 
       
       Es wird oft übertrieben, was die Situation in Saudi-Arabien angeht, so als
       täte sich dort gar nichts. Gerade im Moment arbeiten saudische Frauen
       daran, ihre Situation zu verbessern. Auch wenn diese Frauenarbeit sich auf
       die jeweils lokalen Bedürfnisse konzentriert: jeder Tropfen hilft, das Fass
       zu füllen. Nicht alle Tropfen sind dieselben, aber wir tun sie alle hinein
       - und irgendwann ist das Fass der Gleichberechtigung gefüllt.
       
       Vor sechs Jahren haben Sie erstmals vor einer gemischten Gemeinschaft in
       New York ein Freitagsgebet geleitet. Das sorgte für einen Eklat in der
       islamischen Welt. Was hat das gebracht? 
       
       Es gab natürlich viel Raum für Gegenreaktionen, aber auch ein klares Mandat
       für sehr viel klarere Antworten hinsichtlich der Partizipation von Frauen
       im öffentlichen religiösen Leben. Auch wenn es noch immer eine
       Minderheitshaltung ist, dass Frauen vor gemischten Gemeinschaften
       Freitagsgebete leiten, so ist doch die Zahl der Befürworter gewachsen. Es
       hat begonnen und es passiert auf unterschiedliche Art und Weise. Von einer
       Kollegin habe ich erst kürzlich erfahren, dass die "Mohammedia", die
       zweitgrößte muslimische Organisation weltweit, entschieden hat, Frauen bei
       der Leitung der Gebete unter bestimmten Umständen zu beteiligen. Das ist im
       Moment der größte Zuspruch seit dem Ereignis 2005 in New York. Es gibt
       Moscheegemeinden, die es befürworten, dass regelmäßig Frauen Gebete leiten.
       Nicht jede Woche, aber zum Beispiel im Wechsel mit den Imamen. Diese
       kleineren Fortschritte gibt es immer häufiger, wo immer sich Raum dafür
       auftut. Und das ist der Beginn dessen, wofür ich immer gekämpft habe: dass
       die Teilhabe von Frauen auch in religiösen Führungspositionen als
       Normalität betrachtet wird.
       
       Wie beurteilen Sie die Umbrüche, die durch die arabischen Revolutionen
       angestoßen werden, aus der Perspektive eines islamischen Feminismus? 
       
       Etwa Mitte des vergangenen Jahrhunderts haben sich die Frauen oft im Rahmen
       nationaler Bewegungen für die Etablierung eines Nationalstaates engagiert.
       Von den Errungenschaften der postkolonialen Zeit haben sie nie in vollem
       Umfang profitiert. Im Gegensatz dazu sind die Frauen des arabischen
       Frühlings heute mit an der Basis tätig: als Politikerinnen, als
       Richterinnen, als Geschäftsfrauen, als Studentinnen. Sie wirken mit, auch
       beim Schreiben neuer Verfassungen arabischer Staaten, und sie sind sich
       darüber im Klaren, dass es notwendig ist, auch die Belange der Frauen mit
       einzubeziehen, das heißt, den vollen Zugang zu den Vorteilen einer
       erfolgreichen Revolution zu erhalten.
       
       Liegt die Umgestaltung der arabischen Staaten nicht mehrheitlich wieder in
       der Hand der Männer? 
       
       Natürlich gibt es diese Leute, die Frauen von der Teilhabe der
       Errungenschaften abhalten wollen, die sagen: "Wir wollen euch gerne auf dem
       Tahrirplatz die Transparente hochhalten sehen, aber ihr könnt nicht für das
       Amt des Präsidenten kandidieren." Diese Position gibt es. Aber der
       Unterschied ist, dass wir jetzt eine kritische Masse von Frauen haben - und
       diese Frauen gehen nach der Revolution nicht einfach so nach Hause. Diese
       Frauen sind kompetent, sie haben Fähigkeiten, sie haben das Wissen über den
       Islam, sie haben die Motivation - persönlich, spirituell, politisch,
       akademisch und intellektuell - für ihre Teilhabe in einem neuen Ägypten,
       Libyen, Syrien oder Jemen zu kämpfen.
       
       17 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Hummel
       
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