# taz.de -- Digitaler Datenschutz in Kanada: Privatsphäre? Überbewertet!
       
       > In Kanada möchte die konservative Regierung künftig ohne richterlichen
       > Beschluss auf private Online-Daten zugreifen. Und im Zweifel auch ohne
       > Verdachtsmoment.
       
 (IMG) Bild: "Wir wissen, wo du um 07:41 gewesen bist" - zwar nicht mehr fürs Jahr 2005, aber in Kanada vielleicht bald 2012.
       
       Wer dem kanadischen Ministerpräsidenten im Netz folgen möchte, hat leichtes
       Spiel. Stephen Harper ist überall – ganz professioneller Politiker. Auf
       Facebook, Twitter und Google+ wirbt Harper für sich, über YouTube und
       Flickr können die schönsten PR-Maßnahmen bewundert werden.
       
       Doch Harper sollte darauf achten, nie mit den staatlichen Behörden in
       Konflikt zu geraten. Denn geht es nach seinen eigenen Plänen, sollen die
       Spuren, die Bürger online hinterlassen, künftig ohne große Hürden von
       Ermittlern verfolgt, überwacht und gesammelt werden können. Auch ohne
       konkrete Verdachtsmomente.
       
       Als Harper im Mai 2011 die Parlamentswahlen in Kanada mit einer stabilen
       Mehrheit gewann, versprach seine Konservative Partei innerhalb von 100
       Tagen ein allgemeines Gesetzespaket zur Abstimmung zu bringen. Darin
       enthalten: drei Gesetze, die den Schutz digitaler Daten massiv schwächen
       würden. Die Pläne gibt es schon länger, bis dato wurden die Gesetze aber
       noch nicht umgesetzt.
       
       ## Offener Brief
       
       Nun nähert sich die 100-Tage-Frist ihrem Ende, das Parlament kommt ab
       September wieder zusammen. Da bleibt keine Zeit für eine ordentliche
       Anhörung und Diskussion der diversen, in einem Gesetz versteckten
       Maßnahmen. Datenschützer fürchten, dass das Paket unauffällig durchgewunken
       werden soll. Anfang August schickten kanadische Akademiker,
       Watchdog-Gruppen und andere Unterzeichner daher einen
       [1][//www.documentcloud.org/documents/230754-letter-to-harper-re-lawful%20a
       ccess.html:offenen Brief] an Ministerpräsident Harper, um auf die
       Missstände der geplanten Gesetze aufmerksam zu machen.
       
       Die Datenschützer kritisieren vor allem Verstöße gegen das fundamentale
       Recht auf Privatsphäre. Wird das Gesetz verabschiedet, sollen Behörden in
       bestimmten Fällen ohne richterliche Erlaubnis Daten über Personen von
       Internet-Providern anfordern dürfen. Dazu gehören nicht nur Name, Adresse,
       Telefonnummer oder IP-Adrese, sondern auch die Standortermittlung über
       Handys und GPS-Geräte sowie Fotos oder Kommentare in sozialen Netzwerken,
       die getagged wurden. Bisher kann der Zugriff der Behörden auf persönliche
       Nutzerdaten nur mit Hilfe einer juristischen Legitimation erfolgen.
       
       "Strafverfolgunsbehörden werden viel freiere Hand haben, das Privatleben
       der Kanadier auszuspionieren", kritisiert Kolumnist Lawrence Martin in The
       Globe & Mail.
       
       Darüber hinaus sollen Unternehmen die Daten über Nutzer länger speichern,
       wenn eine Behörde das möchte – ebenfalls ohne richterlichen Beschluss. Das
       Watchdog-Gruppe [2]["Open media.ca"], die den offenen Brief unterzeichnet
       hat, hat im Zusammenhang mit den geplanten Gesetzen den Aufruf [3]["Stop
       Online Spying"] ("Stoppt Online-Spionage") gestartet. Knapp 46.000 Kanadier
       haben bisher unterschrieben, um ihrem Protest gegen die geplanten
       Änderungen zu demonstrieren.
       
       ## "Gruseliges Spionage-Modell"
       
       Darüber hinaus stoßen die geplanten Maßnahmen in der eigenen Regierung auf
       Kritik. Die nationale Datenschutzbeauftragte Jennifer Stoddart hat
       gemeinsam mit regionalen Datenschutzbehörden bereits im März [4][einen
       Brief] ans Ministerium für Öffentliche Sicherheit in Kanda geschrieben.
       "Zusammengenommen würden die Gesetze … die Privatrechte der Kanadier
       substanziell schwächen", schreibt Stoddart. Die Gesetzesänderungen würden
       Ermittlern mehr Macht geben, um digitale Informationen zu verfolgen, zu
       suchen und in Besitz zu nehmen.
       
       Das alles, so kritisieren Stoddart sowie Datenschützer, würde darüber
       hinaus nicht mit einer verstärkten unabhängigen Kontrolle der Behörden
       einhergehen. "Mit derartigen Bedenken über dieses gruselige Spionage-Modell
       muss die Regierung erkennen, wie problematisch ihre Pläne sind", sagt Tamir
       Israel, Anwalt an der "Samuelson-Glushko Canadian Internet Policy & Public
       Interest Clinic" auf "Open media.ca". Israel hofft, dass die Regierung noch
       einmal umdenkt – oder wenigstens mehr Zeit einräumt für eine ordentliche
       Anhörung im Parlament.
       
       Doch das scheint unwahrscheinlich. Ministerpräsident Harper selbst hat noch
       nicht auf den offenen Brief reagiert. Ein Sprecher des Justizminister Rob
       Nicholson versicherte dem staatlichen kanadischen Rundfunk CBC, Klauseln
       zum Schutz der Privatsphäre würden natürlich Bestandteil der Gesetze sein.
       Darüber hinaus sei es Aufgabe des Gesetzgebers, mit dem Fortschritt der
       Technologie mitzuhalten, "um die Sicherheit der Kanadier zu schützen".
       Kommt es zur Abstimmung über das Gesetzespaket, können die Konservativen
       diese Sicherheit mit ihrer Stimmenmehrheit von 166 von 308 Sitzen
       gewährleisten.
       
       24 Aug 2011
       
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 (DIR) Rieke Havertz
       
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