# taz.de -- Replik aufs Berlin-Bashing: Das Leben ist kein Ponyschlecken!
       
       > Dreckig, kaputt, ohne Bürgersinn - Berlin-Bashing ist das liebste Hobby
       > von zugereisten Bio-Elite-Journalisten. Sie haben diese Stadt nicht
       > verstanden. Eine Replik.
       
 (IMG) Bild: Müssen sich die Berliner jetzt alle der DDR-Frühjahrsputz-Mentalität unterwerfen und gemeinsam Wände schrubben?
       
       Aha, der Kinderladen heißt "Kunterbunt" und an der Hauswand sind Graffitis
       - dann muss es dort ja schlampig zugehen. Das sind vermutlich alles
       Autoanzünder und Butterbrotpapierliegenlasser. Die FAZ informierte am
       Montag über die sich gehen lassenden Berliner in einem ellenlangen Artikel
       und einer unfassbar kleinkarierten Bilderstrecke.
       
       Darin wird die Kunterbunt-Schlampigkeit-Gleichung zusammen mit Glatteis auf
       Gehsteigen, Müll in der U-Bahn, von öffentlichen Büschen geklauten
       Fliederzweigen, fehlendem Papier auf Schultoiletten und Betrunkenen im
       Mauerpark als Indiz für eine Diktatur des Lumpenproletariats ausgemacht.
       
       Wovon reden wir eigentlich? Das ist eine Großstadt hier und kein Ponyhof.
       Muss Berlin wirklich jedes mal eins auf die Mütze kriegen, wenn
       hormongesteuerte Journalistenmuttis und -vatis ihre Kinder nun doch lieber
       eigentlich im Bullerbü-Idyll statt in Kreuzberg aufziehen möchten? Müssen
       sich die Berliner dann alle ihrer DDR-Frühjahrsputz-Mentalität unterwerfen
       und gemeinsam anpacken, Schnee schippen und ihr Dorf schöner machen? Für
       ihre "geordneten Verhältnisse" sorgen?
       
       ## Jenseits von Bullerbü
       
       Zum Glück hat FAZ-Autorin Mechthild Küpper jetzt eine ganz konkrete
       Ansprechpartnerin für ihr Bedürfnis nach mehr Bürgerlichkeit: Renate
       Künast. Renate kümmert sich, verkünden ihre Wahlplakate, da muss sie ran!
       Wo die Betulichkeit den mündigen Berliner gelinde gesagt irritiert, findet
       Renate bei den zugereisten Spießern eine Zielgruppe, die sich freut, wenn
       sich jemand um sie kümmert. Wenn sie jemand unterstützt im Kampf für ein
       quietschvergnügtes, immer höflich-sauberes, bio-gesundes
       Bildungselitenbürgertum.
       
       Steigende Mietpreise und Projekte wie die Sekundar- oder
       Gemeinschaftsschule sind nun wahrlich nicht das primäre Problem der
       Öko-Spießer und Berlin-Nörgler. Das Geld für die überteuerte Wohnung ist
       da. Ärgerlich aber, dass im Mauerpark Leute gibt, die in ihrer Freizeit den
       Rasen platttrampeln, Musik machen und Bier trinken. So geht es nicht, heißt
       es da - wenn ich's bunt wünsche, dann radle ich ganz flott mal zum
       Maybachufer, wo "bunt" Programm ist. Crazy.
       
       Das Kind geht aufs Gymnasium, von der schlampigen Unterschicht gilt es sich
       fernzuhalten und sie gleichzeitig anzuprangern. Seid nicht so, seid anders!
       Putzt! Engagiert euch! Dabei kann die "Oberschicht", wenn sie es wünscht,
       in Zehlendorf auch unter sich bleiben, anstatt an den Mitbürgern
       herumzunörgeln. Ist doch Platz für alle.
       
       Der Berliner selbst nörgelt übrigens gar nicht die ganze Zeit - und wenn,
       dann mit Augenzwinkern. Und er ist auch nicht unfreundlich, sondern
       herzlich raubeinig. Man erinnere sich an den alten Witz: "Kommt eine alte
       Jüdin mit dem gelben Stern am Revers in den überfüllten Omnibus, steht ein
       Berliner auf und sagt: 'Setz dir mal hin, olle Sternschnuppe.' Da bepöbeln
       ihn ein paar Volksgenossen, doch er entgegnet gelassen: 'Üba menen Arsch
       vafüge ick noch selba.'"
       
       ## Leben und leben lassen
       
       Der Berliner hat es eben nicht so gerne, wenn man ihm sagt, was er zu tun,
       zu lassen oder zu finden hat - dann kann man schon mal pampig werden. Wer
       Badisch nicht von Schwäbisch unterscheiden kann, ist deswegen noch lange
       kein Kinderwagenanzünder. Eine gewisse Gelassenheit, die einen über Müll,
       Graffiti und Lärmbelästigung hinwegsehen, ja sogar Silvester U-Bahn fahren
       lässt, basiert nicht auf "Armut oder Torheit" - sondern ist womöglich das,
       was Berlin von anderen deutschen Großstädten unterscheidet.
       
       Man lässt einander leben, stellt nicht den oder die Schuldige an den
       Pranger und fordert nicht gleich eine Bürgerwehr, für Ordnung zu sorgen.
       Und das ist auch gut so. Wenn dir hier der eine Busfahrer die Tür vor der
       Nase schließt, hält der nächste vielleicht außerplanmäßig vor deiner
       Haustür.
       
       Eigentlich ist es in Berlin schon fast ein bisschen zu nett geworden, sogar
       der prominente Berlin-Nörgler Claudius Seidl hält es hier aus - hoffentlich
       zündet jetzt keiner sein Auto an.
       
       24 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Niemann
       
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